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Von TISCH zu TISCH: Sauvage

Lactofermentierter Mandel-Paprika-Käse.

So schlimm kann es in der Steinzeit dann auch wieder nicht gewesen sein. Zwar bot die Kellnerin des paläolithischen Restaurants „Sauvage“ uns allen Ernstes Kefir als Aperitif an. Aber als sie sah, wie unsere Mundwinkel nach unten kippten, wies sie uns eiligst auf den sauberen, leicht säuerlichen Biosekt hin, den das Haus als kleines Zugeständnis an die Gegenwart auch führt. Die frisch gestärkten weißen Stoffservietten gehören wohl ebenfalls dazu. Ansonsten: Tierfelle auf braun gebeizten Böden, Holzspanlampen, die an Leuchtkraft ein gewöhnliches Lagerfeuer nicht übertreffen, ein paar Kerzen, dunkle Tische, aus rohem Holz gezimmerte Bartresen, dazu immerhin gepolsterte Stühle schaffen ein gemütliches Höhlenambiente. Berlin ist eine Stadt für Menschen, die im Herzen Kinder geblieben sind.

Von der schweren Kost der Feiertage kann man sich erholen. Auch wenn sie es nicht wussten: Unsere Vorfahren aßen vor zwei Millionen Jahren nach dem Trennkostprinzip. Mitte der 70er Jahre wurde deshalb auch eine eigene Steinzeitdiät entwickelt. Die wird in ihrer strengsten Ausrichtung hier glücklicherweise nicht praktiziert, jedenfalls nicht bei den Getränken. Es gibt eine kleine, aber gute Weinkarte, von der wir einen leichten ordentlichen Frankenwein probierten (15,90 Euro).

Das Amuse Bouche kommt stilecht auf einer schwarzen Schieferplatte und besteht aus zwei Tässchen Karotten-Kokos-Suppe, etwas bröckeligem Maniok-Brot mit einem Gemüse-Nuss-Dip und getreidefreien Pastetchen mit Himbeeren. Warum passt der starke isländische Akzent der ebenso dünnen wie hoch motivierten Kellnerin so gut in dieses Ambiente? Das Essen kommt jedenfalls schnell, so schnell, dass man leicht den Verdacht bekommt, hier werde nicht alles wie damals im offenen Feuer gegart. Aber das ist uns sehr angenehm. Der Boden der Gemüsetarte ist etwas hart zu zerteilen und auch nicht knusprig, aber dafür getreidefrei. Gefüllt ist die Tarte ganz schmackhaft mit gegrillten Pilzen und Kürbispüree (7 Euro). Der gegrillte Oktopus ist sogar geradezu neuzeitlich weich zubereitet mit Bananenessig und Tomatenmarkglasur und gewälzt in Sesamkörnern. Der Salat, auf dem die fünf Stücke hocken, schmeckt, man kann es leider nicht anders sagen, nach Medizin (7,50 Euro). Viele Gerichte sind lactofermentiert, also nach alter Väter Sitte konserviert. Ungewöhnliche Geschmackserlebnisse gehören dazu, wenn man so weit in die Vergangenheit abdriftet.

Der Seebarsch ist außerordentlich saftig mit kross gebratener Haut und einer malerischen Gemüsejulienne obenauf, mit einer ganz gelungenen Tahini-Kokosnuss-Soße auf einem Bett von vermutlich mit der Hand gesammeltem, gekochtem Löwenzahn und gegrillten Zwiebeln (28,50 Euro). Gut gefiel uns die Brust vom wilden Fasan mit einer Füllung aus lactofermentiertem Sonnenblumen-Mandel-Paprika-Käse mit geschmortem Chicoree, Ragout vom Fasanenbein und einer Soße aus Orangen und Koriander (26 Euro). Lactofermentiert gehört zu den Lieblingsausdrücken der Paläo-Köche.

Zum Nachtisch gab es Bratapfel, eine dicke Scheibe von gebackenem Boskop-Apfel mit einer Füllung aus Trockenaprikosen und Walnüssen und einer heißen Apfelkokossoße (6 Euro). Langsam fragten wir uns wirklich, wie die brandenburgischen Sammler und Jäger eigentlich an die ganzen Kokosnüsse rangekommen sind. Wahrscheinlich mussten sie ohne leben, und dies ist nur ein Abbild der globalen Ernährungssituation in jenen Jahren. Sonst könnte hier wohl auch kaum Bananenessig serviert werden. Die Dessertplatte „Jäger und Sammler“ enttäuschte uns etwas, weil wir die Jägerprodukte vergeblich suchten. Walnüsse, Johannisbeeren, Haselnüsse, Trauben, Blaubeeren und Bananen werden doch recht eigentlich eher gesammelt als erlegt.

Interessant nennt man so ein Essen. Aber außer dem Sekt sind viele Lebensmittel Bio, und das Fleisch stammt von Tieren, die auch heute noch so leben dürfen wie in der für sie vermutlich glücklicheren Steinzeit.

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