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Bernd Matthies

© Mike Wolff

Restaurantkritiken im Internet: Günstig, reichlich, lecker

Restaurantportale im Internet versetzen Köche in Angst und Schrecken. Die Kriterien sind unberechenbar, die Expertise ist oft zweifelhaft. Unser Restaurantkritiker Bernd Matties hat sich umgeschaut.

Als die moderne Restaurantkritik erfunden wurde, fand sie ihren Platz in ein paar Fachzeitschriften. Später eroberte sie die Tagespresse – dann kam das Internet und machte aus ihr in den Restaurantportalen ein Massenphänomen: Gemecker, aber auch Jubel, dummes Gerede und sachkundige Analyse in dichter Folge. Fast scheint es, als gäbe es inzwischen mehr Verfasser als Konsumenten solcher Texte.

Und nun stöhnen die Köche und Kellner über eine Öffentlichkeit, die jeden ihrer Handgriffe rezensiert, egal, ob es um ein weltberühmtes Top-Restaurant geht oder um eine Weddinger Imbissbude. Denn manchmal schreiben wichtigtuerische Experten, manchmal auch Ignoranten, denen es nur ums Meckern und Aufsehenerregen geht. „Irgendwie würde ich mir wünschen, dass Yelp nicht existiert“, stöhnte ein anonymer New Yorker Wirt kürzlich mit weltweiter Facebook-Resonanz über das Portal, „es ist alles sehr subjektiv, und leider halten es die Leute für die Wahrheit.“

Die Szene der Restaurantportale ist nicht so unübersichtlich, wie sie auf den ersten Blick aussieht. Das liegt vor allem an Yelp, dessen Bedeutung in diesem speziellen Bereich durchaus mit Google oder Facebook zu vergleichen ist. Yelp hat sich erst das Konkurrenzportal Qype einverleibt, nun vor wenigen Wochen auch noch das deutsche Portal restaurantkritik.de. Andere deutsche Konkurrenten sind dabei, unter die Wahrnehmungsschwelle zu sinken, sofern sie überhaupt jemals drüber waren. Dazu gehören „Marcellinos“, der das Prinzip als gedrucktes Buch praktisch erfunden hat, dann aber im Netz nicht mehr durchdrang, dazu gehören auch die Online-Kommentarfunktionen der Restaurantführer wie Michelin oder Gault & Millau, die ebenfalls kaum jemand nutzt. Einzig das stark von internationalen Touristen geprägte Portal „Tripadvisor“, das sich ursprünglich nur mit Hotelrezensionen befasste, kann es derzeit mit Yelp aufnehmen.

Der Dreh bei allen wichtigen Portalen ist natürlich das Ranking, das sich mehr oder weniger automatisch aus den Einzelbewertungen der Nutzer ergibt. Tripadvisor führt allein für Berlin gegenwärtig sagenhafte 5852 Restaurants auf, die allerdings längst nicht alle auch bewertet werden; viele sind längst geschlossen.

Dennoch ergibt sich eine Rangfolge, die allen Gegnern dieses Prinzips mehr als reichlich Munition bietet. Denn es ist natürlich komplett sinnlos, richtige Restaurants wie das „Heising“ auf Platz 1 mit Eisdielen („Vanille und Marille“, Platz 2) und Pizzabars („Kati & Dani“, Platz 3) zu vergleichen, schon gar nicht, wenn das Resultat in einem Fall auf über 500, im nächsten aber auf gerade 16 Bewertungen beruht.

Lieblingsadjektiv: butterweich

Bernd Matthies
Bernd Matthies.

© Mike Wolff

Doch das Ranking lässt sich natürlich auf Sparten eingrenzen und gewinnt dadurch ein Stück an Aussagekraft. Jedenfalls theoretisch, denn was da geschrieben wird, zerstört jeden Glauben an die Sinnhaftigkeit dieser Rezensionen. Als höchstes Lob gelten Aussagen wie „Sehr zu empfehlen“, „lecker“, „superlecker“, „zivile Preise“, oder – wir sind in Berlin – „kann man nicht meckern“. Und das Lieblingsadjektiv „butterweich“, das auf praktisch jedes essbare Lebensmittel angewendet wird, lässt Zweifel am Zahnstatus der Verfasser aufkommen.

Fünf Punkte, also die volle Wertung, gibt es beispielsweise mit der Erklärung „Wo isst man besser ein leckeres Berliner Gericht als hier??? Ich kenne keines! Sonderwünsche zur Portion oder vornweg den mitgebrachten Kinderbrei warm machen alles problemlos und freundlich.“ Tim Raue (Platz 48) wird es verkraften, dass ein Gast behauptet, ihn erinnerten seine Saucen an „Asterix’ Krabbenzahnfleisch aus der Mongolei oder die in Auerochsenfett gebratenen Schweinkaldaunen“ – denn er hat trotzdem den „Tripadvisor Traveller’s Choice Award 2014“ bekommen, eine Auszeichnung, die irgendetwas zu bedeuten hat. Besonders skurril: Ein großer Teil der Bewertungen ist automatisch aus dem Englischen übersetzt und kann allenfalls als Partygag dienen, „obwohl Früschtuck vielleicht mehr als Sie zu verbringen wollen, wenn man ein super Budget Reise“.

Yelp, obwohl aus den USA ferngesteuert, hat unter den Berlinern selbst viel größere Resonanz, schon wegen der alten Qype-Nutzer – und die Anhänger sind wohl auch deutlich jünger. Eine Rangliste gibt es sinnvollerweise nur innerhalb der Unterkategorien, aber auch die dort angegebene Reihenfolge ist kaum nachzuvollziehen. Das Portal setzt eine spezielle Software ein, die offenbar der Plausibilitätskontrolle dienen soll. Sie hebt „empfohlene“ Beiträge hervor, zeigt die anderen nur auf Nachfrage. So bringt es das „Heising“, das schon lange aus den meisten gedruckten Restaurantführern verschwunden ist, auch hier auf die volle Punktzahl, aber die basiert auf nur elf Beiträgen, von denen einer aus dem Jahr 2007 stammt. Auch in der Bewertung des „Lorenz Adlon“ finden sich solche Antiquitäten; zudem sind einige positive Beiträge nutzlos, weil sie erkennbar nicht das Lorenz-Restaurant, sondern Kaffee und Kuchen in der Lobby loben. Manchmal scheinen auch sachfremde Erwägungen hineinzuspielen, wenn die kritische Neuköllner Rezensentin am Ende mitteilt: „Ein Nachbar. Vielleicht nicht ganz objektiv weil not amused about gentrification.“

Noch systematischer als die Konkurrenz wirkt restaurantkritik.de. Dieses Portal erfasst nicht nur Texte, sondern drängt seinen Nutzern auch eine Art Fragebogen auf: „Essen frisch/selbstgemacht?“, „Essen kreativ?“, „Wirkten die Toiletten sauber?“, was dann mit Ja oder Nein beantwortet werden kann.

Auch hier ist die Nutzerschar alles andere als homogen. Gourmets werden verzweifeln, wenn „Micha30“ über „Grambauers Kalit“ in Angermünde mitteilt, „ich hatte ein Würzfleisch und den Klassiker bestellt, sehr lecker und sehr viel“. Umgekehrt dürfte Micha kaum Verständnis für „RudolfoGastroskop“ haben, der im „Facil“ bei Saiblingskaviar mit Grünkohl und Ziegenjoghurt abhebt – beides aber führt gleichermaßen zur Höchstbewertung. Eine Art running gag ist für viele gequälte Köche die Amateurkritik an „Salzklumpen“ – die in Wirklichkeit Flocken von Meersalz oder Fleur de Sel sind.

Plötzlich standen die Japaner vor der Tür

Bernd Matthies
Bernd Matthies.

© Mike Wolff

Folglich sind nur wenige Köche und Wirte glücklich über die Bewertungsflut. Tim Raue sagt, er lese zwar die Bewertungen seiner drei Restaurants ab und zu, halte aber nichts davon, zu antworten. „Wenn einer dreimal schreibt, dass er einen Gang zu scharf findet, was soll ich da machen?“ Für seinen geschäftlichen Erfolg, so sagt Raue deutlich, sind drei Bewertungen wichtig: „Die Liste der 50 Besten, der Michelin und der Gault-Millau.“

Ganz anders sieht es Edelgard Heising, die seit 35 Jahren das Nummer-Eins-Restaurant in der Rankestraße führt. „Eines Tages“, so berichtet sie, „standen Leute mit einem iPad vor der Tür, klingelten und wollten reservieren. Dann kamen wir ins Gespräch und ließen uns erklären, was da passiert war.“ Der Ruhm veränderte den Gästekreis: Das altväterlich gediegene Restaurant, das vor allem ältere Berliner Gäste hatte, wird nun plötzlich von jungen Japanern oder Brasilianern besucht. „Dass wir das beste Restaurant in Berlin sind, will ich nicht behaupten“, sagt Edelgard Heising, „aber das beliebteste, damit kann ich gut leben.“

Gern wird, schon zu Werbezwecken, aus den Ergebnissen der Restaurantportale herausgelesen, dort stehe, was die Gäste wirklich denken (und nicht die Profi-Kritiker). Richtig ist: Die allermeisten dieser Restaurants werden von Profis nie betreten. Grundsätzlich zieht sich aber durch die Leserkritiken eine gewisse Linie, fast schon ein Erfolgsrezept: Das Lieblingsrestaurant sollte in einem sehr familiären Stil betrieben werden und möglichst an ein Wohnzimmer erinnern. Die Speisekarte sollte nicht zu umfangreich sein – aber extrem wichtig ist die Bereitschaft von Küche und Service, auf absurdeste Änderungswünsche bis hin zur kompletten Vernichtung des eigentlich angebotenen Gerichts einzugehen.

Wasser für Hunde ist wichtig, das Verbot, Hunde mitzubringen, ebenfalls, zu viel Kindergeschrei nervt, aber Babynahrung sollte umgehend aufgewärmt werden. Viel und billig, das muss sein, komplizierter ist es dagegen mit den vegetarischen Offerten, die zwar kategorisch verlangt, aber dann doch nie bestellt werden, Nudeln ausgenommen. Ach, und Pizza! Es ist sicher kein Wunder, dass dieses anspruchsvolle Profil am besten von der Pizzeria um die Ecke erfüllt wird.

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