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Die Kantine des Petrolchemischen Kombinats in Schwedt, 1980.

© akg-images

Nachrufe auf DDR-Speisen: Kostalgie

Und tschüssi: Mit der DDR starben vor 23 Jahren auch die Griletta und ihre Genossen. Fünf kulinarische Nachrufe.

GEMÜSEEINTOPFGEWÜRZ

Wie schreibt man den Nachruf auf ein Gewürz? Nein, kein Gewürz, nur eine Gewürzmischung. Und sie hatte nicht einmal einen klangvollen Namen, sie hieß mit proletarischer Direktheit „Gemüseeintopfgewürz“. Die DDR neigte zur Schlichtheit, auch in kulinarischen Dingen.

Als im Sommer der Währungsunion aus unserer Ostkaufhalle über Nacht eine Westkaufhalle geworden war – alles, was es bis gestern gab, war verschwunden; alles, was es nie gegeben hatte, stand an seinem Platz – dachte ich noch, betäubt vor Überfülle: Werde ich dieses einfache kleine schmucklose Glas je wiedersehen? Das kann ich zu meiner Rechtfertigung wohl sagen: Ich habe die Stunde des Abschieds bemerkt.

Ich habe es nie mehr wiedergefunden. Die Sprache ist eine Bettlerin, sie kann nicht das Einfachste beschreiben, keinen Geschmack, keinen Geruch. Sie geht an Krücken, sobald sie das versucht.

Solange das „Gemüseeintopfgewürz“ da war, habe ich mich nie dafür interessiert, was drin ist. So geht das mit fast allen Dingen, deren Gegenwart uns allzu selbstverständlich erscheint. Es sah ein wenig aus wie getrockneter Rosmarin, nur fragiler, blässlicher. Aber ob Rosmarin überhaupt drin war? Ich weiß es nicht. Ich bin diesem Geschmack nie mehr begegnet. Ich weiß nur, dass dieses Gewürz einmal die Rechtfertigung der Erschaffung des Gemüses gewesen sein muss. Insbesondere der grünen Bohnen, am besten mit Lammfleisch, Zwiebeln und Kartoffeln gekocht, ungebunden. Und dann der Augenblick, da sich die Oberfläche des Gerichts, fein bestreut, bis zur Undurchsichtigkeit mit dieser Köstlichkeit bedeckte. Nach dem Kochen! Immer nach dem Kochen! Und rede mir keiner von Bohnenkraut! Ich habe nie verstanden, was Bohnenkraut in der Nähe von grünen Bohnen verloren hat. Seit dem Sommer 1990 sieht mir jedes Gemüse ein wenig verwaist aus. Kerstin Decker

JADE

Im Jahr 1987 besuchte ich mit meinen Eltern das Restaurant, das als das beste Ost-Berlins galt, das „Jade“ im Palasthotel. Jedenfalls war es das teuerste, in dem man mit Mark der DDR bezahlen konnte.

Entsprechend hoch waren nicht nur die Anforderungen ans Personal, sondern auch an die Kundschaft. Wir hockten am Boden und bekamen vor dem Essen Schatullen mit feuchtwarmen Waschlappen darin. Was mit denen zu machen sei, war keinem von uns klar. Meine Mutter nahm an, dass man sie aufs Gesicht legen sollte, zur Entspannung vor dem Mahl. Wir guckten uns um, ob andere Gäste Waschlappen auf den Gesichtern hatten, und sahen nichts dergleichen. Da Untertanengeist sich jedoch nicht allein aus Erfahrung und Empirie speist, sondern mindestens so sehr aus Mutmaßung, lehnten wir uns zurück, legten die Tücher auf die Gesichter und dachten: Gut, dass wir irgendetwas mit den Dingern tun, wir sind Kunden der gehobenen DDR-Gastronomie, da darf man auf keinen Fall undankbar erscheinen.

Die Kellnerin, die die Lappen einsammelte, ließ sich nichts anmerken, wir wussten nicht, ob wir es richtig oder falsch gemacht hatten, wir waren froh, dass man uns nicht tadelte.

An den Rest des Essens kann ich mich nicht erinnern, jedenfalls nicht konkret. Ich weiß nur, dass ich den ganzen Jade-Besuch großartig fand, weil ich ihn für ganz und gar DDR-untypisch hielt. Dass er ganz und gar DDR-typisch war, weiß ich heute und würde gerne sagen: Selbst beim Essen war nicht alles schlecht. David Ensikat

LUKULLUS

Die Bezeichnung „Kalter Hund“ klang wohl zu banal. Dabei wäre sie für Kinder wesentlich ansprechender gewesen als der weitaus umständlichere Name Lukullus, der in dem Backbuch neben dem Foto des Schoko-Keks-Kuchens stand. Trotzdem war ich fest entschlossen und besorgte in der Kaufhalle Kekse, Kakaopulver, Eier und Kokosfett. Allein schon das zu einem Würfel gepresste Öl ohne größere Kollateralschäden aus seinem silberbeschichteten Papier zu befreien: eine Herausforderung. Dass aus diesem schmierigen Brocken in Verbindung mit den anderen Zutaten tatsächlich etwas Essbares, ja sogar unfassbar Leckeres entstehen würde – für eine Achtjährige ein wahres Wunder! Eines, das ich in einem Anflug von Nostalgie vor kurzem wiederholen wollte. Vielleicht lag es an den Keksen mit den 52 Zähnen, die in ihrem unverarbeiteten Zustand nicht an das staubige Geschmackserlebnis ihrer DDR-Kollegen heranreichen. Vielleicht lag es aber auch am Kokosfett, das praktisch portioniert in seiner Verpackung geknickt und rausgedrückt wird, ohne dass man Finger und Umgebung schmutzig machen muss. Das Ergebnis war jedenfalls total enttäuschend und verdiente eher die Bezeichnung „Schöner Mist“. Nana Heymann

ROTE GRÜTZE

Einer der kulinarischen Schocks nach der Wende war der Verzehr von Roter Grütze bei West-Verwandten. Da waren ja ganze Fruchtstücke drin, die Konsistenz hatte etwas von einer zähen Sauce, und richtig süß war das wegen der Sauerkirschen auch nicht. Wahrscheinlich waren da sogar echte Vitamine drin. Verrat!

Wenn ich mir als Kind ein Tüte Rote Grütze für zehn Pfennige im Konsum kaufte, das Pulver mit Wasser und Zucker verrührte und anschließend für eine Stunde in den Kühlschrank stellte, kam ein wackelnder rosaroter Pudding mit Bonbongeschmack heraus. Nein, keine Götterspeise, die machte mein Bruder immer, sondern ein Klumpen Glückseligkeit. Der war so künstlich, dass er schon wieder schmeckte. Jedenfalls einem Zehnjährigen, der eigentlich alles verschlang, wenn es nur süß war.

Die Ost-Grütze war auf Griesbasis hergestellt, daher geriet der Pudding ein wenig körnig. Die Zähne sahen danach aus, als hätte man sie in einen Farbtopf getunkt – und auch der Zahnarzt hatte seine helle Freude an meiner Nascherei. Stundenlang bohrte er in meinem Gebiss herum. Nicht dass mich das abgehalten hätte, drei Tage später wieder pfeifend in den Konsum zu gehen und eine Tüte für zehn Pfennige zu kaufen. Ulf Lippitz

GRILLETTA

Bis vor kurzem dachte ich, die Grilletta wäre, im Gegensatz zu Nudossi oder Club Cola, völlig verschwunden. Zumindest im „DDR Restaurant Domklause“ an der Spree hat sie wohl überlebt. Für 4,20 Euro könnte ich dort noch einmal hineinbeißen in die sozialistische Variante des Hamburgers. Aber will ich das wirklich?

Da ich beim Mauerfall zarte sieben Jahre alt war, habe ich wenige Erinnerungen ans Essen in der DDR (dafür einige an pampige Ost-Kellner), die Grilletta jedoch habe ich geliebt. Es gab sie, wann immer ich mit meinen Eltern aus Randberlin zum Alex fuhr. Sogar Westbesuch durfte sie kosten, wenn ich mich nicht irre. Eine Grilletta bestand aus einem Brötchen mit knuspriger Kruste, einer Schweinefleischbulette sowie Ketchup oder – im Falle von Ketchup-Engpass – einem süßsauren Chutney. Im Prinzip war sie der fleischgewordene Beweis dafür, dass der Sozialismus nicht mithalten konnte und hilflos kopierte, was es im Westen gab. Die Ketwurst, die ostdeutsche Version des Hot Dog, ist ein anderes Beispiel dafür.

Allein, im Fall der Grilletta schmeckte die Kopie besser als das Original. Jedenfalls war ich ziemlich enttäuscht, als ich nach 1989 die Hamburger von McDonald’s und Burger King probierte. Natürlich ist es möglich, dass mir meine Erinnerung einen Streich spielt. Doch an manche Kindheitsmythen sollte man nicht rühren. Dass ich nun lernen musste, dass die Grilletta vom „Rationalisierungs- und Forschungszentrum Gaststätten“ erfunden wurde, um die Besuchermassen in Ost-Berlin besser abfüttern zu können, war schon desillusionierend genug.Björn Rosen

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