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Gesellschaft: Schirmherr Der

Pilze wachsen im Wald? Bei Frank Düsing gedeihen sie unter Laborbedingungen in der Scheune – sorgsam umhegt und total bio

Es gibt Pflanzen, es gibt Tiere, und es gibt Pilze. Pilze bilden ein eigenes Reich, und nicht ohne Grund spielen sie in der Märchenwelt eine große Rolle.

„Man muss sie nur ansehen!“ Falk Düsing ist von Pilzen fasziniert – und das seit seiner Kindheit. Schon früh ging der im Sauerland Aufgewachsene mit Eltern und Großeltern im Herbst in den Wald, um Maronen und Steinpilze zu sammeln. Dazu kommt er heute allerdings kaum noch, denn seit ein paar Jahren hat er Pilze zu seinem Beruf gemacht, er betreibt im nordrhein-westfälischen Extertal einen florierenden Pilzzuchtbetrieb für allerlei Arten. Pilzzüchter wie der 35-Jährige Falk Düsing sind selten wie faustgroße Trüffel. Denn diese Arbeit fordert den ganzen Mann, jeden Tag, anfangs sogar in der Nacht.

Buchenpilze, Shiitake, Goldkäppchen, Samthauben – klassische Schirmpilze also, Friséepilze, Limonenseitlinge, Kräuterseitlinge, Rosenseitlinge und der Igelstachelbart – mehr als zehn asiatische und europäische Arten aus eigener Zucht hat Düsing im Angebot, und wer die Farben- und Formenvielfalt ausgebreitet sieht, ist erst mal hingerissen von der eigenartigen Schönheit der bizarren Gewächse.

„Kann man die wirklich essen?“ fragen die Marktgänger schon mal. „Wo kommen die her?“ „Wie kommt man bloß dazu, Pilze zu ziehen?“ „Und wie bereite ich sie zu?“ Falk Düsing, der im Hannoveraner Raum auf den Wochenmärkten steht, ist dann rhetorisch genau so gefordert wie Christine Bergmann, die seine stets frischen Pilze auf dem Charlottenburger Karl-August-Markt anbietet.

Im Reich der Pilze gelten eigene Gesetze. Pilze verbreiten sich durch Sporen und ernähren sich wie Tiere von den organischen Nährstoffen ihrer Umgebung. Also auf ins Weserbergland, um das Geheimnis dieser Zuchtpilze zu lüften. Sanft wellt sich die Wiesen- und Waldlandschaft auf der Grenze zwischen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Nur hin und wieder passiert man ein Dorf. Im Flecken Meierberg in der Gemeinde Extertal auf einem Hügel inmitten von dichten Bäumen, ruht ein Backsteinhaus auf einem vertrauenerweckenden Feldsteinsockel im üppigen Obstgarten. Hier wohnt Falk Düsing mit Frau und zwei Söhnen, zwei Kaninchen und zwei Katzen.

In einer der ehemaligen Scheunen wachsen seine Pilze. Nicht alle Sorten auf einmal. Mal diese, mal jene. Eigentlich das ganze Jahr über. Etwa 200 Kilo insgesamt verkauft Düsing jede Woche auf Märkten, an Bio- und Hofläden. Auf seine Pilze ist auch Slow Food aufmerksam geworden, deren Mitarbeiter sich in diesem Sommer einen ganzen Tag lang von seiner Arbeit überzeugten und anschließend auf ihrer Website eine Empfehlung aussprachen.

Als Pilzfachmann ist der studierte Forstwissenschaftler ein Quereinsteiger, aber Falk Düsing hatte schon während des Studiums im Bereich Holzbiologie und Holztechnologie Experimente zur Kultivierung von Speisepilzen durchgeführt. Das ließ ihn nicht mehr los: „Ein Bauer erntet nur einmal im Jahr die Frucht seine Feldes. Bei Pilzen sieht man schnell ein Ergebnis.“

Die Scheune, die außen die Romantik des vergangenen Jahrhunderts verbreitet, entpuppt sich drinnen als ein ausgeklügeltes Labor. Vor dem Holztor steht eine Batterie Plastiksäckchen mit Biosubstrat. Das Substrat ist der organische Nährboden, denn die Säcke beinhalten Holzsschnipsel aus Buche, Birke, Pappel oder Weide, die das „Futter“ für Düsings Pilzbrut sind, die auf Getreidekörner geimpft wurde und jetzt dort nistet. Dazu kommen Wasser und Kalk.

Geerntet werden schließlich die Fruchtkörper, die wir Pilze nennen. In den sechs von einer Schleuse abgehenden Kulturräumen herrschen verschiedene Raumklimata. Je nach Pilzart regelt der Pilzzüchter Feuchtigkeit, Temperatur, Luft und Licht. „Das sind meine Parameter.“ Und Hygiene ist sein allererstes Gebot. „Ich benutze Einmalhandschuhe, wechsle die Gummistiefel und trage wegen der vielen herumfliegenden Sporen einen Mundschutz“, erklärt Düsing. Das Klima, das den Pilzen gefällt, gefällt nämlich auch anderen Bakterien.

Dem angelieferten Substrat simulierte schon der Hersteller bei 20–25 Grad ewigen Sommer – und machte es so bereit zur Fruchtkörperbildung. Durchwachsphase nennt das der Fachmann. „Bei mir denken die Pilze dann, es ist Herbst“, sagt Düsing. Die Säcke kommen nämlich in den sogenannten Induktionsraum bei 14 Grad. Dort bilden sich die Fruchtkörper und reifen bis zur Ernte. Der Reifeprozess kann eine Woche oder auch 14 Tage dauern, je nach Pilzart. In der Wachstumsphase sehen die Substratblöcke mit den großen und kleinen Fruchtkörpern wunderschön aus, als stammten sie aus einer sagenhaften Bildhauerwerkstatt.

In den ersten vier Tagen des Wachsen betritt Falk Düsing die Kulturräume möglichst nicht. Schon gar nicht geht er von einem Kulturraum in den nächsten, um bloß keine Bakterien zu übertragen. „Die Kräuterseitlinge, das ist mein Brotpilz, den ich am meisten verkaufe, sind sehr anfällig für Krankheiten.“ Sie haben darum einen eigenen Raum. Ihre Ernte kann dann zwei Tage lang dauern. Geschnitten wird, bevor sich der Hut des Fruchtkörpers nach oben biegt. Der Substratblock der Kräuterseitlinge fliegt danach bei einem benachbarten Biobauern auf den Mist. So schließt sich der Kreis. Schließlich ist alles Bio auf Düsings Hof.

Bei allen anderen Pilzen versucht er, eine zweite Erntephase einzuläuten: Sommer simulieren, dann den Herbst undsoweiter. „Manche kommen auch von selbst zum zweiten Mal. Bei den Shiitake-Pilzen komme ich sogar auf drei Ernten“, sagt Düsing und freut sich.

Hauptsaison für den Verbraucher ist der beginnende Herbst bis hin nach Ostern. Danach spielt auf den Märkten der Spargel die Hauptrolle, dann die Erdbeeren undsoweiter. Sicher, Düsing könnte das ganze Jahr über den prallen Herbst markieren in seinen Pilzkulturräumen. Doch er fährt im Sommer das Angebot stark herunter.

In den Köpfen der Verbraucher ist der Herbst die Pilzzeit. Dabei geht es aber nur um die wild wachsenden Exemplare. Wer hinauszieht, um Waldpilze zu sammeln, muss allerdings eine Menge über sie wissen, um nicht zu den falschen Exemplaren zu greifen und hernach sein Essen zu verderben. „Waldpilze kann man im Labor nicht ziehen“, erklärt Falk Düsing. Maronen, Pfifferlinge oder auch Trüffel gehen nämlich eine Symbiose mit Pflanzen und Bäumen ein. Da sie selbst keinen Zucker herstellen können, liefern sie ihrem Wirt Nährstoffe und bekommen so Zucker zurück. Die kultivierten Pilze gehen den umgekehrten Weg. Sie bauen während des Wachstumsprozesses die eingelagerte Stärke, also den Zucker, ab.

„Ich habe immer eine gewisse Auswahl an Exoten“, sagt Falk Düsing. Champignons zieht er allerdings nicht, er handelt nur mit ihnen. „Meine Pilze sind Holzbewohner. Zuchtchampignons hingegen wachsen auf pasteurisiertem Mist. Das ist ein völlig anderes System und mit meiner Vorgehensweise nicht vereinbar.“ Der Champignon ist ein Massenprodukt. Da geht es nicht um Kilogramm wie bei Düsing, sondern um Tonnen.

Rosenseitlinge sind die Diven unter Düsings Pilzen. Den Namen haben sie wegen ihrer rosigen Farbe. Sie sind fest im Fleisch und schmecken kräftig. Düsings Kinder mögen sie deshalb nicht so sehr. Die Eltern essen am liebsten Kräuterseitlinge: wegen ihres zarten Fleisches, das an den Steinpilz erinnert. Stil und Kappe braten sie kurz an und servieren es auf Salat mit geraspeltem Parmesan.

„Ein toller Rohkostpilz ist auch die Samthaube“, schwärmt Düsings Gattin über die kleinen Schirme. Der Pilz schmecke knackig und nussig. Gern packt sie ihn in ein knuspriges Blätterteigröllchen. Der Limonenseitling eigne sich gut für die mediterrane Küche. Man sollte aber noch Zitrone drübergeben, denn der Name kommt von der hellgelben Farbe und nicht vom Aroma. Der Shiitake wiederum ist der würzigste von Düsings Pilzen.

Ein Kilogramm Pilze kosten ab Hof 20 bis 25 Euro. Waschen sollte man die Pilze nicht; es ist ja alles hygienisch. Sonst ziehen sie Wasser und verlieren ihr Aroma. Da die Pilze erntefrisch sind, können sie in einer Papiertüte und im Gemüsefach des Kühlschrankes bis zu sieben Tage liegen.

Fungi Delikat, Tel. 05262/9949920 und www.fungi-delikat.de; in Berlin jeden Sonnabend auf dem Karl-August-Markt.

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