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Von TISCH zu TISCH: Kalte Küche

Wienerwald und Bacco: Berliner Restaurantkultur

Es wäre vermutlich übertrieben, 1968 nun auch zum Jahr der deutschen Küchenwende zu ernennen. Dafür war damals einfach noch zu wenig los in den deutschen Töpfen. Andererseits: Es bewegte sich was. Erstmals wurden kulinarische Einflüsse spürbar, die über Toast Hawaii und gefüllte Paprikaschoten hinausgingen. Es waren vor allem die Jahre der Gastarbeiter aus Jugoslawien und Italien, die Cevapcici und Pasta asciutta mitbrachten und an die fernwehkranken Deutschen verkauften.

Aus dieser Zeit ist in Berlins Restaurantwelt praktisch nichts mehr erhalten geblieben – ausgenommen das 1968 gegründete „Bacco“ in der Marburger Straße, das bis heute von Massimo Mannozzi betrieben wird und schon kurz nach der Eröffnung zum Pflichtprogramm italienischer Berlinale-Stars gehörte. Das typisch deutsche Restaurant sah zu jener Zeit ganz anders aus, ungefähr so wie die Kulissen, in denen Loriots Tischgesellschaften ihre Kosakenzipfel zu speisen versuchten. Es zeichnete sich durch Perlon-Gardinen und trockene Sanseverien auf dem Fensterbrett aus. Auf der Speisekarte: Jägerschnitzel, Forelle Müllerin, Obstsalat aus der Dose.

Diese Restaurants waren die Spielwiesen des Wir-sind-wieder-wer-Bürgertums, das sein Wohlgefühl mit Mariacron und Dujardin zum Bier stabilisierte. Junge Familien pilgerten lieber in die unkomplizierten Wienerwald-Filialen, die damals jene Rolle spielten, die heute den Burger-Ketten vorbehalten ist. Berlin hatte allerdings auch autochthone Konkurrenz im Geflügelsektor zu bieten: den populären „Hühner-Hugo“ in der Brandenburgischen Straße. Für hohe Fest- und Feiertage entdeckte man langsam die Reize der neuen Hotel-Restaurants. In diesen Jahren wurde der Berlin-Grill im Hotel Berlin zu einer Wirtschaftswunder-Legende; ganz feine Leute probierten das Restaurant im neuen Hilton oder wagten sich gar ins Kempinski am Ku’damm, wo schon in den 50er Jahren wieder Hummercocktail oder Cordon bleu auf der Karte standen.

Wer allerdings hoffte, dort auch gleich berühmte Hausgäste wie Hildegard Knef oder Curd Jürgens zu sehen, hatte meist Pech. Die Prominenten der Sechziger frequentierten lieber legendäre Absturzstellen wie die „Volle Pulle“ am Steinplatz, die man durch ein riesiges Weinfaß betrat. In den wenigen preislich wie kulinarisch höher angesiedelten Restaurants trafen sich eher Diplomaten, Spione und alliierte Militärs, keine sehr zukunftsträchtige Kundschaft.

Denn jetzt lief allmählich die Zeit jener traditionsreichen Restaurants ab, die den Krieg auf wundersame Weise überstanden hatten. Es gab noch „Mampes Gute Stube“, wo die Küche mit den berühmten Hechtklößchen an die jüdische Tradition Berlins anknüpfte, und vor allem das „Schlichter“ in der Martin-Luther-Straße, das zum letzten Überbleibsel der kulinarisch glorreichen Zwanziger Jahre wurde.

Die Geschäfte der gehobenen Gastronomie gingen schlecht, das zeigte sich beim „Schwabenwirt“: Der Besitzer stürzte sich irgendwann verzweifelt aus dem Fenster. Es gab aber auch Aufbrüche wie den von Ernst Fischer im „Ritz“ in der Rankestraße. Der weitgereiste Küchenmeister kam zu früh – aus heutiger Sicht müsste man ihn mit seiner sehr persönlichen, chinesisch beeinflussten Küche als Fusion-Pionier rühmen.

Doch damals redete niemand öffentlich über Restaurants. Der Guide Michelin vergab zwar 1966 erste Sterne für Deutschland, doch die funkelten ausnahmslos weit im Süden. Die jungen Berliner ahnten davon nichts; sie tranken süßen Lambrusco und Chianti aus der großen Bastflasche, saßen in den Teestuben am Ludwigkirchplatz, entflohen der spießigen Küche ihrer Eltern zu Zwiebelkuchen und Calamari fritti oder stopften sich in den ersten Pizzerien wie dem „Petite Europe“ den Bauch mit Peperoni-Pizza voll. Auch sehr beliebt: Spaghetti in dunklen, sogenannten Studentenkneipen wie der „Apotheke“ in Charlottenburg. Das Zürcher Geschnetzelte eroberte die feineren Küchen, die ersten Steakhausketten wie das „Churrasco“ kamen groß heraus. Eine Wende zweifellos – aber bis zur Blüte der französischen Küche, die von Henry Levy im „Maître“ inszeniert wurde, sollte es noch rund ein weiteres Jahrzehnt dauern.

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