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Trennkost: Ihr Salat ist sein Rumpsteak

Frauen = Radieschen, Männer = blutiges Steak. Ist das nur Küchenpsychologie? Nein, Statistik! Aber Zahlen sagen nicht die ganze Wahrheit.

Von Andreas Austilat

Ein Bekannter von mir glaubt fest daran, dass es kaum eine bessere Kontaktbörse gebe als die Supermarktkasse. Ein Blick in den Einkaufswagen verrate ihm mehr als ein Facebook-Profil. Leicht ließen sich daraus Rückschlüsse auf Einkommens- und Lebensverhältnisse ziehen. Wichtiger für ihn sei aber der Beziehungsstatus. Eine Packung Fruchtzwerge und das Nutellaglas sprechen für ein Kind daheim. Das T-Bone-Steak oder die Haxe von der Grilltheke deutet er als Alarmsignal. Liegt da nur ein Ziegenkäse, Pesto oder die Putenbrust ohne Haut in der 100-Gramm-Packung, erwacht sein Interesse.

An dieser Stelle möchte man ausrufen, Frauen, nehmt euch im Supermarkt vor einem groß gewachsenen, leidlich gut aussehenden, aber notorisch untreuen Mann Mitte 40 in Acht. Ihn aber mag man etwas anderes fragen: Wer, glaubt er denn, verbirgt sich hinter einer Packung Zucchiniblüten?

Es könnte zum Beispiel sein, dass in diesem Fall irgendeine Beziehung zu Denis Scheck besteht. Der auch aus dem Tagesspiegel bekannte Literaturkritiker (siehe Kulturteil heute) gab neulich preis, dass er eine außerordentlich große Vorliebe für frittierte Zucchiniblüten hegt. Scheck sagte das bei der Vorstellung des Buches „Sie & Er. Der kleine Unterschied beim Essen und Trinken“ (Bloomsbury Berlin), das er mit einer Freundin aus Schultagen, der Stuttgarter Ärztin und Journalistin Eva Gritzmann, geschrieben hat. Zur Not ginge auch Kürbis. Aber Zucchiniblüten! Sind hierzulande leider nur schwer zu kriegen, in Italien gibt es sie an jeder Ecke.

Das mit dem Gender-Food, wie man in Expertenkreisen die geschlechtsspezifische Ernährung nennt, ist also gar nicht so einfach, wie eingangs erwähnter Bekannter meint. Denn nach landläufiger Meinung erwerben Männer Dinge, die blühen, allenfalls zum Muttertag. Sie würden nie und nimmer darauf rumkauen. Da halten sie sich lieber an rotes Fleisch. Frauen hingegen brauchen im Restaurant schon allein deshalb länger zum Bestellen, weil sie immer noch ausrechnen müssen, wie viel Kalorien das alles hat.

Vorurteile, natürlich, allerdings nicht ohne wahren Kern. Nach einem Bericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung essen Frauen täglich ein Drittel mehr Gemüse und Obst als Männer. Ganz genau wollte es das Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel wissen: Für die nationale Verzehrstudie II befragte man bis 2007 fast 20 000 Männer und Frauen. Danach essen Männer etwa doppelt so viel Fleisch und Wurstwaren. Dafür sind 3,4 Prozent der deutschen Frauen Vegetarier, bei Männern sind es nicht einmal halb so viele: 1,5 Prozent. Frauen trinken weniger Alkohol, wenn, dann lieber Sekt oder Weißwein. Männer bevorzugen Bier, es sei denn, sie gehören der Oberschicht an oder wohnen im Südwesten, dann auch Wein, gerne rot.

Die Studie beinhaltet aber auch überraschendere Erkenntnisse. So stillen Männer ebenso wie Frauen ihren Durst am liebsten mit Wasser, Frauen greifen auch gern zum Tee, Männer zur Limonade. Angeblich haben Frauen eine größere Affinität zu Süßem. Stimmt nicht, sagt die Statistik. Männer langen sogar häufiger zu, verzehren 55 Gramm Süßes am Tag, Frauen dagegen nur 48 Gramm.

Besonders eklatant wird es bei Backwaren: Männer 46 Gramm, Frauen 33 Gramm. Spätestens an dieser Stelle macht sich eine Schwäche der Statistik bemerkbar – sie schlüsselt nicht hinlänglich auf. Trotzdem sind die Forscher sicher, der männliche Backwaren-Appetit ist vor allem auf die Vorliebe männlicher Jugendlicher für Tiefkühlpizza zurückzuführen, die in diese Rubrik einfließt.

„Schockierend“, findet Denis Scheck. Auch er und Eva Gritzmann beziehen sich auf die Nationale Verzehrstudie, verlassen sich aber nicht auf die Statistik, was ihr Buch sehr unterhaltsam macht.

So bevorzugen Männer eindeutig Soßen und würzende Zutaten. Doch was bedeutet das? Dass sie gern im Essen spielen und Soßenkanäle im Kartoffelbrei graben wie einst als kleiner Junge? Oder ist ihre Vorliebe für Currywurst extra scharf ein typisch männliches Gehabe, weil man erst dann ein echter Kerl ist, wenn man mit Tabasco gurgelt? Es könnte freilich auch bedeuten, dass Männer gern mit Ketchup und Mayonnaise hantieren, die verbergen sich ebenfalls hinter „würzenden Zutaten“.

Was soll man vom Statistischen Jahrbuch für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten halten, das für 1990 den Pferdefleischverzehr in Deutschland auf 100 Gramm im Jahr beziffert, für 1995 aber auf 4,4 Kilo kommt? War das der Siegeszug des rheinischen Sauerbratens? Oder doch nur ein Tippfehler? Und warum erlebt der Wildschweinverzehr seit den späten 60er Jahren einen Boom? Dafür hat Denis Scheck eine plausible Erklärung. Der bekennende Comic-Leser führt das auf den Erfolg der Asterix-Hefte zurück, in denen das gebratene Wildschwein zur gallischen Leibspeise verklärt wurde. Leider musste der kleine Denis sehr darunter leiden, dass Wildschwein in Wirklichkeit nie als Krustenbraten wie bei Obelix auf den Tisch kam, erst recht nicht, wenn seine Oma kochte. Übrigens unterscheidet sich das Essverhalten von Mädchen und Jungen heute erfahrungsgemäß kaum. Sie mögen gleichermaßen gern Pizza und Pasta.

Die beiden Autoren begaben sich für ihr Buch auf eine lange Reise, zitieren Anthropologen, besuchten Hirnforscher, Sommeliers, Gemüsehändler, gruben in Geschmackserinnerungen, eigenen und solchen der Weltliteratur, seien sie nun von Marcel Proust oder Günter Grass. Sie aßen beim Katalanen Ferran Adrià und diskutierten mit Fernsehkoch Vincent Klink. Letzterer glaubt, dass für Frauen beim Essen der Tierschutzgedanke eine größere Rolle spiele. Englands Jamie Oliver dagegen erklärte, warum er eigenhändig ein Lamm schlachtete. Wenigstens einmal wollte er sich bewusst machen, dass man es in der Fleisch-Küche mit Lebewesen zu tun habe.

Den Beweis, dass testosterongesteuerte Küche nicht unbedingt etwas mit dem Fettauge im Prime Rib zu tun haben muss, erbringen Scheck und Gritzmann mit einem Besuch im Moto in Chicago. Während dort eine halbierte Minneola, es handelt sich um eine Zitrusfrucht, mit injizierter Kohlensäure serviert wird, schwant einem, dass die Angeberexperimente eines exaltierten Küchenchefs auch was Männliches haben. „So kochen Blender“, findet Eva Gritzmann.

Doch warum essen Frauen anders als Männer, bringt er sich mit seiner Obst- und Gemüseabstinenz in ein frühes Grab? Gern wird in so einem Fall die Frühgeschichte bemüht. Weil er früher Mammuts jagte und dafür Saft und Kraft brauchte, isst er heute noch Steak, selbst wenn er nur noch hinter dem Bus herlaufen muss. Und sie sammelte Beeren und Kräuter und kam davon nicht mehr los. So oder ähnlich lautete die gängige Erklärung. Eigenartig, dass sich bei Affen Männchen und Weibchen nahezu gleich ernähren. Aber die kochen ihr Essen ja auch nicht. Erst das Herdfeuer hat zu einer Ausdifferenzierung der Geschlechterrollen geführt, glaubt der amerikanische Anthropologe Richard Wrangham.

Natürlich gibt es physiologische Unterschiede. Männer haben einen höheren Anteil Muskelmasse, Frauen einen höheren Körperfett-Wasser-Anteil. Daraus könnte man ableiten, dass Energie und Nährstoffdichte der Nahrung anders zusammengesetzt sein sollte. Der jeweilige Hormonhaushalt bedarf anderer Spurenelemente. Senf zum Beispiel soll gut für die Prostata sein. Doch erklärt das, warum er noch eine Wurst dazu isst?

Vielleicht ist das alles eine riesige Verschwörung. Er hat ihr über Jahrtausende die besten Stücke vom Filet vorenthalten, sich darüber zum dominanten Muskelprotz entwickelt. Und sie, gefangen in der Geschlechterrolle, kämpft mit Bulimie und Body-Mass-Index. Denis Scheck und Eva Gritzmann legen sich da lieber nicht fest. Stattdessen werben sie für eine Schule des guten Geschmacks, denn der droht beiden Geschlechtern peu à peu abhandenzukommen.

Und sie würzen ihr Buch mit lustigen Experimenten. Eines meiner liebsten geht so: Bevorzugen Sie mal eine Woche lang solche Produkte, die sie dem anderen Geschlecht als typisch zubilligen. Seit Tagen ernähre ich mich deshalb, so wie meine Frau es gerne hätte, mit Vollkornknäcke, Brunnenkresse, Radieschen und Hüttenkäse. Ich habe schon ein Kilo abgenommen. Würde nur so aus männlicher Neugier aber gern mal wissen, was eigentlich die Kassiererin im Supermarkt jetzt von mir denkt, wenn sie meinen Korb sieht.

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