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Schon was vor in fünf Wochen? Wer schick essen will, muss immer häufiger einen Blick in den Terminkalender werfen und langfristig planen.

© ilovemayorova - Fotolia

Restaurantreservierung: Leider ausgebucht!

Spontan essen zu gehen, wird in Berlin schwierig. Angesagte Restaurants sind auf Tage oder Wochen ausgebucht. Hilft die App mit Last-Minute-Funktion? Ein Reservierungs-Report.

Neulich in Neukölln, am Freitagabend. Dass man hier nicht nur gut trinken, sondern auch zunehmend gut essen kann, hat sich längst rumgesprochen. Im Chicha zum Beispiel. Da einfach spontan vorbeikommen, das ist schwierig. Das Gros der Gäste in dem angesagten Peruaner mag um die 30 sein und hart am Wind segeln, was den Zeitgeist angeht – ihren Abend planen sie offenbar so pedantisch wie ein gewissenhafter Buchhalter: lange im Voraus.

„Am Donnerstag mach ich meistens die Liste zu“, sagt Robert Peveling-Oberhag, der das Chicha betreibt. Dann sind alle Tische fürs Wochenende reserviert. Und zwar mehrfach. Kein Einzelfall: Im Industry Standard an der Sonnenallee, einem weiteren Favoriten der essensverrückten Millenials, serviert man Ochsenzunge mit Rote Bete und Knochenmark mit Miesmuscheln. Die Tische für einen Freitagabend um 20 Uhr? Schon am Montagmittag ausgebucht.

Ein freier Fünfer-Tisch ist wie ein Sechser im Lotto

Eine Woche später, in Mitte, wieder 20.30 Uhr. Gesucht wird: ein Tisch für fünf. Cordobar, knallvoll. 3 Minutes sur mer, vielleicht gegen 22 Uhr? Dóttir, aussichtslos. Dann im Das Lokal: „Wahnsinn was für ein Glück ihr habt!“ Eine Reservierung sei gerade ausgefallen. Der Restaurantleiter klingt, als hätte man einen Sechser im Lotto gewonnen – und nicht einen Fünfer-Tisch am Freitagabend.

Momentaufnahmen, ja, aber es sieht ganz danach aus, als hätte sich etwas Grundsätzliches verändert im Ausgehverhalten. Essen ist eine Freizeitbeschäftigung mit ordentlich Vorlauf und auf jeden Fall einer Reservierung geworden.

Der Boom der Reservierungen lässt sich auch in harten Zahlen ausdrücken: 198,6 Millionen Euro. So viel hat eine japanische Holding vergangenes Jahr für Quandoo ausgegeben; wer online schon mal einen Tisch gebucht hat, dürfte das Reservierungssystem kennen. Das Berliner Start-up mit knapp 300 Mitarbeitern ist die Nummer zwei nach Open Table aus San Francisco. Wenn man einmal dort registriert ist, bekommt man sehr regelmäßig per E-Mail Ideen geschickt, wo man essen gehen könne.

2,6 Milliarden Dollar für den Marktführer Open Table

Das Geschäftsmodell funktioniert so: Restaurants zahlen eine monatliche Gebühr für die Software von 20 bis 100 Euro – je nach Ausstattung. Dazu kommen pro abgeschlossener Reservierung noch ein bis zwei Euro Prämie. Für den Wirt ist das System praktisch. Es ersetzt das klassische Reservierungsbuch und erleichtert das Gästemanagement. Auch eine Gästedatenbank kann man aufbauen und Mailings verschicken. Offenbar ein lukrativer Markt. Open Table, der Marktführer, wechselte zuvor für 2,6 Milliarden Dollar den Eigentümer.

Erst bezahlen, dann essen - ein Ticket für's Restaurant

Das Internet hat das Reservieren bequem gemacht. Nicht mal mehr zum Telefon muss man greifen. Vielleicht zu bequem? Viele Restaurants kämpfen mittlerweile mit dem Problem, dass Leute fleißig Tische reservieren, dann aber gar nicht kommen. Darunter leidet vor allem die Spitzengastronomie.

Tim Raue hatte einen Schlüsselmoment. Eine Gruppe hatte einen Siebener-Tisch reserviert. Doch Tim und Marie- Anne Raue hatten Zweifel, dass sie zu ihnen in die Rudi-Dutschke-Straße kommen. Schließlich lag unter diesem Namen zeitgleich eine Buchung im La Soupe Populaire vor, auch für sieben Leute. Das Restaurant betreiben ebenfalls die Raues. Und deshalb sehen sie in ihrem System, wer da reserviert.

Es sei gar nicht so selten, dass gerade die so wichtigen internationalen Gäste Tische in verschiedenen Restaurants reservieren – und sich in letzter Minute entscheiden, wo sie essen. Für den Wirt eine Katastrophe.

Wer nicht kommt, muss trotzdem zahlen

„Wenn so ein Siebener-Tisch ausfällt, ist das für ein kleines Restaurant wie unseres schnell ein Umsatzausfall von 20 Prozent am Abend“, sagt Raue. Aufs Jahr käme da ein sechsstelliger Betrag zusammen. Jetzt verlangen sie bei der Reservierung die Kreditkartennummer und, falls der Gast nicht kommt, eine No-Show-Gebühr von 88 Euro – angelehnt an die chinesische Glückszahl Acht. „Wir haben uns lange dagegen gesperrt. Es geht nicht anders.“Seither seien Ausfälle deutlich seltener geworden. Kulant sei man dafür mit Absagen, etwa wegen Krankheit. Bis 24 Stunden vorher sei das kein Problem, es gebe ja eine Warteliste.

In Deutschland gehört Raue zu den Vorreitern. Nur wenige Restaurants erheben bislang No-Show-Gebühren. In den USA gehen viele schon zwei Schritte weiter. Da ist „Ticketing“ gerade das heiße Ding. Will man etwa ins Chicagoer Alinea, aktuell Platz 26 auf der berühmten San-Pellegrino-Liste der besten Restaurants der Welt, muss man das Menü schon beim Buchen bezahlen. Wie ein Ticket fürs Flugzeug. Mit No Shows, die dem Restaurant mit 64 Plätzen vormals eine Viertelmillion Dollar an jährlichem Umsatz gekostet hätten, hat man keine Probleme mehr.

Seltener Anblick. Wo der Sternekoch Tim Raue die Löffel schwingt, bleiben selten Tische frei. Wer reserviert hat und nicht kommt, zahlt eine No-Show-Gebühr von 88 Euro.
Seltener Anblick. Wo der Sternekoch Tim Raue die Löffel schwingt, bleiben selten Tische frei. Wer reserviert hat und nicht kommt, zahlt eine No-Show-Gebühr von 88 Euro.

© dpa

Begehrte Plätze werden versteigert

Ticketing scheint erst der Anfang. In den USA starten gerade eine ganze Reihe von Programmen und Apps, die den sogenannten Terminbuchungsmarkt ganz schön aufmischen könnten.

Kleine Kostproben:

Tock: Das Buchungssystem verkauft Tickets, das Restaurant kann die Preise nach Tag und Uhrzeit modifizieren. Wer am Dienstag um 18 Uhr essen will, bekommt das Menü günstiger als am Samstag um 19.30 Uhr. Prinzip Happy Hour.

Resy: Diese App bietet eine Last-Minute-Funktion. Wer sehr kurzfristig einen begehrten Tisch haben will, muss 20 Dollar drauflegen.

Reserve: Die App erlaubt dem Restaurant unter anderem, begehrte Plätze meistbietend zu versteigern.

400 Reservierungen beim Gallery Weekend

Geld für eine Reservierung nehmen? Das hat man im Grill Royal noch nie erwogen. Dabei könnte sich das durchaus lohnen. Zur Fashion Week oder dem Gallery Weekend kämen schon mal 400 Reservierungen auf einen Abend, erzählt Moritz Estermann, der Geschäftsführer. Im Petit Grill, der gerade eröffneten Dependance in Charlottenburg, muss man für einen Tisch am Freitagabend schon zwei bis drei Wochen vorher anrufen. No Shows gibt es trotzdem gelegentlich.

„Oft sind das die ganz frühen oder sehr späten Tische.“ Da kann ja schon weiß Gott was passiert sein, das einen vom Besuch abhält. Deshalb überbuchen sie in Mitte die Tische. „Das kann eben dazu führen, dass man bei späteren Reservierungen ein paar Minuten an der Bar warten muss. Das sagen wir vorher am Telefon an.“

Im Dóttir werden Gäste an die Reservierung erinnert

Das Grill Royal hat 180 Plätze, das Dóttir, vom selben Team betrieben, nur 30. Überbuchen ist hier keine Option, dafür gibt es zwei Seatings: entweder früh, ab 18, 18.30 oder 19 Uhr, oder spät, ab 20 Uhr. Jeweils für zwei Stunden hat man einen Tisch. Um No Shows zu vermeiden, rufen die Betreiber alle Gäste vorher noch mal zur Erinnerung an. Viel Aufwand: Vier Leute arbeiten am Telefon.

Natürlich gibt es zu dem Trend längst einen Gegentrend. Restaurants, die gar keine Reservierung annehmen und damit wiederum einen Hype schaffen.

Das House of Small Wonder in Mitte ist so eins. Hier kann man Gerichte bestellen, die Japaner jeden Tag essen. Also nicht Sushi und Sashimi, sondern Taco-Rice und japanisches Curry. Wenn alle Tische besetzt sind, und das sind sie, wenn man samstags oder sonntags zum späten Frühstück kommt, eigentlich immer, muss man einfach warten. Eine grobe Zeitangabe, wie lange es noch dauert, bekommt man vom Servicepersonal und, wenn man möchte, einen Platz auf der Warteliste. Damit man später wieder vorbeischauen kann, wenn was frei sein sollte. Angerufen wird man nicht. Verständlich, denn das wäre ja schon fast wieder wie reservieren. Allerdings wartet man so oft länger auf einen Tisch, als man dann an ihm sitzt.

Den Reservierungsbutton klicken bis der Finger raucht

Für alle, die sich jetzt ärgern, weil das alles so kompliziert geworden ist mit dem Essengehen, sei ein Klassiker des Gastrojournalismus empfohlen. Er stammt von Frank Bruni, dem Restaurantkritiker der „New York Times“. Als vor Jahren das Momofuku Ko aufmachte, das neue Restaurant von David Chang, der für die New Yorker Gastronomie extrem wichtig war, versuchte Bruni sofort einen Platz zu bekommen. Gar nicht einfach, denn das Ko hat nur 12 Sitze. Und ganz NYC wollte hin.

Das Restaurant löste das so: Jeder, der sich um einen Platz bewerben wollte (so muss man das wohl nennen), musste einen Account auf der Website des Restaurants anlegen inklusive Kreditkartennummer, sich um 10 Uhr einloggen und dann den Reservierungsbutton klicken bis der Finger raucht. Bruni probierte das eine Woche lang, nicht nur ab morgens 10 Uhr. Bis er frustriert aufgab und seine Strategie wechselte. Er spannte Freunde und Bekannte ein, denen er versprach, sie einzuladen, wenn sie denn einen Platz klarmachen könnten.

Statt der geplanten Rezension, für die er das Restaurant mehrmals hätte besuchen müssen, schrieb er über seine Reservierungsversuche. Es gab kein Happy End.

Felix Denk

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