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TÖRTCHEN: Besten Unsere

Feiner Darjeeling, zarte Brioche, Praktisches für die Küche – in Berlin lässt sich so viel Gutes finden. Teil XIV einer kleinen Serie.

„Alchemie“, sagt sie und knallt den Brioche-Teig auf die Arbeitsplatte. Nach all den Jahren hält sie es noch immer für eine Art von Alchemie, wie sich die gleichen, einfachen Zutaten Eier, Zucker, Fett und Mehl zu immer neuen, kostbaren Gebilden verbinden. Je nachdem, wie lange man sie in welcher Kombination rührt und schlägt. Ein Wunder ist es ja, dass Teig sich hebt. Meist sogar ohne Backpulver. Nur mit heißer, unterschlagener Luft, die im Kuchen die Illusion von Schwerelosigkeit hervorruft.

Beate Brunnenkant, rührend bemüht um ihren Teig, schmelzt nebenbei im Wasserbad Schokolade, tippt auf der Digitalwaage und soll zugleich erklären, wie es dazu kam, dass sie hier in Kreuzberg mit ihrer „Dessert-Manufaktur Amour Fou“ eine Pilgerstätte einrichtete.

Sie hatte ja vorher Verschiedenes getan, Festivals organisiert, in einer Werbeagentur gearbeitet, aber jetzt wollte sie unter die Alchemisten und aus Mehl Gold machen. Sie schrieb sich deshalb an der berühmten französische Kochschule „Le Cordon Bleu“ ein, Sektion England, vormittags buk sie und nachmittags auch. Von London bekam sie nicht viel mit. Man gab ihnen täglich eine Liste der Zutaten – und wie die kombiniert wurden, mussten die Schüler dem Lehrer von den Fingern abschauen: Pâte Brisée, leicht gesalzen, „der Zickenteig“. Löffelbiskuit für Charlotten, Brioche-Teig, Wiener Böden. Brunnenkant lernte den Umgang mit Pâtisserie-Ringen. Probierte zum ersten Mal feine Buttercreme ohne Würgereiz. Verzweifelte an der Spritztüte. Und nach viereinhalb Monaten Intensivkurs nahm sie ihr Pâtisserie-Diplom in Empfang und hatte erstaunlicherweise auf Backen noch immer Lust.

2008, Berlin schwor auf Torten und kannte kaum Törtchen, mietete sie das Souterrain in der Grimmstraße. Vorne dran kein Garten, sondern ein Gärtchen. Sie ließ Gas und Starkstrom legen und kaufte zwei Kühlschränke. Seitdem muss man ein paar Stufen hinuntergehen, um in der Berliner Backkunst eine Klasse hinaufzugelangen. Zwei Haushaltsrührmaschinen führte sie an ihre Grenzen.

Hinten hebt sich der Teig, vorne setzen sich die Gäste. Am Wochenende gibt es zum Frühstück Hefezopf und Brioche. Butter, sagt sie, die echte, stecke überall drin. Was offenbar so ungewöhnlich ist, dass man es extra betonen muss.

Beate Brunnenkant, von Haus aus keine Frühaufsteherin, stellte sich wochenends wider ihre Natur morgens um sechs in die Backstube. In den ersten Jahren gab es Zeiten, da legte sie sich hinten in ihrem Lager kurz auf eine Pritsche. Stand nach zwei Stunden wieder auf. Zwischendurch hörte sie Stimmen. Die Stimme ihres französischen Lehrers aus London: Ei immer über 70 Grad erhitzen, sonst gilt es als roh. Schokolade kühlt auf Marmor ideal ab. Oder: „Dschüst a little bit of ’old...“ – Brunnenkant weiß dann wieder, dass sie der Sahne nur etwas Halt geben, sie aber nicht ganz steif schlagen muss.

Als der Concierge des Hotel Adlon irgendwann nach einem Stück Schwarzwälderkirsch sandte, ahnte sie, dass sie etwas richtig gemacht hatte. Seitdem ist es so: Der Teig geht. Die Kunden kommen.

Und falls Desserts „Gedichte“ sein können, überhaupt jemals Gedichte waren, dann ist die Schwarzwälder Kirschtorte älteste Heimatdichtung, frisch zitiert; das Maracujatörtchen ist ein karamellisierter Limerick mit Fruchtsäure, der Schokoladenkuchen eine schwere Ballade, die Charlotte ein gekonntes Sonett und das kontrapunktisch komponierte Macaron Cassis ein dreiteiliges Haiku. Der Nusskuchen ist wohl ein Poesiealbumsspruch, den jeder kennt: In allen vier Ecken soll Liebe drin stecken.

Diese ungebrochen positive Assoziation von Kuchen, Backen, Wärme, die ja eine emotionale, an Kitsch grenzende Variante der Ofenwärme ist, habe sie am Kuchen gereizt, sagt Brunnenkant. Man kann sich Heimat ja backen!

Bemerkenswert daran ist, dass es Beate Brunnenkant aus dem hessischen Offenbach offenbar gelingt, vielerlei Heimaten anzubieten, sonst käme nicht der österreichische Schriftsteller immer wieder vorbei, auf der Suche nach der Linzer Torte. Sonst kämen auch keine Schwarzwälder auf der Suche nach ihrer Kirschtorte und keine Frankfurter auf der Suche nach ihrem Kranz. Den tragen sie dann in kleinen, steifen Pappköfferchen aus dem Laden.

„Erstaunlich viele Männer“, sagt sie, kämen in ihre „Dessert-Manufaktur“ und schwärmten. Aber vielleicht wollen sie auch nur nach Hause. Deike Diening

Grimmstraße 24, Kreuzberg, Telefon 612 038 90,  Internet: amourfou-berlin.de

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