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Gesellschaft: TÜRKISCHES MARZIPAN Besten Unsere WILDES UMLAND BAYERISCHES BIER

Wild, Konfekt und Schmankerl: In Berlin kann man so viel Gutes finden. Drei Lieblingsläden für unsere Serie, Teil VI

Grau, nassgrau, schmutziggrau: So sieht der November aus. Und das ist erst der Anfang. Wer den Winter heil überstehen will, muss sich ab und zu in Kur begeben. Zum Beispiel in der Linienstraße. Über zwei Stufen steigt man vom Kippen-übersäten Bürgersteig hoch in eine andere Welt: ein osmanisches Reich. Weiß strahlt die Confiserie Orientale dem Besucher entgegen. Nur Sevgi Gürez trägt ausnahmsweise Schwarz. In Istanbul aufgewachsen, ist sie zum Studieren nach Berlin gekommen. Mit ihrem Ladenlokal setzt sie in die Praxis um, was sie bis vor ein paar Jahren in der Theorie an der Universität der Künste unterrichtet hat: interkulturelle Kommunikation. Denn bei Döner und Baclava hört’s bei den meisten Berlinern schon auf. Wer weiß schon was von feiner türkischer Küche, hat je von Istanbuler Marzipan gehört? Dabei gibt’s das seit dem 15. Jahrhundert; die Manufaktur Cemilzade, ein Familienbetrieb, produziert es in Istanbul seit 1883. Seit zwei Monaten kann man es nun auch in Berlin bekommen.

Elegant und minimalistisch, heißt das Konzept. Im Mittelpunkt steht das nussige, fruchtige Marzipan von dezenter Süße, in Würfeln serviert, nur aus natürlichen Zutaten hergestellt: aus Mandeln oder Pistazien, mit Orange oder Zitrone. Die zweite Spezialität heißt Lokum oder Turkish Delight, ein festes, mit Puderzucker bestäubtes Gelee aus Rosenwasser, Zucker, Stärke und Honig, mal mit Harz, mal mit Haselnüssen, Pistazie, Zitrone… Ansonsten: ein paar Bonbons und Zuckermandeln. Wer Muße hat, lässt sich auf grünen Samtkissen nieder und nippt zum Konfekt an türkischem Mokka, demnächst auch an Granatapfel-Likör und Rotwein.

Der jetzige Besitzer der Istanbuler Confiserie ist ein Studienfreund von Sevgi Gürez, an der TU hat sie Medienwissenschaften, er Wirtschaft studiert. Der Berliner Laden, der alle paar Wochen beliefert wird, greift die türkische Tradition auf, auch mit historischen Fotos – und ist doch etwas Eigenes. Die Designerin Claudia Medrow hat den hellen Laden gestaltet sowie, ebenso wichtig: die Verpackungen. Viele Kunden werden allein wegen der aparten Schachteln zugreifen. Wie für Weihnachten gemacht. Auch in der Türkei sind Lokum und Marzipan etwas für Festtage; dort wird es dann allerdings kilo- und nicht, wie von den Deutschen, 100-Gramm-weise gekauft. Dabei sind die Preise gar nicht so exklusiv, zwischen 2,20 und 5,45 Euro für 100 Gramm einer Süßigkeit, die man weder in Hamburg noch in New York bekommen kann. Allein das lockt Betreiber und Besucher der umliegenden Galerien an.

Cemilzade, das klingt schon fast wie Scheherazade. Auch in der Confiserie Orientale werden demnächst, an den Adventssonntagen, Geschichten erzählt, historische ebenso wie Märchen. Und Musik wird es geben. Denn der Gründungsvater der Confiserie war nicht nur ein begabter Geschäftsmann, der mit 16 seinen ersten Laden öffnete und in Frankreich und Italien Auszeichnungen für seine Süßigkeiten bekam, er war auch ein Meister der türkischen Laute und selber Komponist. Tausendundeine Nacht, nur ohne Dunkelheit. Susanne Kippenberger

Confiserie Orientale, Linienstraße 113, 10115 Berlin-Mitte, Tel. 609 259 57, Di–Fr 11–20 Uhr, Sa/So 11–18 Uhr, www.confiserie-orientale.com

Sein letzter Schuss traf ein junges Wildschwein, 33 Kilo schwer. Es war vor zwei Wochen gegen 22 Uhr, Mondschein erhellte den Wald. Gustav Meyer hatte auf dem Hochsitz seine doppelläufige Büchse angelegt, Kaliber 8 x 57 IS, der Frischling fiel auf der Stelle. Der Jäger brach das Tier auf, packte Herz und Leber mit ein.

Nun steht Meyer in seinem Lädchen, in der Kühltheke liegen Keule, Rücken und Gulasch vom Wild: Reh, Hirsch, Wildsau. Es gibt auch Gläser mit wunderbar cremiger Leberwurst, an Haken hängen ein Dutzend armdicke Salami, vom Wild, was sonst. Links, an den weißen Fliesen, klebt ein Foto von Jagdhund Anton. Rechts sorgen fünf Geweihe, eines besetzt mit bunten Perlen, für Jagdfolklore. Meyer ziert sich ein wenig bei diesem Thema, er sagt: „Ich bin kein Trophäenjäger.“

So ist das also, wenn einer sein Hobby zum Beruf macht.

Es war ein weiter Weg vom elterlichen Bauernhof in Niedersachsen bis zum eigenen Wildgeschäft in Kreuzberg. Inzwischen ist Gustav Meyer 60, das Haar ergraut. Eine klassische Berliner Biografie hat er hinter sich. Studium der Politik an der FU, Abschluss mit Diplom. Mehrere Jahre hat er in Norditalien gearbeitet, erfolgreiche Prüfung als „mobiliere“, Tischlermeister in Mezzocorona, Trentino. Gleich nach der Wende hat es ihn nach Petershagen in Brandenburg verschlagen, irgendwann war die Arbeit mit Holz nicht mehr möglich, eine Stauballergie.

Meyer schöpft mit einer Kelle Suppe in einen Teller, es duftet nach Wild, was sonst, Erbsen und Kartoffeln schwimmen neben den Fleischstücken. Wer will, kann an zwei kleinen Tischen etwas Warmes essen. Man kann sich keinen Laden mit reduzierterem Angebot denken: Wild aus dem Berliner Umland. So einfach wie die Idee: Von Jägern und Förstern frisch auf den Tisch. Kein Zwischenhändler, der Preise diktiert. Da ruft einer an, ich hab’ drei Rehe, Meyer bringt sie zum Metzger in seinem Nachbarort, „ein EU-zertifizierter Wildzerlegebetrieb“.

Warum Leute so gern Wild aus Neuseeland oder sonst woher kaufen, Gustav Meyer wundert das. Er legt ein grünes Blatt auf den Tisch, „Wildursprungsschein“, sein letzter Frischling, Veterinärsprüfung, Gebührenbescheid, Uhrzeit der Jagd usw., alles sauber geregelt und nachvollziehbar. Das sei doch was!

Seit einigen Wochen schon macht er nun diesen Laden. Fürs Weihnachtsgeschäft hat er einen Vorrat an Fleisch eingefroren. Und wann immer er Zeit hat, geht er mit Anton raus in den Wald. Er kann einem das auf dem Plan zeigen, blau umrandet die 150 Hektar seines Reviers am Straussee, rote Punkte die Hochstände. Er zieht dann festes Schuhwerk an, Lederhose wegen des Gestrüpps, Schiebermütze, das Fernglas 10 x 56 um den Hals, alles in dezentem Grün, eines seiner drei Gewehre geschultert. Meyer sagt, er habe eine ruhige Hand. Norbert Thomma

Berliner Wildfleischhandel, Großbeerenstr. 96 (Ecke Stresemannstr.), Kreuzberg, Tel. 548 104 65, Di–Fr 12–18 Uhr. Preise und Auswahl: www.wildfleisch-berlin.de

Die Uhr an der Wand, natürlich in Weiß-Blau gehalten, läuft rückwärts. Warum, steht neben dem Zifferblatt: „In Bayern gehen die Uhren anders.“ Und in Boris Priebes Laden eben auch. „Je länger du hier sitzt, desto mehr Zeit gewinnst du“, sagt der 36-Jährige und grinst. Vor acht Jahren kam Priebe nach Berlin, eigentlich für eine Weiterbildung zum Lebensmitteltechniker. Doch als er merkte, dass die besten Biere aus seiner bayerischen Heimat in der Hauptstadt ebenso schwer zu bekommen waren wie eine gute Weißwurst, entstand schnell die Idee fürs eigene Geschäft. In dem verkauft Priebe seit nunmehr fünf Jahren bayerische Biere (derzeit 75 Sorten, von Aecht Schlenkerla bis Weismainer), Weine, Brände, Säfte, Käse, Wurst, Senf, Brezen – und ein wenig auch bayerisches Lebensgefühl. „Weiß Blau“ heißt der Laden in der Charlottenburger Knobelsdorffstraße: Draußen ist eine bayerische Fahne gehisst, drinnen hängt eine Kuhglocke an der Wand, und auf dem Kühlregal stehen Maßkrüge aus Steinzeug.

Priebe stammt aus einem 6000-Einwohner-Städtchen in der Oberpfalz und ist gelernter Brauer. Übers Bier spricht er so wie andere über Wein, schwärmt vom „Spiel von Hopfen und Malz“, vom Karg-Weißbier aus Murnau („kräftig, leichter Bananenkompott-Geschmack“) oder von der Tradition des Bamberger Rauchbiers. Industrie-Bier gibt es bei Priebe nicht, die ursprünglichen, handwerklich arbeitenden Brauereien, wie es sie in Bayern in unerreichter Vielfalt gibt, liegen ihm am Herzen. Auch der Leberkäse, die Coburger Bratwurst oder der Allgäuer Käse in seiner Theke stammen von ausgewählten kleinen Metzgereien und Käsereien. Er kennt die Firmen, von denen er seine Produkte bezieht, alle aus eigener Anschauung. Jedes Jahr bricht er mit seiner Freundin von Neuem zu einer kulinarischen Entdeckungstour durch Bayern auf.

In Berlin vermisse er nur die Berge, sagt Priebe – und im Sommer die Biergärten. Sein Laden besteht aus zwei hohen Altbau-Zimmern, an der Decke Stuck, am Boden Holzdielen; im kleineren der beiden stapeln sich Bierkästen. Wer will, kann Platz nehmen an einem der zwei Holztische, besonders freitags nach Feierabend trifft sich hier die Nachbarschaft. „Ich versuche, dass sich die Leute zusammensetzen, ins Gespräch kommen, ein bisschen wie im Biergarten“, erklärt der Ladenbesitzer. „Bei mir wurde schon manche Freundschaft geschlossen.“

Jetzt bereitet sich Boris Priebe erst mal auf die Weihnachtszeit vor – demnächst im Angebot: original bayerische Lebkuchen und Glühwein. Björn Rosen

Knobelsdorffstraße 37, Tel. 36 41 01 63, Mo–Mi 11–19 Uhr, Do und Fr bis 20 Uhr, Sa 10–15 Uhr. www.weiss-blau-berlin.de

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