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Von Tisch zu Tisch: Maremoto

Dehydrierte Grapefruitkrümel

Es liegt ein Hauch von Kulturkampf in der Luft – die sogenannten „Molekularköche“ gegen den Rest der Welt. Die Avantgarde wird angefeindet, bevor sie sich nach und nach mit der Tradition zu einem neuen Stil verbindet, das ist typisch für die Kunst, der wir das Kochen hier der Einfachheit halber zuschlagen. Dabei geht es im Kern um nichts als die Frage, ob handwerklich arbeitende Top-Köche Zusatzstoffe verwenden dürfen, die sonst nur in der Lebensmittelindustrie üblich sind. Wo beginnt die Veränderung des natürlichen Produkts? Beim ersten Schnitt mit dem Messer, meint der Molekular-Halbgott Ferran Adrià; darüber lässt sich streiten, aber er definiert zumindest präziser als seine Gegner, die zwar ohne Zögern traditionelle Gelatine in die Sülze werfen, vegetarisches Alginatpulver aber für Verrat am Hl. Slow-Food-Geiste halten.

Ich plädiere für friedliche Koexistenz und freue mich darüber, dass die kulinarischen Ausdrucksmöglichkeiten durch die spanischen Avantgardisten so erweitert wurden. Und darüber, dass einer der profiliertesten deutschen AvantgardeKöche, der Adrià-Schüler Cristiano Rienzner, in Berlin arbeitet. Er hatte allerdings mit seinen Restaurants bisher kein Glück; ob es nun am eher entlegenen Strausberger Platz besser fluppt?

Denn das Konzept des „Maremoto“ (spanisch: Seebeben) ist harsch: das obligatorische Menü mit 15 kleinen Gängen kostet 129 Euro. Dafür gibt es einen Querschnitt durch die Möglichkeiten der neuen Küche, die Rienzner „metaphorisch“ nennt. Der Begriff ist nicht ohne Tücke, denn er karikiert auch den Geburtsfehler dieser Richtung, die den unmittelbar sinnlichen, spontanen Zugriff des Kochs einer strikten Effektmechanik opfert, die ohne Arzneiwaage, Stoppuhr und präzise Temperaturregler nicht einmal ansatzweise realisierbar ist. Insofern war ich fast ein wenig beruhigt, dass die beiden „Sphären“, also außen gelierte Kugeln aus flüssigem Spargelsaft, ganz unterschiedlich ausfielen: In einer war das trickreich eingefügte Eigelb unplanmäßig schon hart geworden.

Rienzners Lieblingstechnik ist das Dehydrieren durch flüssigen Stickstoff, eine High-Tech-Trocknung, die besonders intensiven Geschmack schafft, wie er beispielsweise bei den Erdbeer-Meringuen zu kosten ist. Hochinteressant ist der Effekt bei den dehydrierten Grapefruit-Krümeln, die als „Risotto“ zum Stockfisch serviert werden. Jede Menge Gaumenreiz auch sonst: Hauchdünne fritierte Maisringe, recht süß, mit Joghurtschaum, Anchovis und Basilikum, fritierter, also in einer knusprigen warmen Teigkugel versteckter Sherry mit Iberico-Schinken, eine wunderbare große Auster mit Aloe Vera, Ananas und Anis-Schaum, transparentes Papier mit Hibiskus-Aroma (eher ein Gag).

Bei der geschmorten Schweineschulter mit Kaffeehauch und Lavendelschaum stieß das Prinzip der flüssig gefüllten „Sphären“ an seine Grenze, denn ein paar warme, möglicherweise karamellisierte Birnenstücke in ihrer angeborenen Textur hätten deutlich besser geschmeckt als die glubschigen Birnensaftkugeln. Exzellentes Friedensangebot an Molekular-Skeptiker: Das Rib-Eye vom neuseeländischen Rind mit einer nahezu konventionellen Sauce Bearnaise und hauchdünnen Chips namens „Pringles Maremoto“. Die Desserts, die mit vertrauten Motiven wie After Eight und Pina Colada spielen, wirken schon fast konventionell – das liegt daran, dass sich die neuen Methoden beim Dessert längst auch in guten traditionellen Restaurants durchgesetzt haben. Erfreulich zügiges Serviertempo, viele gute Weine.

„Emociones & Prototipos“ ist das Motto der Speisekarte. Bei allem Respekt vor der handwerklichen Souveränität Rienzners vermisse ich aber gerade die Emotionen, die in einer so abgezirkelten Küche nur schwer überkommen. Er müsste es überdies schaffen, die Klischees der spanischen Aromenwelt zugunsten eines regionaleren Ansatzes aufzugeben, wie es die skandinavischen High-Tech–Köche meisterlich vorführen. Ach, und wenn es dann auch noch ein wenig Gemüse zu essen gäbe, wäre das fast zu schön, um wahr zu sein.

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