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Gesellschaft: Mettgeschichten

Kein Talent zur Vegetarierin: Die Schriftstellerin Jasmin Ramadan liebt Tatar, Mett, Sushi. Ein Treffen zum Mittagessen.

Neulich hat sie es sich wieder getraut. Da ist Jasmin Ramadan einfach in den Supermarkt ihres Vertrauens gegangen, an der Großen Bergstraße in Hamburg, die Schriftstellerin hat die Fleischtheke wie den Gabentisch unter dem Weihnachtsbaum bewundert und schließlich zur Verkäuferin gesagt: „Einmal Mett, bitte!“ Rohes Fleisch, dann noch vom Schwein, die 38-Jährige genießt das ab und zu, wie überhaupt rohe Nahrung ein großes Thema in ihrer Essensbiografie ist, es sind nur diese verstörten Blicke, die ihr manchmal den Genuss manchmal verhageln. „Der Verkäuferin stand die Frage ins Gesicht geschrieben: Wieso kauft die Araberin denn jetzt Schweinefleisch?“

Frau Ramadan kennt dieses Vorurteil. Ja, sie sieht aus wie im Maghreb geboren, sie hat lange schwarze Haare und dunkle Augen, ihr Vater ist Ägypter, ihre Mutter Deutsche. Nein, sie ist nicht muslimisch erzogen worden, sondern von ihrer Mutter in Hamburg. Der Herr Papa hat sich in die alte Heimat abgesetzt, als sie drei Jahre alt war. Sie spricht kein Arabisch, sondern piekfeines Hamburgerisch, zum Vater hat sie ein gutes Verhältnis, „wenn der hier zu Besuch war, hat der auch Alkohol getrunken“, und wenn er ihr dann eingeredet hat, sie sei eigentlich Muslimin, hat sie nur abgewinkt.

Jasmin Ramadan hat gerade den Mund voll. Aus gutem Grund. Sie isst Tatar, nein, sie genießt das Rinderhackgericht, eine kreisrunde rötliche Masse, die auf dem Teller des Café Paris hellrosa pappt. Die Färbung liegt an den Zutaten: Kapern, Zwiebeln, Creme fraîche, vermischt mit rohem Rind. „Das ist die Spezialität des Restaurants“, sagt Ramadan. Auch deshalb strömt jeden Tag die hanseatische gute Gesellschaft in die ehemalige Schlachterei, das Café Paris liegt auf halbem Weg zwischen Rathaus und dem Verlagsgebäude der „Zeit“, vom Deckenfresko grüßen zwei halb bekleidete Damen, und darunter klüngeln Journalisten, Senatspolitiker und Geschäftsleute.

Es ist so belebt wie die Münchner Theresienwiese zum Oktoberfest. Und mindestens so laut. „Schmeckt hervorragend“, lobt Jasmin Ramadan, nachdem sie zwei Mal darum gebeten hat, die Frage zu wiederholen und die Hände um die Ohrmuschel zum Trichter formt. „Weich im Mund, salzig. Ich habe mal gelesen, das muss so sein, weil Salz Vertrauen weckt und desinfiziert. Und es macht wach.“

Es ist kurz nach ein Uhr mittags, Jasmin Ramadan ist nicht die geborene Frühaufsteherin. Ihre dunkle Stimme klingt nach Nachtleben. Im Hamburger Morgengrauen hat sie unter anderem den Schauspieler Adam Bousdoukos kennengelernt und den Regisseur Fatih Akin. Als der Filmemacher „Soul Kitchen“ drehte, bat er die Autorin, ein Buch zu schreiben, und Bousdoukus, die Hauptrolle zu übernehmen. Sie erdachte sich die Vorgeschichte des Films, der vom Restauranttraum eines jungen Mannes handelte.

Das war vor drei Jahren, die große Chance für Jasmin Ramadan. Und nun also der neue Roman „Das Schwein unter den Fischen“, wieder ein Buch, in dem Essen eine große Rolle spielt. Es ist die Geschichte eines schwer pubertierenden Mädchens, Celestine. Die kämpft mit den Hormonen genauso wie mit Vater und Stiefmutter, die beide einen Kiosk mit Mettbrötchen-Verkauf betreiben. Die Stiefmutter hat das Herz ihres Mannes mit einer ungewöhnlichen Geste gewonnen: „Während er mit einem Grinsen die Brötchenhälfte im Ganzen vertilgte, steckte sie ihren Finger tief ins Mett und leckte ihn langsam ab – so wurde daraus Liebe.“

Selten klang Hingabe zum rohen Fleisch zärtlicher. Jasmin Ramadan ist belustigt, wie viele Leser auf diese Imbisskost anspringen, so als hätte sie einen wunden Punkt getroffen. Freundinnen kamen zur Buchpremiere im Hamburger Thalia-Theater, sie trugen selbst bedruckte Tücher mit Mett-Motiven und schlangen diese um ihre Körper. Der Verlag spendierte ein paar Kilo aus der Fleischerei, Zuschauer formten daraus mit verbundenen Augen und bloßen Händen eine Figur, aus der Moderator Sven Amtsberg die Zukunft vorhersah. Bei einer jungen Frau zeigte das Mett-Orakel das Gesicht ihres vermutlich nächsten Chefs.

Viel Aufmerksamkeit für so ein bisschen Aufstrich. „Ich glaube, weil Mett als eklig gilt“, vermutet Jasmin Ramadan. „Im Moment gibt es ja diesen Hype, kein Fleisch zu essen.“ Die Bücher von Jonathan Safran Foer und Karin Duve stehen in Haushalten gut informierter Erwachsener, die sich den Zwiebelhack aus der Schulzeit noch nachträglich aus den Mundwinkeln wischen möchten. Für die Hamburgerin ist Vegetarismus keine Option. „Dafür bin ich zu triebhaft“, sagt sie. Sich so zu disziplinieren ginge einfach nicht. Und sage keiner, sie habe es nicht versucht. Als sie 17 war, hat sie sechs Monate durchgehalten – bis zum Sommer. „Dann war ich auf Kreta, der klassische Mädchen-Party-Urlaub, bei dem man drei Tage vor Urlaubsende noch 15 Mark übrig hat. Da habe ich mir eine Wurst im Supermarkt gekauft, so eine Kabanossi. Weil ich dachte, die rettet mich über die nächsten Tage. Und das war so. Die hat mich bis zum Heimflug über Wasser gehalten. Seitdem weiß ich: Fleisch tut gut.“

Überhaupt: diese Feindseligkeit gegenüber deutschem Essen. Jasmin Ramadan schüttelt den Kopf. So als wäre alles, was nicht aus Deutschland kommt, per se besser. Sie schaut auf ihren Teller, das feine Tatar, das beinahe auf der Gabel zerfließt, erinnert sie dann an die Küche ihrer Großmutter: „Meine Oma hat sehr deutsch gekocht: ein Stück Fleisch, dazu Gemüse, Kartoffeln und dunkle Soße. Als Nachtisch gab es Dosenfrüchte. Den Saft hat sie vorher abgeschüttet, den musste ich dann trinken, weil der angeblich so gesund sei.“ Sie gesteht: „Ich esse heute noch gerne Dosenobst, wenn ich verkatert bin. Das hilft.“

So schlimm sei das Hausfrauenlatein nicht. Mettbrötchen sind „unglaublich lecker“, auf die lässt sie nichts kommen, auch wenn sie sich nach dem Supermarktbesuch so auf das Hack gestürzt hat, dass ihr ein wenig schlecht danach wurde. Mett ist für Jasmin Ramadan, was für Florian Illies in seinem Buch „Generation Golf“ das Nutella war: der Aufstrich ihrer Kindheit. Sie erinnert sich, wie sie damals mit ihrer Mutter durch das Kaufhaus ging und wenn sie hungrig wurde, die Mutter beim Bäcker ein dick bestrichenes Mettbrötchen kaufte. Sie erzählt, wie die Oma ihr das Hackfleisch auf die Schrippen gestrichen hat, wie diese überhaupt viel gekocht hat, was Rind oder Schwein so hergaben. „Ich hab sogar Hirn gegessen, Kalbsbries. Das schmeckte ganz zart, beinahe süßlich. Erst als Teenager habe ich rausbekommen, was das eigentlich ist – und hab dann sofort damit aufgehört.“

Doch die Neugierde auf rohe Speisen war ihr nicht mehr zu nehmen. Die Mutter schlug für sie manchmal abends ein Ei auf, das Eigelb verrührte sie mit Zucker und gab es der Tochter als Schlummersnack. Morgens gab es Brot mit Gurkenscheiben und Paprikaschoten. Wenn Jasmin Ramadan heute vor dem Fernseher sitzt, nascht sie Paprika und Gurke.

Langsam begeistert die Autorin ihren Freundeskreis für einiges, was ungekocht ist. „Letztes Jahr habe ich mal Tatar für Freunde gemacht“, erzählt sie. „Bin zum Schlachter, habe Rindfleisch gekauft, Worcestersauce runtergemischt, dazu klein gehackte Jalapeno-Chili, viel Petersilie und dann alles geknetet. Zum Schluss habe ich fein gewürfelte Zwiebeln darauf gestreut, eine kleine Kuhle geformt und ein Eigelb rein. Das schmeckte ausgezeichnet.“ Und die Reaktion? „Alle haben schweigend und glücklich gegessen – und sich gefragt, warum wir das nicht häufiger machen.“

Mett-Maid Ramadan hat eine Theorie, warum rohes Fleisch begeistert. „Es ist sinnlicher. Die Konsistenz ist ganz anders. Wir essen etwas, was nicht gegart ist, wir nehmen das unverändert zu uns, da wird ein Urinstinkt angesprochen. Das ist jedenfalls aufregender, als wenn ich einen Auflauf mache.“

Dieses Bäh-Gefühl, das in Kritikern möglicherweise aufsteigt, hält die Schriftstellerin für einen zeittypischen Reflex auf alles, was Fleischverzehr betrifft – und zieht eine Parallele zur Gastronomiegeschichte. „In den frühen 90er Jahren konnte sich auch kaum jemand vorstellen, rohen Fisch zu essen“, sagt sie. „Ich hatte Freunde, die sagten: Nie im Leben! Und heute essen sie alle Sushi. Das ist Fastfood wie McDonald’s geworden.“

Für sie waren die japanischen Fischrollen schon vor 15 Jahren eine Ergänzung des Speiseplans. „Ein guter Freund arbeitete damals im einzigen Sushi-Lieferservice von Hamburg. Der erzählte die tollsten Geschichten – von reichen einsamen Ehefrauen, die ihn dann in ihre Wohnung hineinbaten. Nach Feierabend brachte er die Reste mit, und die haben wir dann gemeinsam gegessen.“

Ihre Liebe zur Rohkost erhielt nur einmal einen empfindlichen Dämpfer, als im letzten Jahr todbringende Keime in frischem Gemüse auftauchten, die Ehec-Epidemie ausbrach. „Da habe ich sehr gelitten. Ich hatte Angst, ich werde krank, habe jede Banane heiß abgewaschen, bevor ich sie geschält habe. Am Ende war ich so hysterisch, dass ich mich von Tiefkühlgemüse ernährt habe, von Pasta mit verkochtem Gemüse, und nie gab es Salat dazu. Das war kein Vergnügen.“

Die Freude am rohen Essen ist zurückgekehrt. Jasmin Ramadan kann wieder hineinbeißen – in knackige Schoten und weichen Tatar. Sie erzählt vom Fischtatar im Hamburger Restaurant Meatery, das sie für den Abend empfehlen kann, von einer Freundin, mit der sie sich gezielt zum Tatar-Essen verabredet und dem unschlagbaren Gefühl, einmal ungegartes Fleisch zu versuchen. „Wie eine Mutprobe“, findet sie. Nur ein Problem hat sie bisher beiseite geschoben. Frau Ramadan, wie ist es mit Mundgeruch nach dem Essen? „Ich trinke einen Schnaps danach, der tötet die Keime ab.“ Und flugs bestellt sie einen Mirabellen-Obstler.

Jasmin Ramadan: Das Schwein unter den Fischen, erschienen im Tropen Verlag, 270 Seiten, 17,95 Euro

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