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Im lässig eingerichteten „noma“ (oben links) kocht René Redzepi (oben, zweiter von rechts) nur mit nordischen Zutaten. Fotos: Reuters, Erik Refner/The New York Times

© HMR Produktion GmbH

Gesellschaft: Sternbilder

Tokio, Kopenhagen, Paris, Wolfsburg – der Dokumentarfilmer Lutz Hachmeister ist um die Welt gefahren, um die besten Sterneköche zu treffen. Ein Tischgespräch

Hummer, Gänsestopfleber, Kaviar – wie langweilig. René Redzepi serviert seinen Gästen einen Blumentopf mit Radieschen drin. Danach stehen „Die Henne und das Ei“ auf dem Menü, und zum Dessert gibt’s Möhren. Aber was für welche! Karamellisiert, zum Sorbet verarbeitet, Karotten, wie man sie noch nie gegessen hat.

Aus dem, was andere als Kinderkram abtun oder als Unkraut am Wegesrand stehen lassen, kreiert der Däne Haute Cuisine. Was im „noma“ auf den ebenso schönen wie schlichten Holztisch kommt, ist, da sind sich die Kritiker einig, zur Zeit das Spannendste und Originellste, was es an Kulinarischem gibt. Und das ausschließlich aus skandinavischen Zutaten. Das britische „Restaurant Magazine“ hat das Kopenhagener Lokal dieses Jahr zum besten Restaurant der Welt gekürt. Innerhalb der ersten drei Stunden nach Bekanntwerden der Auszeichnung, erzählt Lutz Hachmeister, gingen 4000 Reservierungen ein.

Vom Blumentopf, Redzepis Vorzeigegericht, war auch der Filmemacher schwer beeindruckt: „Ich dachte, ich muss jetzt Heilerde essen. Und dann war das Hopfen, Malz und Cerealien, das schmeckte ganz nussig, darunter Joghurt, dazu Radieschen – verblüffend!“ Noch überraschender als die Molekularküche mit ihren Explosionen, findet der Berliner – Überraschungen ohne Showeffekte.

An diesem Mittag geht es schlichter zu, wir sitzen beim Italiener in Kreuzberg, als die Kellner endlich kommen, bestellt der schlanke 51-Jährige Dorade. Hachmeister hat sich durch Toprestaurants in aller Welt probiert, Paris, New York, Tokio – und Wolfsburg. Alles streng dienstlich: für seinen Film „Die Köche und die Sterne“, der nächste Woche auf arte gezeigt wird.

71 Drei-Sternerestaurants gibt es auf der Welt. Ein Schweizer Motorradkurier hat einmal vor ein paar Jahren angefangen, sich systematisch durch alle zu essen, bis er an einem Abend von der Terrasse des „El Bulli“, seiner 40. Station, aufstand und (erst einmal) spurlos verschwand. Ob ihn der Mut verlassen hat oder der Appetit, ist bis heute nicht ganz geklärt. Nur dass er seine Weltreise abbrach.

In Hachmeisters Dokumentation bekommt der Zuschauer immerhin neun Drei-Sterne-Köche zu sehen, und damit weit mehr, als die meisten von uns live erleben werden. Redzipi hat freilich vom Michelin noch keinen dritten Stern bekommen. Hätte ihn aber gern. Welcher Fußballer, fragt Hachmeister, würde nicht gern bei der Weltmeisterschaft mitspielen?

Der Film begleitet die Köche durch den Arbeitstag, vom Kräuterpflücken am Morgen bis zum Feierabend, springt dabei von San Sebastian nach Paris, von Zeeland nach New York. Ein bisschen mehr Reduktion nach dem Vorbild der Kopenhagener Küche hätte der Dokumentation ganz gut getan – ein paar Protagonisten weniger wären mehr gewesen. Der Film geht mehr in die Breite als in die Tiefe: Sein Reiz liegt in der anschaulichen Darstellung der Vielfalt der Konzepte und Temperamente.

Da ist zum Beispiel Jean-Georges Vongerichten in New York, der weniger eine Küche als einen Konzern betreibt; ihm gehören neun Restaurants, etwa mit europäisch-amerikanisch-asiatischer Fusionsküche. Der Franzose bietet Lunchmenus für günstige 28 Dollar – auf Kosten der Angestellten. Nicht nur, dass er die in den USA üblichen Billiglöhne zahlt, er hat sie, wie der Film berichtet, auch noch um das Trinkgeld betrogen.

Hideki Ishikawa dagegen verabschiedet, von Konfuzius geschult, seine Küchenhilfen so ehrfürchtig wie die Gäste des kleinen Restaurants. So globalisiert die Welt der Spitzenküche auch sein mag: Der Japaner ist noch nie im Ausland gewesen. „Fast rührend naiv“ beschreibt Hachmeister ihn, der wissen wollte, ob es in Deutschland Getränkeautomaten gibt.

Höchst feierlich geht es beim Franzosen zu. Das Zerlegen der Brioche wird im „Le Meurice“ zelebriert „wie ein feierliches Hochamt“, von Hachmeister unterlegt mit James Bond- Musik. „Die Einrichtung, der Oberkellner – alles vermittelt Dir: Du bist in einer Kirche und hast dich still zu verhalten. Es geht um demütigen Genuss.“

Im italienischen Familienbetrieb auf dem Land steht Nadia Santini, die sanfte Mamma und eine der raren Drei-Sterne-Köchinnen, mit der Nonna und dem Figlio am Herd; der Pappa macht den Service. Während ihres Politikstudiums haben die Eheleute eine kulinarische Reise durch Frankreich gemacht, so sind sie auf den Geschmack gekommen. Auch das war ein Kriterium bei der Auswahl der Köche für den Film: ihre Fähigkeit zur Reflexion, zum Reden. In Deutschland musste Hachmeister da besonders lange suchen. „Die Köche hier sind ziemlich steif.“ Am Ende fiel die Wahl auf Sven Elverfeld vom Aqua im Wolfsburger Ritz Carlton, auch er eher ein ruhiger Vertreter – aber ein Dreisternerestaurant in der Autostadt, das hat den Regisseur gereizt. In einer rührenden Szene guckt Elverfeld dem Schlachter beim Enthäuten des Rehs zu. Man hat das Gefühl: Gleich fängt er an, zu weinen, so leidet er mit dem Tier mit.

Die italienische Familie sitzt am Ende des Abends im Garten beisammen und bespricht („möchtest Du noch einen Kaffee?“) in Ruhe den Plan für den nächsten Tag. So entspannt wie hier geht es in keinem der Restaurants zu. Allerdings: Die Santinis sind auch keine Avantgardisten, sondern Traditionalisten. Ihre Spezialität ist Pasta, die aber auf höchstem Niveau. Dort, sagt Hachmeister, habe er die besten Kürbisravioli seines Lebens gegessen.

Die stehen auch an diesem Mittag beim Italiener in Kreuzberg auf der Speisekarte und fallen beim Test durch. „Zu fest, viel zu salzig, der Kürbis nicht süß genug.“ Aber, ergänzt Hachmeister, „das kann man auch nicht vergleichen, das ist eine ganz andere Kategorie“.

Hachmeister ist kein Gastrokritiker, er ist Filmemacher und Autor, hat ein Medieninstitut, vor mehr als 20 Jahren war er auch mal Redakteur beim Tagesspiegel. Das Sportliche scheint ihn an seinem Thema noch mehr zu interessieren als das rein Kulinarische. Schon das System der Sterne erinnert ihn an den Eiskunstlauf, das Arbeiten in der Hochleistungsküche ist für ihn „ein Männersport. Da sind überwiegend Jungs, 20-25-Jährige, von denen man denkt, die kommen gerade aus dem Fitnessclub.“ Als hätten sie das noch nötig: Vor allem in der engen Küche des Holländers rennen die Köche hin und her wie die Wahnsinnigen. „Der treibt die wie ein Fußballtrainer.“ Immerhin: Der Mannschaftsportgeist ist seiner Meinung nach dafür verantwortlich, dass die Mitarbeiter den unglaublichen Stress durchhalten. Und das schlanke, fitte Aussehen, weit entfernt vom dicken Michelinmännchen, erfüllt auch einen Werbezweck: Guckt her, man kann bei uns gut und reichlich essen, ohne dick zu werden.

Die meisten Spitzenköche, das macht der Film klar, sind Besessene. „Nerds“ nennt Hachmeister sie im Gespräch, weil sie wie die Computer-Leute den Dingen bis auf den letzten Grund gehen. Am frühen Nachmittag, zwischen Mittag- und Abendessen, ziehen die Chefs sich in ihre Labors zurück.

Am Ende des Films sieht man Redzepi, wie er in der Nacht sein Fahrrad von der Laterne abschnallt und nach Hause radelt. Understatement anstelle von Pomp heißt das Motto des lässig-eleganten Restaurants, das ohne Tischdecken und Kristallleuchter auskommt, wo man für ein Essen mit Wein rund 250 Euro bezahlt. Aber der lockere Auftritt hat seine Grenzen. In einer Szene faucht der junge Chef einen Mitarbeiter plötzlich in scharfem Ton an, weil er etwas falsch gemacht hat. Vielleicht, vermutet Hachmeister, „ist das das Paradoxe: dass man diese Lockerheit nur erziehlt, wenn man im Innersten sehr streng ist. Zu sich selbst und den Mitarbeitern.“

Zum Abschluss des Kreuzberger Mittagessens bestellt der Regisseur sich einen Espresso. Den hätte er im noma nicht gekriegt. Dort gibt’s dänischen Filterkaffee.

„Die Köche und die Sterne“ wird am kommenden Sonntag, 26.9., um 22.15 Uhr auf arte gezeigt.

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