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Von Tisch zu Tisch: Ma Tim Raue

Schwimmblasen mit Koriander

Zum Abschluss der Tim-Raue-Trilogie heute: das „Ma Tim Raue“. Wir hatten in diesem Jahr bisher das von ihm beaufsichtigte modern italienische „Gabriele“, die japanisch inspirierte Speisenbar „Uma“ und nun also jenes Restaurant, das ihm so am Herzen liegt, dass er seinen Namen mit jenem 2000 Jahre alten Tonpferd verband, das dem Haus als Symbol dient. „Ma“ heißt auf chinesisch „Pferd“, und das hat das Missverständnis geschürt, hier entstehe ein chinesisches Gourmetrestaurant. Ich habe das eine Weile auch geglaubt – bis mir jetzt klar wurde, dass die auf höchsten Touren rotierende Raue-Kreativitätsmaschine sich solchen Kategorisierungen weiter schlicht entzieht.

Die Peking-Ente beispielsweise, die eigentlich als eine Art Wappentier an die Seite des Pferdes treten sollte, ist längst zur kantonesischen Taube mutiert, wie sie in dieser Begleitung – Mandarine, Artischocke, Chicoree – in China garantiert noch nie gesichtet wurde. Doch entscheidend ist ja, wie es schmeckt, und das tut es. Kräftig und würzig, häufig auch kräftig scharf ist alles, was aus Raues Küche kommt, und er setzt sich dabei über fast jedes Tabu hinweg. Zum Beispiel jenes, dass Taubenbrust mit weichlicher Konsistenz und gleichmäßig rosiger Farbe auf den Teller kommen müsse. Seine Taube ist radikal durch, hat eine knusprige Pelle, wird mit den Fingern gegessen – und schmeckt hinreißend nach Taube.

Kombinationen und Produkte wechseln hier manchmal so schnell, dass selbst Stammgäste ins Grübeln kommen. So servierte uns Raue geschmortes Schweinekinn mit katalanischem Kohl - und befand einen Tag später, dazu passten Waldorfsalat und Steinpilze doch noch besser. Möglicherweise wird alles noch besser, wenn er mal den Turbo rausnimmt und ein wenig durchatmet?

Keine Ahnung, was er mit der Entenbrust macht, die steht nicht auf der Karte: Wir probierten Entenherzen und ein krümeliges, aromatisches Entenhaschee mit roten Beten und einem Hauch Estragon. Am meisten Aufsehen erregen hier die ganz schrägen Sachen wie beispielsweise Seegurke, deren würziges Aroma durch Trüffelscheiben und eine kräftige Tamari-Sojasauce unterstützt wird, dazu gibt es einen Stengel chinesischen Broccoli. „Fish Maw“ sind die Schwimmblasen großer Fische, die getrocknet, eingeweicht und gekocht werden und zart-knackige Konsistenz mit sanftem Meeresaroma verbinden – nicht zu verwechseln mit den tranigen „Kabeljaukutteln“, die gerade einen Höhenflug in der deutschen Avantgardeküche absolviert haben. Raue kombiniert „Fish Maw“ zu einem kleinen Eintopf mit Jacobsmuscheln, grüner Paprika und Koriander.

Es ist hier schwerer als bei nahezu jedem anderen Restaurant, auf Aufzählungen der einzelnen Gänge und Zutaten zu verzichten, weil sich der eigenwillige, aber auf dem Teller keineswegs kompliziert wirkende Stil sonst nicht erschließt: Hummer mit Sobrassada-Wurst und Löwenzahn im Paprikasud? Kaisergranat mit Grapefruit und Koriander? Halten wir fest, dass die Gartechnik auf dem neusten Stand ist, saftiger und zarter kann man Fischfilets nicht präsentieren, halten wir aber auch fest, dass viele andere Dinge schlicht aus dem brüllheißen Wok kommen – und sich also die Niedertemperaturtechnik nicht in wabbligem Rosafleisch niederschlägt. Das von unendlich viel köstlichem Fett durchzogene neuseeländische Premium Beef, nach Kobe-Muster erzeugt, ist hier, schlicht rosa gebraten, das beste Rindfleisch, das es in Berlin zu kosten gibt, dezent mit Feige, Brunnenkresse und Raues typischem „Bohnensaft“ begleitet. (Achtung: 88 Euro. Daneben Menüs 89/118 Euro und à la carte, viele gute Weine.)

Generell ist Raue puristischer geworden, versucht nicht mehr, alle denkbaren Kontraste auf einem Teller zu vereinen – trotzdem werden Anhänger einer betont subtilen, in feinsten Nuancen kolorierten Gourmetküche wohl nicht glücklich werden, denn im Ma, das dürfte klar geworden sein, geht es würzig, häufig scharf und manchmal durchaus deftig zu. Es handelt sich, gar keine Frage, um das stilistisch interessanteste und ambitionierteste Restaurant der Stadt. Ob es auch das beste ist, sollte jeder Gast nach seinem Geschmack entscheiden.

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