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Unser Autor hatte Schwein - eines wie dieses.

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Wild auseinandernehmen: Erlegt, zerlegt

Winterzeit ist Wildzeit. Als unser junger Autor erzählte, er gehe am Wochenende jagen und nehme die Tiere aus, sagten wir: Schreib das auf! Er fuhr los und hatte Schwein.

Von Andreas Austilat

Ich zerlege gern tote Tiere. Erzähle ich meinen Freunden von meinem heimlichen Hobby, drehen die sich mit Schaudern um. Für mich hat das Ausnehmen, Häuten und Zerlegen von Wildbret nichts Ekliges, im Gegenteil, es ist der normale Prozess vom lebendigen Tier zum Bratenstück. Daran denken viele nicht mehr, wenn sie in die Currywurst beißen. „Entleibte Speisen“ nennt Sternekoch Vincent Klink das Phänomen. Im Supermarkt werden steril abgepackte oder ansehnlich drapierte Fleischstücke vorgelegt. Das blutige Gehacke der Metzger soll sich gefälligst im Verborgenen abspielen. Dabei hatte jedes Filetsteak mal Hörner, jede Leberwurst tollte auf vier Beinen über die Weide. Und jeder Kebabspieß hatte wolliges Fell.

Ich werde oft gefragt, ob ich damit in der Kindheit angestaute Aggressionen abbauen müsse. Der Grund ist weniger psychologisch: Früher war ich jeden Sommer in Kärnten auf dem Bauernhof. Ich verbrachte Stunden im Stall, kümmerte mich um Ferkel und Kälber. Der Bauer meinte, ich solle nicht enttäuscht sein, wenn das Lämmchen mit dem treuen Blick bald in der Schlachtkammer hinterm Haus ende. Der Gedanke war grausig, aber ich verstand: Am Ende sind es Nutztiere, die den Lebensunterhalt der Familie sichern.

Mein Bruder und ich haben auf dem Hof unseres Onkels in Schleswig-Holstein das erste Mal gejagt und sind mit ihm auf den Hochsitz gestiegen. Unsere Tante kochte später, was die Tiefkühltruhe hergab, Maibock, Wildenten oder herbstlichen Hasenbraten.

An diesem Wochenende habe ich mich mit meinem Bruder zur Jagd verabredet. Er soll schießen, ich das Tier zu Fleisch verarbeiten. Trotz Ansitzsack und Taschenofen ist es bitterkalt auf dem Hochsitz. Wir warten in der Dämmerung an einer Lichtung im Wald, wo Wildschweine mit Mais angelockt werden. Als ich fröstelnd auf dem dünnen Holzbrett herumrutsche, faucht er mich an: „Du quatscht zu viel, kannst nicht still sitzen, das war früher schon so.“

Plötzlich raschelt es. Bevor ich etwas erkennen kann, schießt mein Bruder. „Ein Schwein“, raunt er. Wir warten eine Zigarettenlänge, um sicher zu sein, dass das Schwein tot ist, dann gehen wir zum Anschuss. Vor uns liegt ein struppiger Frischling. Seine Augen blitzen im Licht der Taschenlampe, er wiegt bestimmt 40 Kilo.

Das Aufbrechen dauert nur Minuten

Unser Autor hatte Schwein - eines wie dieses.
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Mein Bruder hat ihn glatt getroffen. Je weniger das Wild sich direkt nach und vor dem Schuss bewegt, desto besser. Erstens soll das Tier nicht leiden, zweitens verschlechtert sich die Fleischqualität von gestressten Tieren. Je höher der Milchsäuregehalt in den Muskeln, desto schlechter können sich Keime ausbreiten. Bei gehetztem Wild ist das Fleisch weniger sauer, dadurch verdirbt es schnell. Bei Treibjagden, wo die Tiere aufgescheucht werden, kommt es oft zu unsauberen Schüssen. Bei Treffern in die Magen-Darm-Gegend wird das Fleisch mit vielen Keimen kontaminiert.

Deshalb muss das Tier nach dem Schuss so schnell wie möglich ausgeweidet werden. „Das machst du“, sagt mein Bruder und reicht mir das Messer. Das Aufbrechen dauert nur ein paar Minuten und geschieht noch im Wald. Dabei werden Hals und Bauchdecke geöffnet, die inneren Organe sauber entfernt, dann die Bauchhöhle mit Trinkwasser aus einem kleinen Kanister gereinigt.

Oft werde ich gefragt, wie ich das viele Blut aushalte. Vielleicht bin ich als Kind eines Hautarztes ein bisschen abgestumpft: Mein Vater ließ früher immer seine Fachzeitschriften mit gruseligen Abbildungen von Ekzemen auf dem Gartentisch liegen. Die Schweineleber heben wir auf und wickeln sie in Pergamentpapier. Wir werden sie später in Scheiben schneiden und mit Zwiebeln und Äpfeln in der Pfanne braten. Mein Bruder bekommt leuchtende Augen: „Das ist das Beste.“ Ich nicke.

Bei der Verwandlung vom toten Tier zum Steak kann man viel falsch machen. Auch deshalb hat Wild, dem ein unangenehm strenger Geschmack nachgesagt wird, einen schlechten Ruf. Macht man das Zerwirken aber streng nach hygienischen Vorschriften, liefert Wild zartes Fleisch mit feinem Geschmack.

Wir legen das Schwein in eine Plastikwanne im Kofferraum und fahren los. Die Organe außer der Leber lassen wir im Wald, da freut sich der Fuchs. Wichtig ist, dass das Fleisch schnell in die Wildkammer kommt: ein großer Kühlschrank, in dem das Tier, an Metzgerhaken hängend, bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt reifen soll. In der Phase der Fleischreifung wurden früher die gruseligsten Fehler gemacht. Man hängte das Wild in den schlecht belüfteten Keller oder hinter die Scheune, wo es schutzlos der Witterung ausgesetzt und schnell verdorben war.

Auch konnte das Fleisch von Maden der Fleischfliege befallen sein. Die Förster ließen ihre Rehe oft bei hohen Temperaturen viel zu lange hängen. Ein Hase wurde, um den „Hautgout“, den typischen Wildgeschmack zu erreichen, mit allen Organen schon mal 15 Tage baumeln gelassen, beim Abziehen der Haut war die Bauchhöhle dann grün und gelb – ein eindeutiges Zeichen für Verwesung. Bis das Fleisch in der Küche ankam, war es schon angegammelt, hatte einen strengen Geruch. Um den Verwesungsgeschmack wegzubekommen, ließ man sich einiges einfallen, marinierte das Fleisch mit Essig oder Buttermilch und überwürzte mit Nelken, Wacholder, Piment und Zimt. Das Ergebnis hatte mit dem Geschmack des Wildfleisches nichts mehr zu tun.

Zwei, drei Tage muss das Schwein hängen

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Heute behandelt man Wild genauso wie Schlachtfleisch. Wir hängen das Schwein an einen Haken, untersuchen es nach älteren Verletzungen. Ich schneide einen Streifen aus dem Ansatz des Zwerchfells, fülle ihn in ein Plastiktütchen: für die gesetzliche Trichinenuntersuchung. Trichinen sind kleine Würmer, die sich in den Muskeln niederlassen und von Schweinen übertragen werden können. Trichinellose kann für den Menschen tödlich enden. Infizierte Tiere sind selten und müssen vernichtet werden.

Jetzt muss das Schwein erst mal zwei bis drei Tage hängen. In der Zwischenzeit muss ich noch ein junges Reh zerwirken, das vor zwei Tagen geschossen wurde. An der Innenseite der Keulen schneide ich das Fell vorsichtig ein und beginne die Haut abzuziehen. Wichtig ist, dass das Muskelfleisch nicht verletzt wird. Hat man das Reh „aus der Decke geschlagen“ und den Kopf entfernt, löst man die verletzten Körperteile aus und schmeißt sie weg. Durch Ein- und Ausschuss haben sich bei einem der Vorderschlegel dunkle Hämatome gebildet, die ungenießbar sind. Anschließend teilt man das Fleisch in Keulen, Schlegel und Rücken auf. Den kann man ganz lassen oder Filets auslösen. Mit einer sauberen Gartenschere trenne ich die Flanken mit Rippen und Bauchlappen vom Rücken ab, schneide mit einem Fleischerbeil den Hals vom Rücken. Anschließend werden die einzelnen Stücke vakuumiert, beschriftet und eingelagert.

Keulen und Rücken enden oft als Braten, aus dem Rest macht man Rippchen, Hackfleisch oder Gulasch. Wenn man sauber arbeitet, hat das Ergebnis nicht mehr viel mit dem strengen Wildgeschmack von vor 50 Jahren zu tun. Rehmedaillons oder Frischlingsrücken können wie Rindfleisch zubereitet werden – Salz und Pfeffer genügen als Gewürz. Da Wild wenig Fett hat, eignet es sich allerdings weder zum Grillen auf offenem Feuer noch zum Niedrigtemperatur-Garen. Wild soll scharf gebraten werden.

Zu unserer gebratenen Wildschweinleber trinken wir ein Glas Rotwein und dösen dann erschöpft in der Jagdhütte vor dem Feuer dahin. Der Tag an der frischen Luft macht glücklich. Das Wildschwein sieht das sicher anders.

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