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Von Tisch zu Tisch: Goldneun: Schwertmuschel roh und warm

Der Kodex für die Einrichtung eines ordentlichen Berliner Szene-Restaurants sieht erst einmal vor, dass der Eingang schwer zu finden ist. „Cookies Cream“ oder „Cantina Tausend“ verlangen vom Gast, dass er sich einen Ruck gibt und in Regionen vordringt, die er eigentlich lieber meidet.

Auch das „Goldneun“, das im Herbst frisch den Markt betreten hat, ist so ein Fall: Direkt am zuletzt so übel beleumundeten Alexanderplatz, mit einem Entree, das Uneingeweihte grübeln lässt: Hier? „Zwischen Titus und Kartoffelhaus“ steht auf der Website, merken Sie sich das!

Ältere Ost-Berliner kennen das natürlich als „Haus Ungarn“, und ich vermute, dass es sich seit dem Bau in den Siebzigern kaum verändert hat. Wer hier mit wenig Aufwand ein Restaurant implantiert, der weiß, was die Leute so sagen: „Das gibt es nur in Berlin“. Komfort wird abgelehnt, der Gast sitzt in nackten Räumen auf kalten Plastikstühlchen an kleinen Tischen, hat aber immerhin den famosen Blick durch die großen Fenster.

Das Speisenangebot ist modisch knapp gehalten, verantwortlich sind die Brüder Matthias und Stefan Eggert, einst kurze Zeit im „No. 45“ am Kollwitzplatz. Ihr Programm ist deutsche Küche, aber auf moderne Art, also ein wenig dekonstruiert. Aber nicht zu sehr, wie die „Berliner Leber“ zeigt, eine Vorspeise aus Kalbsleberpastete, Kartoffelpüree, Apfelkompott und Zwiebeln. Das schmeckt ganz brav, keinesfalls avantgardistisch.

„Schwertmuschel roh und warm“ ist ein Tellergemälde zeitgenössischen Stils, das also in schlangenförmiger Anrichtung nur etwa ein Drittel des Tellers einnimmt. Darauf liegen Kleckse von gelierter Buttermilch, etwas Saiblingskaviar, und das besagte Muschelfleisch windet sich um eine weiche, bräunliche Stange, die ich erst nach Wiederlesen der Karte als „Schwarzwurzel gebrannt“ identifiziert habe, eine eher lässliche Bekanntschaft. Das Bemühen wird deutlich, allerhand Kontraste optischer wie geschmacklicher Art zu vereinen – aber das winzige, sehr mild gewürzte Ergebnis ließ mich kalt, es gelang nicht, die spannenden Versprechungen der Karte adäquat umzusetzen. Wieder konventioneller: Wachtel mit Brust und Keule, handwerklich sauber, mit Pastinaken und süß-saurem Rosenkohl.

Davon wird, szenetypisch, niemand satt. Gottlob fallen die Hauptgänge etwas voluminöser aus: Kräuersaitlinge mit Porree auf grünen Linsen mit leichtem Raucharoma, Kerbel und Portweinreduktion waren ein sehr gelungener Gemüsegang. Das Ruppiner Weidelamm – Rücken und Leber – bestach durch angenehm verspielte, aber nicht verfremdete Fenchelvariationen; das Rückenfilet war allerdings so hastig gebraten, dass es von außen nach innen alle nur erdenklichen Garstufen aufwies, das ist nicht optimal.

Eher übergart und unterwürzt kam dagegen der Kabeljau (Skrei) an den Tisch, akzentuiert mit Blumenkohl, Kartoffel, brauner Butter, Sauerampfer und Dill in Spuren sowie einem leicht süßen Püree von eingekochten Pflaumen – gut balanciert, aber doch wieder deutlich zu verhalten. Wenn solche jungen Experimentierköche keinen Mut zum Würzen haben, wer dann? Ganz nett die Desserts, eine Kombination aus Kirschsorbet mit Pumpernickelkrümeln und einem ziemlich abgeschlafften Topfensoufflé, und ein anderes aus Zwetschgen und Milchschokolade mit Vogelmiere als grünem Akzent (Vorspeisen um 9, Hauptgänge um 20 Euro).

Gut: Es wird schnell serviert, kein Wunder, denn auch der dazugehörige Club soll ja seinen Teil bekommen. Was ich gesehen habe, erinnerte mich an den evangelischen Partykeller meiner Jugend, aber das mag ein aktueller Trend sein. Wir haben uns lieber noch ein wenig am Wein festgehalten, einem Grauburgunder von Holger Koch (Baden, 26 Euro), das ist immer was Gutes und schmückt die nicht große, aber kundig und preisgünstig sortierte Karte. Der Service ist jugendlich, selbstgefällig und schusslig, das lernt man heute wohl so. Berlin eben.

Gehen Sie mit nicht zu hohen Erwartungen und nicht zu konventionellen Gästen hin. Dann passt das schon.

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