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Von TISCH zu TISCH: Glass

„Stadtgarten“ mit Wurzeln und Blüten.

In den letzten Monaten habe ich hier wiederholt einen gewissen Überdruss am routinierten Daherkochen geäußert – es gibt eigentlich keinen Grund dafür, dass neue Dinge und ungewöhnliche Kombinationen nur in teuren Edelrestaurants ausprobiert werden. Allerdings: Was ist schon neu? Und was ungewöhnlich?

Mal sehen. Die moderne Art des Kochens erkennt man gegenwärtig daran, dass in der Karte nur noch vier oder fünf Zutaten angegeben werden, die dann als Überraschungspaket auf dem Teller erscheinen; manchmal ist kaum noch zu erkennen, ob es sich um eine Vorspeise, eine Suppe oder ein Dessert handelt. „Glass“ heißt der letzte Berliner Neuzugang in dieser Richtung. Der Name könnte sinnfälliger kaum sein, denn es handelt sich um einen quadratischen, rundum verglasten Raum mit äußerst karger Ausstattung – man tritt durch die Tür und ist mittendrin.

Leider gibt es keinen Wärmeschutz für die, die schon drin sind. Und auch der Empfang war äußerst kühl, so kühl, dass ich ohne dienstliche Absicht sofort wieder gegangen wäre. Die Jacken hängt man in Ermangelung einer Alternative über die Stuhllehne, das tun alle.

Küchenchef Gal Ben Moshe hat in einigen trendsetzenden Restaurants wie dem „Alinea“ in Chicago gearbeitet. Er kocht ein zum Großteil vegetarisch geprägtes Menü mit maximal zehn Gängen, das damit fast auch das ganze vegetarische Menü (maximal acht Gänge) darstellt (55–95 Euro). À la carte kann nicht gegessen werden, was angesichts der sensationell kleinen Portionen auch keinerlei Sinn gäbe. Sofort – noch weit vor dem Wein – stellt der Chef zwei Häppchen hin, passable Räucherpaprika in einer Art Hefeteig und gebackene Maronenbällchen, die nach nichts schmecken.

Dann – der Wein ist immer noch nicht da – erscheint schon der erste Gang, die „Oxtail Explosion“, eine Miniatur, die auf der Zunge etwa die Explosivkraft eines feuchten Pfennigschwärmers entfaltet. Ein Teller mit Heidelbeeren, Haselnüssen und ein paar Kresseblättchen wird mit einer sanften Pastinakensuppe aufgegossen, das ist recht gut. Die zierlich quer über den Teller gespreizte Kombination von Radieschen, Birnenwürfeln, Mandeln, Frisée und etwas Limette bringt mit Säurespitzen Frische ins Spiel, dann zeigen die Pilze mit Estragonschaum und Sherry-Gel gute Aromenbalance, allerdings nerven auch süßliche Kuchenkrümel, deren Sinn sich nicht erschließt.

Der Vorzeigegang des Restaurants, der „Stadtgarten“, ist eine der Saison angepasste Gemüse- und Blütenmischung mit etwas Malz-„Erde“. Nicht neu, aber schön bunt mit einer Him-, einer Brombeere und erneut zwei Heidelbeeren, Geleewürfeln, Gelklecksen, Pimpinelle, Salat, verschiedenen Rüben. Es fehlte ein verbindendes Element, aber wer alles durcheinandermischt und dann unbesehen isst, der hat vermutlich am meisten davon.

Bei den Kürbis-Agnolotti mit Schwarzkohl und einer schaumigen Soße fielen uns wieder die Kekskrümel auf die Nerven, zerbröselte Amarettini offenbar, die den gesamten Teller ins Desserthafte zogen. Gänzlich vergurkt fand ich den Stör, ein winziges, ausgelaugtes Filetstück auf Pastinakenpüree. Der schon von Natur aus neutrale Fisch bekam den Gnadenschuss von etwas Herbstlaub, das auf dem Unterteller vor sich hin kokelte ...

Für das Dessert „Candybox“ wird eine Silberfolie auf dem Tisch ausgebreitet, auf der der Chef verschiedene Süßigkeiten verstreut: gegrillte Marshmallows, Popcorn, erneut Krümel, erneut Erde, Gelee, Schokoperlen mit Peta-Zeta-Prickel, Deko-Grün, obendrauf eine Kugel Schokosorbet – eine unterhaltsame, geschmacklich eher süßlich-breite als anregende Spielerei. Kleine, nicht ganz günstig kalkulierte Weinkarte: Freaks würde ich den genialen „Garage du Papa“ von Ido Lewinsohn empfehlen, einen raren israelischen Roten, der allerdings 96 Euro kostet und zu diesem Essen nicht passt.

Ja: Die einen dürften das originell verspielt finden, die anderen werden sich veralbert fühlen. Ich neige zu etwa 65 Prozent zur zweiten Auffassung. Ein besser besetzter, herzlicherer Service könnte das noch ein wenig verschieben.

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