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Von TISCH zu TISCH: Soya Cosplay

Garnelenbällchen mit Wasabi-Mayo.

Neulich hat mich jemand gefragt, wie wichtig heutzutage eigentlich die kulinarische Authentizität sei. Ich war ziemlich ratlos – so weit ich sehe, spielt diese Vorstellung eigentlich nur noch in der Beurteilung asiatischer Restaurants eine Rolle, die dann als besonders gut gelten, wenn dort so gekocht wird wie im Heimatland des jeweiligen Kochs. „Da saßen lauter Chinesen!“ loben wir dann. Aber ist das so? Nach dieser Logik wären die besten Restaurants von Mallorca dort zu finden, wo die meisten deutschen Urlauber Schnitzel mit Pommes essen. Und wie wird in Deutschland überhaupt gekocht – gilt da die Kohlroulade in der Bierkneipe mehr oder die dekonstruktive Finesse unserer bedeutenden Drei-Sterne- Köche?

Sie merken: Ich weiche der Debatte aus. Ich habe schon – angeblich authentisch – koreanisch und taiwanesisch gegessen und bin seitdem dankbar für jeden Koch, der dieses Essen durch ein paar einfache Eingriffe möglichst weit vom Authentischen entfernt. Vieles angeblich Echte ist auch das Resultat einer historischen Mangelsituation, die wir nun ja wirklich nicht auf unsere Verhältnisse ... Und so weiter. Die Kunst des modernen Asienkochs besteht vermutlich darin, seinen frei erfundenen Zubereitungen derart die Aura des Authentischen zu verleihen, dass die Gäste dran glauben.

Große Meister in dieser Disziplin sind Axel Burbacher und Guanfeng Guan, die Macher so erfolgreicher Kiez-Speisestuben wie „Yumcha Heroes“ und „Long March Canteen“. Diesmal haben sie sich die anspruchsvolle Aufgabe aufgehalst, das verblichene „Guy“ am Gendarmenmarkt als gehobenes China-Restaurant wiederzubeleben. Denn hier fehlen nun die subjektiven Faktoren der Glaubwürdigkeit, vor allem die abgeschabte Nachbarschaft. Auf der Straße dominieren Büromenschen und Touristen, das ist schon mal schlecht. Immerhin: Die halbherzige Toskana-Seligkeit des Vorgängers ist durch eine raffiniert inszenierte Asienkulisse ersetzt worden, das ist angenehm, wenn auch der Hauptgastraum im Tiefparterre problematisch bleibt. Schöner sitzt es sich eins höher auf der schmalen Galerie oder im offenen, mit einem Segel überspannten Hof.

Das Essen: gut. Die Speisekarte zählt die vorhandenen Gerichte einfach auf, ganz ohne Kategorien. Die Grundidee läuft aufs Teilen hinaus, das ist nun wirklich authentisch, jeder Gast soll sich was bestellen und dann reihum weitergeben, was allerdings an Grenzen stößt, wenn beispielsweise drei Dumplings kommen; wer mal versucht hat, diese Dinger zu teilen, der weiß, dass das eine Riesensauerei gibt. Hier sind sie sauber gemacht, dahinter steht die hauseigene Manufaktur, die auch die anderen Betriebe versorgt. Ausgezeichnet: die klassische Pekingente als Kleinportion, knusprig, würzig, viel besser als z. B. im „Good Friends“.

Die knusprig umhüllten Garnelenbällchen mit Wasabi-Mayonnaise und Osmanthus-Honig wirkten dagegen sehr modern, deutlich inspiriert von einer Zubereitung, die Tim Raue aus Singapur mitgebracht hat, technisch gelungen, mir aber zu süß. Besser fand ich die ausgebackenen Garnelen mit köstlichen Aromen von Orangen- und Limettenschale, wunderbar deftig und sanft scharf die Roastbeefscheiben in Chiliöl. Wer Lust auf kalte Kalbsrippchen hat, der sollte sie davor bestellen, weil sie recht nüchtern schmecken, begleitet nur von getrocknetem und eingelegtem Senfgemüse, dessen Geschmack ich „interessant“ nennen würde (meist zwischen 6 und 18 Euro, einzelne Gänge auch höher).

Hochinteressant fallen die Desserts aus, die weit über das China-Übliche hinausgehen: Kokosmilch-Tapioka mit Süßkartoffeln und Kalamansi-Granité, oder karamellisierter Wasserkastanienpudding mit Rote-Bohnen-Eis. Gute, nicht zu teure Weine vor allem aus Deutschland, aufgeschlossener, gut informierter und freundlicher Service.

„Soya Cosplay“ hat übrigens nichts zu bedeuten, es geht einfach um den Sound. Ich bin gespannt, ob das Erfolgsrezept der beiden Macher unter diesen verschärften Bedingungen funktioniert – authentisch oder nicht.  

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