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Gesellschaft: olé Klein, aber

Croquetas, Anchovis, Patatas Bravas, Jamón … Tapas sind für Leute, die gern wenig von vielem essen wollen. Die spanische Häppchenkultur breitet sich auch in Berlin aus

Für Viktoria Rötzer ist die Tapas-Bar Manuela in Neukölln ihr „zweites Wohnzimmer“. Hier trifft sie ihre Freunde und isst einen Happen, wenn sie mal keine Zeit zum Kochen hat. „Das Beste ist: Ich kann essen, wann ich will, und je nach Hunger so viele Tapas bestellen, wie ich will“, findet sie.

Tapas sind mehr als kleine Portionen, in Schälchen serviert. In Spanien, wo sie herkommen, sind sie ein Stück mediterraner Leichtigkeit, omnipräsent wie Sushi in Japan oder Pizza in Italien. Im Flughafenbus von Barcelona rät das Bordfernsehen zum richtigen Rezept von frittierten Anchovis, im ehemaligen Rotlichtbezirk Raval stehen sich die Berufstätigen die Füße platt, um Patatas Bravas zum Wermut zu essen und die Servietten danach auf den Boden fallen zu lassen.

So sieht ein Lebensgefühl aus, das mittlerweile in der ganzen Welt funktioniert: eine Mischung aus größtmöglicher Freiheit und Sich-zu-Hause-Fühlen. „Die Tapas-Kultur passt gut zu Berlin, denn hier will jeder möglichst viel erleben, aber sich nicht für eine Sache entscheiden müssen. Und gleichzeitig sucht jeder einen Ort, an dem er sich wohlfühlt“, sagt Laura Serra, Besitzerin der Neuköllner Manuela Bar.

Wer in eine Tapas-Bar geht, trifft sich nicht, um zu essen und nicht um zu trinken. Man entscheidet sich nicht für ein Gericht, eine Bar, ein Getränk. „Tapas – das ist die Vielfalt an geschmacklichen Herausforderungen“, schrieb einmal der Schriftsteller Manuel Vázquez Montalbán. Er meinte die Herausforderung, sich bei einem Essen gleich mehrmals entscheiden zu müssen.

Tapas-Bars gibt es seit Jahren auch außerhalb von Spanien, in New York gehören sie genauso zum Trendessen wie in Tel Aviv. Das „Time Out Tel Aviv“ kürte eine Tapas-Bar zum besten neuen Restaurant der Metropole, das Tapas Ahad Ha’Am. Auch Berlin entdeckt seit einiger Zeit das spanische Lebensgefühl. Hier gibt es die bodenständige Variante in der Manuela Bar, mediterranes, typisch spanisches Feeling im Átame, einen Hauch von Luxus und Eleganz im Dos Palillos und ab Februar urbane Atmosphäre in der neuen Bar Raval.

Die Bodenständige. Freitagabend, 21 Uhr. Im Manuela (Friedelstr. 34) ist keiner der Holztische mehr frei, auch die lange Bar ist voll. Junge Gäse unterhalten sich, einige modisch gekleidet mit Röhrenjeans und Turnschuhen. Im Hintergrund läuft spanische Musik. Neben der Bar steht eine Glasvitrine mit gekühlten Tapas: Tortillastücke, Kichererbsensalat, in Sherry eingelegte Würstchen. Ein Gast steht davor und zeigt der Kellnerin, was er gern möchte. „Una tortilla“, bestätigt die Spanierin und ruft die Bestellung noch einmal laut in Richtung Küche.

Dass das Manuela ein spanisches Lokal ist, sieht man ihm erst auf den zweiten Blick an. Da ist die lange Bar, die Tapas-Vitrine, manchmal spanische Musik, manchmal spanische Kellner. „Uns war wichtig, dass das Restaurant in den Berliner Kontext passt“, sagt Laura Serra, sie dachte vor allem an den Wunsch vieler Menschen, naturnah zu leben. Ihr Mann Juanjo, der Chefkoch des Lokals, verwendet deshalb Zutaten aus biologischem Anbau und am liebsten aus der Region, es gibt Biosäfte und jeden Tisch zieren kleine Blumensträuße, die Laura Serra selbst zusammenstellt. Die Rezepte von Juanjos spanischer Oma Manuela stehen auf der Karte: ihre Albondigas, die würzigen Hackfleischbällchen, ihre Croquetas, mit Schinken und Bechamelsauce gefüllte Kroketten, und ihr Ensaladilla Rusa, der Kartoffel-Mayonnaise-Salat.

Die Mediterrane. Donnerstagabend, 20 Uhr, Bar Átame in Mitte (Dircksenstr. 20). Menschen jeden Alters sind da, einige direkt aus dem Büro, wie es die Spanier machen, andere Gäste haben sich in Schale geworfen. Sie sitzen an kleinen Tischen, an der Bar warten Hungrige darauf, einen Platz zu bekommen. „Una tapa de boquerones fritos y un vino tinto del día – eine Tapa frittierte Sardinen und ein Glas Rotwein von der Tageskarte“, ruft ein schwarzhaariger junger Kellner aus Valencia einer kleinen Madrilenin mit dunklen Knopfaugen zu, die hinter der langen Holztheke steht. Beide sind schwarz gekleidet, schwarze Bluse, schwarze lange Schürze. Die Madrilenin gibt die Bestellung an die Küche weiter, der spanische Koch gießt sofort Öl in eine Pfanne und gibt die Fische hinein. Die Kellnerin schenkt einen spanischen Rotwein ein, einen Nekeas Crianza. Der Kellner unterhält sie auf Spanisch.

Man merkt schon, die Besitzer des Átame haben sich für viel Spanien und Mittelmeer entschieden – für eine gute Portion Folklore eben. Als das Lokal vor 13 Jahren eröffnete, war es eine der ersten Tapas-Bars der Stadt, heute ist es eine der bekanntesten. Orange gestrichene Wände, eine lange, geschwungene Holztheke, andalusische Kacheln und Almodóvar-Filmplakate bestimmen die Einrichtung. Eine Anspielung an den spanischen Regisseur Pedro Almódovar ist auch der Name der Bar: „Átame“ ist ein Film von 1990, mit dem damals noch unbekannten Antonio Banderas. Damit Atmosphäre und Essen harmonieren, legt die französische Geschäftsführerin Ghislaine Chapon Wert darauf, dass die Köche die traditionellen Rezepte beherrschen.

Die Elegante. Samstag, 14 Uhr. Wenige Gäste sitzen an der hellen, hölzernen Theke des Dos Palillos in Mitte (Weinmeisterstr. 1), von der man direkt in die Küche hinein blickt. Es sind Gäste, die nicht auf den Preis achten und kulinarische Überraschungen suchen. Tapas à la carte gibt es, die meisten wählen jedoch das Mittagsmenü mit vier Gängen. Die Köche haben sich für in Wasabi marinierte Radieschen mit grünem Apfel, chinesische Ravioli mit Schweinehack und Gemüse, und Pimientos del Padron mit Tintenfisch entschieden. Die Kellner erklären den Gästen, was sie erwartet. Ruhige Jazzmusik läuft im Hintergrund, auf der Rosenthaler Straße eilen Touristen vorbei, manche wollen in das Hotel Casa Camper, gleich neben dem Restaurant.

Das Dos Palillos kommt ohne spanisches Ambiente aus und ist doch typisch. Es ist ein minimalistisch eingerichtetes Restaurant, das der katalanische Spitzenkoch Albert Raurich konzipiert hat. Er war früher Küchenchef in Adrian Ferrats Dreisternerestaurant El Bulli, Aushängeschild der spanischen Avantgardeküche. Dann kochte er für das Dos Palillos in Barcelona, der Mitte-Ableger eröffnete im vergangenen Winter.

Raurich wünschte sich für Berlin einen deutschen Küchenchef, ein Freund empfahl ihm Bernhard Munding – und der arbeitete schließlich für einige Wochen im Mutterlokal mit, um das Konzept zu verinnerlichen. Die Karte ist in beiden Lokalen ähnlich, Munding und Raurich tauschen regelmäßig Rezepte aus, gleichzeitig besitzt jeder Gestaltungsfreiheit. „Die Gäste kommen nicht zu uns, weil sie Hunger haben. Sie wollen verschiedene Sachen ausprobieren, sich überraschen lassen“, sagt Munding.

Die Urbane. Barcelona, die trendige Stadt, hat die Mannschaft von der Bar Raval inspiriert. Das Lokal eröffnet am 12. Februar in Kreuzberg (Lübbener Str. 1). Um Authentizität zu bewahren, haben sich die Gründer Zeit genommen, sie haben Fliesen aus Barcelona bestellt, sind über Flohmärkte der katalanischen Hauptstadt geschlendert und haben über Details wie Porzellankleiderhaken gestritten. Von den vier Partnern haben drei spanische Wurzeln: unter anderem Bar-Sprecher Atilano Gonzalez und Schauspieler Daniel Brühl.

Gonzalez hat früher in Berlin Partys organisiert und den Modeladen „Bless“ mitgegründet, er weiß, was zu einer guten Location gehört. Brühl hat seine Ferien in Spanien verbracht und eine Zeit lang dort gelebt, er weiß, wie es sich in einer Tapas-Bar anfühlt.

Immer wenn Gonzalez, dessen Eltern aus Galicien sind, und Brühl, dessen Mutter Katalanin ist, von einem Besuch in Spanien zurückkamen, wünschten sie sich ein Tapas-Lokal um die Ecke. Sie träumten von einem Ort, an dem man zu jeder Tages- und Nachtzeit eine Kleinigkeit essen, gute Musik hören, die richtigen Leute treffen kann. So wie sie es aus Barcelona kannten, vor allem aus dem Raval. „Kreuzberg hat viel mit diesem Stadtteil gemeinsam“, sagt Gonzalez. „An beiden Orten gibt es jede Menge Cafés, Bars und Clubs und es leben dort Menschen aus der ganzen Welt.“

Atilano Gonzalez kümmert sich nun um das gemeinsame Baby. Einen Koch gibt es schon, natürlich einen echten Spanier. Überzeugt hat er bei einem Tapas-Abend bei Gonzalez zu Hause, es gab mehr als 20 verschiedene Häppchen, ein paar Klassiker wie Patatas Bravas und vergessene Gerichte wie die Esqueixada – ein Kabeljausalat. So will das Raval auch erfahrene Geschmäcker gewinnen. Aber für Gonzales ganz wichtig: Die Gäste sollen sich wohlfühlen. Und lieber bei Wermut aus dem Syphon laut schnattern als verkniffen ihr Essen verspeisen.

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