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Kulturlandschaft: Links der Blick vom

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Gesellschaft: Steil-Lage Beste

Der Bremmer Calmont ist in Europa der Weinberg mit der stärksten Steigung. Hier wächst erstklassiger Riesling, doch die Arbeit ist knochenhart. Ein Besuch zur Erntezeit

Als Thomas Franzen den Benzin-

motor der Zahnradbahn anlässt,

lege ich mich auf die schmale

Ladefläche – die ist vielleicht

einen halben Meter breit und knapp 1,60 Meter lang; meist stehen hier die gelben Plastikkisten, die leer auf die Berghänge und später, voll frisch geernteter Trauben, wieder nach unten transportiert werden. Franzen selbst hat am Steuer vor mir Platz genommen, auf einem Kunststoffsitz. Langsam bewegen wir uns jetzt vorwärts, unter uns eine wenige Zentimeter breite Metallschiene.

Schon nach Sekunden geht es steil nach oben: Das rumpelnde Gefährt neigt sich nun um rund 80 Grad, und ich liege nicht mehr, sondern stehe plötzlich, während meine Füße gegen den Rand der Ladefläche gepresst werden. Zum Glück kann ich mich links und rechts an Eisenstangen festhalten. Neben mir ziehen felsiger Schieferboden und Weinstöcke vorbei. Steil unter mir sehe ich: eine Straße, dahinter die Mosel, die hier eine besonders enge Schleife macht, und eine Burgruine auf der anderen Seite des Flusses. Die Aussicht ist spektakulär, doch ich bin heilfroh, als sich die Bahn in etwa 220 Metern zurückneigt und wir auf einer Terrasse in der Horizontalen zum Stehen kommen.

Thomas Franzen, ein großer Mann mit kurzem, grauen Haar und in Outdoor-Kleidung, steigt vom Fahrersitz und schaut mich an. „Am Anfang hatte ich auch immer Schweißperlen auf der Stirn“, sagt er. „Da habe ich gedacht: Was, wenn jetzt der Motor ausfällt und die Bremsen versagen?“ Aber der 48-Jährige hat sich an die Fahrten mit seiner Monorack gewöhnt. Mehr noch: Er hat sie richtig lieb gewonnen. „Ohne die Bahn, die wir hier vor fünf Jahren gebaut haben, könnten wir den Calmont gar nicht mehr bewirtschaften.“

Franzen ist Winzer, insgesamt besitzt er 4,5 Hektar, in der Flachlage erntet er Müller-Thurgau und Elbling. Doch seine 1,5 Hektar Riesling auf den Hängen von Europas steilstem Weinberg, auf die wir nun hinabblicken, sind sein ganzer Stolz. Der Berg liegt am Städtchen Bremm, auf halbem Weg zwischen Koblenz und Trier. Schon den alten Römern galt er als kleines Wunder, im 2. Jahrhundert errichteten sie ein Höhenheiligtum auf ihm. Wahrscheinlich waren sie auch die Ersten, die am Fuße des Berges Wein kultivierten. Die höheren Lagen wurden dagegen erst später, wohl im 17. Jahrhundert, erschlossen.

Bis zu 68 Prozent beträgt die Steigung des Calmont, wie ein Parabolspiegel fängt er Sonnenstrahlen ein und speichert Wärme in seinem Schieferboden. Nach heißen Tagen glüht er bis tief in die Nacht hinein. Daher auch der Name, der sich aus den Worten Calidus (Latein für warm) und Mons (Berg) zusammensetzt.

„Der Wein hier hat einen Reifevorsprung von 20 Tagen gegenüber dem in der Ebene“, sagt Franzen. Frost, der den Reben schadet, hat es auf dem Calmont praktisch noch nie gegeben. In Kombination mit dem Boden, der sich aus viel Schieferstein und wenig Feinerde zusammensetzt, lassen diese optimalen Bedingungen einzigartige Weine entstehen. Angebaut wird nur Riesling, die einzige Rebsorte, die dem kargen Boden Qualität abringen kann. „Ich verdanke dem Berg mineralische, filigrane, fast stahlige Weine, mit einem schönen Säure-Kick“, sagt Franzen. Und die haben es sogar auf die Weinkarte des Kopenhagener „Noma“ geschafft, das als bestes Restaurant der Welt gilt. Erstaunlich, dass selbst Franzens „Urgestein“, ein trockener Wein, der ausschließlich aus Trauben vom Calmont gewonnen wird, schon für knapp 8 Euro zu haben ist. (Die Weine gibt es im Köpenicker Weinladen, Kreuzberg, Köpenickerstr. 8. Tel. 6175817). Auch für 2011 erwartet der Winzer wieder einen „super Jahrgang“. Die Lese geht bald zu Ende, und die Beeren hätten „moderate Säurewerte“ und zum Teil „über 100 Grad Oechsle“.

Die Lage, die für den Wein ein Segen ist, galt früher eher als Albtraum. Die Terrassen des über 300 Meter hohen Bergs allein zu Fuß zu erklimmen, war anstrengend und gefährlich. Bei der Lese mussten Helfer 40 Kilo schwere Körbe voller Trauben auf ihrem Rücken nach unten tragen – um gleich wieder nach oben zu kraxeln. Ein Wunder, dass auf den oft rutschigen Trampelpfaden mit seinen Schiefersplittern nicht häufiger Unglücke passierten. „Die Arbeit war so belastend, dass die Leute nicht sehr alt wurden“, sagt Franzen.

Als die Moselregion dann in den 70er und 80er Jahren in die „Teufelsspirale aus schwachem Image, schwachen Weinen und schwachen Preisen“ geriet, wie der Weinexperte Stuart Pigott im Buch „Wein spricht deutsch“ schreibt, gaben viele Winzer die Steillagen auf – nicht nur auf dem Calmont. Die Arbeit zu mühselig, der Ertrag zu gering. Brombeeren machten sich breit und überwucherten alles. Es brauchte eine neue Winzergeneration und das, was Pigott die „Wein-Wende“ nennt, um die Tradition wiederzubeleben.

Thomas Franzen gehörte zu den Ersten, die die Zeichen der Zeit erkannten. Im Jahr 1986, er hatte die Ausbildung zum Weinküfer gerade abgeschlossen, übernahm er die Anbauflächen der Eltern. Die hatten ihren Lebensunterhalt vor allem mit Gästezimmern verdient. Der Sohn wollte ganz auf Wein setzen – und dabei konsequent auf Herbizide und Pestizide verzichten. Von Bio-Wein hatte damals noch kaum jemand gehört, und so wurde der Anfang-20-Jährige von den einen, die ihm die baldige Pleite voraussagten, belächelt, und von den anderen, die fürchteten, all das vermeintliche Unkraut und Ungeziefer werde auf die eigenen Reben übergreifen, angefeindet. Als Logo für sein kleines Gut mit dem Namen „Laurentiushof“ (es gibt in Bremm 40 Familien mit dem Namen Franzen, von denen viele ebenfalls Wein anbauen) wählte Thomas Franzen den Löwenzahn. „Darin konnten wir uns gut wiederfinden“, erinnert er sich. „Weil das so eine durchbrechende Pflanze ist, die sich sogar durch den Asphalt kämpft.“

25 Jahre später ist Franzen eine Art historischer Sieger. Andere haben auch auf Bio umgestellt, und die, die es noch nicht getan haben, entschuldigen sich manchmal fast bei ihm. Er lacht dann. „Macht doch, was ihr wollt! Ich bin ja kein Missionar.“

Wer sich mit Thomas Franzen unterhält, spürt diese heitere Gelassenheit und merkt rasch, mit welcher Leidenschaft der Mann Winzer ist. Ums große Geld geht es ihm nicht. Kann es auch gar nicht. Franzen nennt sich einen „Garagisten“. Die Edelstahl-Tanks in seinem Keller und die moderne Traubenpresse im Erdgeschoss, die wie eine Sonnenbank aussieht, lassen eher den Eindruck entstehen, hier betreibe jemand ein leicht exzentrisches Hobby. Bis auf die Abfüllung des Weins macht die Familie alles selbst, verschickt sogar die Flaschen, die Kunden online oder telefonisch bestellen können. Weniger ist mehr – das ist Franzens Philosophie, nicht nur, wenn es ums Düngen geht. Den Markt zu bedienen, das sei Leuten wie ihm unmöglich. Gegen Konkurrenten aus Chile, Südafrika oder Neuseeland, mit ihren riesigen Kapazitäten und niedrigen Preisen, könne man nicht bestehen. „Wir müssen stattdessen authentische Spitzenweine liefern, auch wenn es eine Mordsarbeit ist.“

Und so ergriff Franzen die Gelegenheit, als er seine von den Eltern geerbte Fläche auf dem Calmont vor ein paar Jahren durch Zukäufe vergrößern konnte. Rodete Brombeergestrüpp und grub metertief, um neuen Wein zu pflanzen – die feinen Wurzeln kämpfen sich später bis zu 12 Meter in die Felsspalten vor. All dies tat Franzen buchstäblich mit dem Abgrund im Rücken. Im Hochsommer konnte er nur am Morgen arbeiten, denn später wird es manchmal 70 Grad heiß am Berg. „Man muss schon ein bisschen verrückt sein, wenn man sich das hier antut“, sagt er und lacht. Insgesamt sind heute etwa zehn Winzer verrückt genug, sie bewirtschaften rund elf von ursprünglich 22 Hektar auf dem Calmont. Die guten Lagen, die begehrten Fels-Nischen („Kaulen“) werden längst alle wieder kultiviert.

Wie Franzen, so haben auch seine Kollegen Monorack-Bahnen bauen lassen. Die EU übernimmt einen Großteil der Kosten, dem Erhalt der Kulturlandschaft wegen. Mit der Bahn können auch Steine transportiert werden, die es für die Trockenmauern der Terrassen braucht; diese müssen regelmäßig instand gesetzt werden. Doch auch mit der Monorack bleibt die Arbeit in der Steilstlage eine Herausforderung. Erntemaschinen können hier nicht eingesetzt werden, alles ist Handarbeit. Die Helfer tragen feste Wanderschuhe, die übers Fußgelenk reichen müssen.

Und dann gibt es noch zwei andere Probleme. Das erste, die Wildschweine, die von den reifen Beeren magisch angezogen werden, lässt sich relativ leicht lösen: mit Elektrozäunen rund um die Weinstöcke. Mit dem zweiten Problem ist es schwieriger, denn Touristen lassen sich nicht so leicht vom Klauen abhalten. Entlang des Calmont-Wanderpfads sind die Reben deshalb jedes Jahr von neuem geplündert. Thomas Franzen nimmt auch das gelassen. „Ich seh’s als Werbung“, sagt er. „Wir haben Schilder aufgestellt, damit die Leute wissen: Das ist unser Wein.“

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