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Eine Tomate.

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Kugeliges Essen: Jetzt geht es rund

Liebesperlen, Erbsen, Melonen, Pralinen, Knödel – nicht nur bei der Fußball-WM dominiert der Ball. Ein kulinarischer Essay.

Klops braucht der Mensch, das ist für Edek und Zofia gar keine Frage. Klopse aus ordinärem Hackfleisch, aber auch solche aus Bratwurst und Huhn, Schweinefleisch und Sauerkraut, Honig und Möhren, der Fantasie von Zofia sind keine Grenzen gesetzt. Edeks Tochter hat da ihre Zweifel, ob irgendein Mensch in New York Klopse braucht. Aber Ruth ist ja auch Stadtneurotikerin und ernährt sich von Joghurt, Obst und gedünstetem Gemüse. Das nimmt sie sogar mit, wenn sie sich mit ihrem Vater zum Essen trifft, dann bestellt sie sich eine Hühnersuppe zur Tarnung, setzt sich ihre Tupperdose auf den Schoß und gabelt verstohlen Möhrchen heraus.

Edek und Zofia werden recht behalten: Ihr Restaurant „Klops braucht der Mensch“ trifft den Nerv, die „New York Times“ überschlägt sich vor Begeisterung, die Leute stehen Schlange. Klops, das klingt schon so lustig, nach früher und Zuhause.

Das Lokal von Edek und Zofia ist reine Fiktion, Lily Brett hat es sich für ihren Roman „Chuzpe“ ausgedacht, aber ein „Meatball Restaurant“ existiert tatsächlich in New York. Denn was gibt es Schöneres als die Kugel? Dünne Bohnenstangen mögen das Vorbild aller jungen Mädchen sein, wirklich sympathisch ist einem eher das Kugelrunde. Eckig und kantig sind tendenziell negativ konnotiert, die weiche Form weckt positive Assoziationen.

Nicht nur auf dem Teller gilt die Kugel als ideale Form von vollendeter Harmonie, jenseits aller Hierarchie: Es gibt kein Oben und Unten und keine Schokoladenseite, alle Punkte der Oberfläche sind gleich weit vom Mittelpunkt entfernt. Kein Wunder, dass Könige und der liebe Gott sich besonders gern mit dem Symbol für die Ordnung der Welt zeigen.

„Am Anfang war der Kloß“, überschreibt der Koch-Künstler Dieter Frölich das entsprechende Kapitel in seiner „Topografie der Gemengsel und Gehäcksel“. Im Gespräch erinnert er an die menschliche Entstehungsgeschichte nach Platon: Demnach war unsereins am Anfang eine wandelnde Kugel. Bis der Mensch übermütig wurde, nach dem Himmel griff und von Zeus zur Strafe halbiert wurde. So entstanden Mann und Frau. Frölich hält ganze Seminare über die Morphologie des Knödels ab. „Kochtechnisch ist das ein sehr wichtiger Schritt: vom amorphen Klumpen zum idealen Körper.“

„Maximales Volumen bei minimaler Oberfläche, wahnsinnig stabil“, so beschreibt Martin Hablesreiter die Form. Wenn der Wiener Architekt nach Rom fährt, pilgert er jedes Mal zum Petersdom – wegen der Kuppel. Die Faszination erklärt er nicht zuletzt damit, dass die perfekte Kugel in der Architektur fast unerreichbar ist. Nicht mal Erde und Mond kriegen das lupenrein hin. Der Architekt Buckminster Fuller hat es ein paar Mal geschafft.

Die Kugel ist ein Wunderwerk

Eine Tomate.
Eine Tomate.

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Kurzum, die Kugel ist ein Wunderwerk, von Natur oder Menschenhand geformt. Sie kann sogar laufen ohne Beine, das weiß jedes Kind. Weshalb Ball nach Mama und Papa eins der ersten Wörter ist, das einem glatt über die Zunge rollt. Mit dem Ball wird man groß, Murmel, Fußball, Minigolf, Tennisball, Volleyball ... Bällchen steckt man sich dauernd in den Mund. Liebesperlen im Milchfläschchen haben wir Kinder uns von der Schluckerbude geholt, bunte Kaugummikugeln aus dem Automaten gezogen, die runden Pralinen der Mutter überlassen, das Eis kugelweise geschleckt.

Wobei es in seinem Mutterland interessanterweise flach in die Waffel kommt. Warum es in Italien gespachtelt wird, dafür hat Daniela Teuber eine einfache Erklärung: „Dort ist es weicher, cremiger, liegt bei minus 14 Grad in der Vitrine. Bei uns sind es in der Regel minus 16.“ Seit die Absolventin der Gelato-Universität Bologna ihre eigene Diele „Mos Eisley“ in Neukölln eröffnet hat, weiß sie nur zu gut, dass Kugel nicht gleich Kugel ist. Sie spürt es in den Armen. Denn Frucht-Sorbet ist viel luftiger als das feste Schoko-Eis mit Kuvertüre, „da braucht man schon ganz schön viel Kraft“. Auch wenn sie immer denselben Portionierer benutzt: Weil sie mit so viel Schwung durchs Sorbet fährt, werden auch die Kugeln größer.

Dass die runden Dinger sich von allein fortbewegen, kann allerdings zum Problem werden. Bei der Erbse zum Beispiel. Wie soll man die heil vom Teller in den Mund kriegen? Einzeln aufspießen? Auf die Gabel schaufeln? Dann kullern sie garantiert runter. Am besten transportiert man sie auf Kartoffelbrei gebettet.

Nur in den seltensten Fällen wachsen die Bällchen, wie Johannisbeeren oder Kirschtomaten, an Sträuchern und Bäumen. In der Regel muss der Mensch nachhelfen. Eigentlich müsste die Kugel schweben, um ihre perfekte Form zu wahren, aber das schafft nur die Seifenblase, und die zerplatzt. Einen Kartoffelkloß halb und halb kriegt man noch ziemlich glatt hin, auch das Fleischklößchen, selbst wenn es ein raueres Äußeres hat, ist erkennbar rund. Kartoffel- und Fleischmasse lassen sich gut mit den Händen formen, natürlich mit dem nötigen Klebstoff, eingeweichtem Brot, Mehl und Ei. Für Dieter Frölich ist die Bindung überhaupt das Grundprinzip des Knödels – „ohne sie existiert er nicht. Da die Bindungskraft der verschiedenen Zutaten stets variiert, bereite man immer einen Probekloß.“

Dekorativ in Schnittlauch wälzen

Eine Melone.
Eine Melone.

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Wer kein Stararchitekt ist, muss sich zu helfen wissen. Kleine dekorative Melonenkugeln lassen sich einfach ausstechen, Frischkäsebällchen sind auch leicht gemacht, die kann man noch dekorativ in Schnittlauch wälzen. Eine Kugel muss schließlich kein Monolith sein, kann aus diversen Schichten bestehen. Das ist ja gerade das Spannende: dass man ihr nicht ansieht, was in ihr steckt. In Lutschern kann sich Brause verstecken, in der Mozartkugel verbergen sich Nugat und Pistazienmarzipan, im Thüringer Kartoffelknödel geröstete Weißbrotwürfel. Die sind nicht allein als knusprige Überraschung gedacht, sondern schaffen einen Hohlraum im Inneren. Andernfalls könnte es passieren, dass das Innere noch roh ist, das Äußere schon trocken.

Man kann sich natürlich einfach mit der Halbkugel zufrieden geben, sieht auch schön aus, wie man von der Kuppel weiß. Ansonsten muss man tricksen, das machen die Profis auch. Wie Raffaelo und Rocher so knusprig, weich und kugelrund werden, weiß Ferrero allein. Ansonsten gilt: was nicht passt, wird passend gemacht. Die Mozartkugel zum Beispiel ist gar nicht rund, sondern hat einen abgeschnittenen Boden zum Hinsetzen. Zumindest wenn die Kugel aus der Fabrik kommt. Das tatsächlich runde Original wird aufwendig von Hand gemacht, wie der Österreicher Hablesreiter erzählt, der mit Sonja Stummerer Bücher über „Food design XL“ und „Eat design“ veröffentlicht hat. An einem Stick wird die Kugel in Schokolade getaucht, wenn diese getrocknet ist, wird der Stiel herausgezogen und das Löchlein mit Kuvertüre überdeckt. An diesem Pickel, wie er ihn nennt, an der ansonsten makellosen Kugel kann man die Handarbeit erkennen. Ein aussagekräftiger Schönheitsfleck.

Der Trick mit dem Stiel funktioniert immer, man muss ihn auch gar nicht rausziehen. Ja, um sich die Finger nicht klebrig zu machen, erweist er sich beim Essen als außerordentlich nützlich, beim Lutscher ebenso wie bei den gerade so beliebten cake pops: Kuchen am Stiel zum Knabbern, die man auf diese Weise auch poppig bunt dekorieren kann.

Lily Bretts 2006 erschienener Roman „Chuzpe“ endet mit ein paar Rezepten, für Rindfleisch-Kielbasa-Klopse, Huhn-Rosinen-Klopse, Truthahn-Kokos-Klopse. Wer mehr Anregungen braucht, gerade für fleischlose Varianten, wird bei Juliane Pieper fündig. Die Berliner Illustratorin, die etliche Jahre in New York zu Hause war, hat pünktlich zur WM ein Kochbuch veröffentlicht über „Alles, was rund ist“ (erschienen bei Jacoby Stuart). Da werden Kürbis- und Süßkartoffelbällchen serviert, Hecht- und Garnelenbällchen, chinesische Perlenbällchen und pakistanische Lammköfte. Das ist ja das Gute an der Kugel, dass man alles in sie hineinpacken kann, eine ganze Mahlzeit sogar, Fleisch, Kartoffeln, Gemüse. Die Kugel als Kosmos.

In Berlin, Heimat der platten Bulette und Wahlheimat der Falafel, scheint sich der Königsberger Klops gerade zum neuen Lokalgericht zu mausern, den findet man bei Tim Raue ebenso wie im feinen Hotel am Steinplatz. Ein Klops-Lokal wie das von Edek und Zofia hat in der deutschen Hauptstadt noch nicht eröffnet. Dafür aber „Häppies“.

Der Häppie sieht aus wie ein leicht missglückter Klops, einer, der auf den Boden geplatscht ist. Das ist kein Unglück, sondern ein Segen, verkündet Uli Marschner mit breitem Strahlen, denn das ist ihre Botschaft: Niemand muss perfekt sein. Das Glück zu verkaufen, war schon immer ihr Geschäft, früher hat sie als Werbetexterin bei Jung von Matt in Hamburg gearbeitet, seit einem Jahr steht sie in ihrem kleinen Laden in Prenzlauer Berg und serviert Germknödel mit menschlichen Namen: Gabriel oder Bärbel. Hefeklöße, herzhaft gefüllt mit Hühnchen und Gorgonzola etwa, serviert mit Aprikosen-Rosmarin-Sauce, mit Walnüssen getoppt. Die Sehnsucht nach Klopsen scheint groß zu sein. Das Häppies-Startkapital hat Marschner über Crowdfunding zusammengebracht. 3000 Euro mehr als angepeilt.

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