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Holger Stromberg

© dpa

WM 2014: Koch der Nationalelf: Er weiß, was Jogis Jungs schmeckt

Holger Stromberg kocht für die deutschen Nationalspieler – sein Essen soll sie fit machen und schmecken. Warum er gleich nach dem Abpfiff in der Kabine Pasta serviert.

Diese beiden Hände sollen Deutschlands besten Kickern die Beine lockern, sie sollen ihnen den Geist erfrischen und Herz und Lunge stärken. Ja, wenn diese beiden Hände optimal arbeiten, dann könnten Joachim Löw und seine Spieler nach dem Finale in Rio de Janeiro den WM-Pokal gen Himmel recken.

Es sind Hummerhände, leicht rosig, die Finger seltsam krumm; sie können kräftig zupacken, man spürt das beim Begrüßen. Sie gehören keinem Orthopäden, keinem Masseur, keinem Trainer, sie gehören Holger Stromberg. Seit sieben Jahren kocht er für die deutsche Nationalmannschaft.

Stromberg weiß, dass er Peer Mertesacker mit seiner „Tomatensuppe spezial“ gute Laune macht. Er kennt Lukas Podolskis Vorliebe für „Blumenkohl polnisch“ und Pute. Manuel Neuer? Den fängt er mit Salat vom Oktopus. Auch Mesut Özils nie versiegende Lust auf Griespudding will regelmäßig gestillt werden.

Als Holger Stromberg das alles erzählt, sitzt er in seinem Lokal „Kutchiin“ in München, bubenhaftes Gesicht, weiße Kochjacke, blaue Hose, graue Wildlederschuhe, die kurzen Haare nach oben gegelt. Bis zur WM sind es noch ein paar Tage. Das loftartige Restaurant mit dunklem Betonboden und viel hellem Holz liegt in einem revitalisierten Industriegelände, einem Campus für Kreative inklusive Montessorischule. Der 42-Jährige nimmt einen Schluck vom Ingwertee mit Limettenscheiben.

Doch geschmacklich exzellentes Essen ist nur der einfache Teil seines Jobs, den erledigt der Koch mit links. Schon als junger Kerl wurde er mit einem Michelin-Stern geadelt. Er hatte sich, genetisch vom Gasthof der Eltern im Münsterland geprägt, durch feine Restaurants gearbeitet und schließlich in München einen eigenen Laden aufgemacht. Dort entdeckte ihn vor sieben Jahren zufällig Oliver Bierhoff, der Manager des deutschen Nationalteams.

Willst du?

Ja, ich will, sprach Stromberg.

Seitdem gibt es kein Länderspiel, bei dem er nicht schnippelt und backt, tranchiert und brät, Saucen ansetzt und Dressings mixt. 80 bis 100 Tage im Jahr, schätzt der Koch, sei er für die Nationalmannschaft aktiv, bei großen Turnieren können es auch 150 werden, falls das Finale erreicht wird. Jedes Spiel findet an einem anderen Ort statt, jedes Mal muss er lange vorab die Logistik klären, Lieferanten checken, die ihm pünktlich und qualitativ hochwertig seine Ware für den 60-köpfigen DFB-Tross liefern. Für die WM in Brasilien, sagt er, habe er ein halbes Jahr vor dem Anpfiff mit der Recherche begonnen.

Der andere, geschmacksferne Teil des Kochens ist der eventuell wichtigere: Da geht es um Fitness, Gesundheit. Körper von Fußballern sind hochgezüchtete Motoren, angetrieben von Muskeln, Gelenken, Sehnen, Bändern ..., ein filigran abgestimmter Organismus, in dem winzige Störungen zu gravierenden Schäden führen. So haben die Mediziner des SC Freiburg per Statistik ermittelt: Wer sich gesund ernährt, ist weniger Tage krank und hat seltener muskuläre Probleme.

Leistung geht durch den Magen.

Podolski fragt morgens nach türkischer Rindssalami

Lehrling und Chef: Lukas Podolski und Holger Stromberg tricksen mit Messer und Pfanne.
Lehrling und Chef: Lukas Podolski und Holger Stromberg tricksen mit Messer und Pfanne.

©  Michael Agel/Edel Books

Vorbei die Zeiten, als ein dickleibiger Spielmacher den Spitznamen „Buffy“ trug. Vorbei die Zeiten, als das deutsche Trainingslager am Schluchsee humorig in „Schlucksee“ umgetauft wurde, weil der WM-Kader munter pichelte.

Damals kamen Spitzenspieler auf höchstens sechs Kilometer Laufstrecke in 90 Minuten; inzwischen rennen die Schweinsteigers und Schürles zwölf Kilometer und mehr – und diese in sehr viel höherem Tempo. Wenn Kicker heute das Trikot über den Kopf ziehen, entblößen sie klar definierte Muskelpartien wie Unterwäschemodels.

Längst redet der Koch von Mineralien und vom idealen Energiemix des Essens für Sportler (Kohlehydrate ca. 50 Prozent, Fette 30, Eiweiß 20), von gesättigten Fettsäuren und dem glykämischen Index von Nahrungsmitteln (je höher, desto schneller gelangt ihr Zucker ins Blut).

Dieses Wissen muss er in den Alltag übertragen. Das erste Spiel der Deutschen bei der WM findet am Montag statt, 16. Juni in Salvador, Anpfiff ist Ortszeit 13 Uhr. Die Mannschaft wird wie stets zwei Tage vorher anreisen. Für den Koch gilt die Regel „Spieltag minus drei“, er gehört zum „Vorkommando“ (DFB-Jargon). Die letzte Mahlzeit gibt es dreieinhalb Stunden vorm Spiel. Da wird nichts serviert mit „langer Magenverweildauer“ (Pilze z. B.), wie Experten sagen. Stromberg wird gegen 9 Uhr 30 Frühstück und Mittagessen zusammenlegen.

Wann und ob das übliche „Anschwitzen“ der Spieler, also leichtes Bewegen am Spieltag, stattfindet? Genaues wird er erst am Abend vorher vom Trainerstab erfahren. Die Fußballer bekommen am Buffet Müsli, Vollkornbrot, Obst, Aufschnitt, Spiegeleier, Smoothies. Podolski und Özil fragen am Morgen gerne mal nach gebratener Sucuk, türkischer Rindssalami. „Strombo“, rufen sie dann, bitte mit Rührei. Als speziellen Gag bringt der Koch allen noch einen Ginkgo-Eistee mit Limetten und Zitronengras (s. u.); er schwört drauf, der mache wach und rege die Lebensgeister an.

Dann fährt das Team mit dem Bus los. Stromberg hat darin Bananen und reichlich Wasser (Kohlensäure ist tabu) bereitgestellt, fünf Liter täglich solle jeder in einem warmen Land wie Brasilien trinken, an Spieltagen mehr. Der Koch wird im Pkw ins Stadion gebracht, dort eilt er in die Umkleidekabine und baut auf: Trockenfrüchte, Äpfel, Aprikosen, Cookies, einen Drink, den der Internist mischt.

Nun kann Stromberg auf die Tribüne und das Spiel anschauen. Pech für ihn, wenn es in Minute 70 noch richtig spannend ist. Denn jetzt muss er wieder in die Kabine, seinen Mini-Kocher anwerfen. Er füllt in der Dusche Wasser in Töpfe und kocht Penne und Gnocchi mit Tomatensoße. Spaghetti machen eine große Sauerei. Der Koch zieht das Jacket der DFB-Delegation aus und hängt es über einen Haken, seine Krawatte stopft er ins Hemd. Er muss rasch die Pasta im Waschraum abgießen, ehe die Spieler kommen. Kein Mensch hat Hunger, wenn er nach 90 Minuten ackern und schwitzen erschöpft aus den Klamotten schlüpft. Egal. Es geht um den Open-Window-Effekt. In diesem Zustand sind Spieler nicht nur empfänglich für Infektionen, auch die Glykogenspeicher sind weit offen und sollen schnell gefüllt werden, bis 20 Minuten nach dem Spiel; es geht da um Energie, um Kohlehydrate, es geht nicht um Genuss. Drückt wenigstens zwei, drei Löffel davon rein, Jungs! Özil isst nicht gern, er könnte einen Bananenshake mit Haferflocken trinken. „Strombo“ hat auch Stullen dabei, Sauerteigbrot mit Butter kommt gut an, hat der Koch herausgefunden.

Er verkauft Lizenzen für Currywurstbuden

Lehrling und Chef: Lukas Podolski und Holger Stromberg tricksen mit Messer und Pfanne.
Lehrling und Chef: Lukas Podolski und Holger Stromberg tricksen mit Messer und Pfanne.

©  Michael Agel/Edel Books

Koch? Stromberg ist ein Hansdampf. Seine Webseite beschreibt seine vielfältigen Aktivitäten. Ernährungsberatung. Kochkurse. Catering im großen Stil. Er führt nebenbei das Restaurant der Eltern im Münsterland. Es gibt Geschirr und Gewürze mit seinem Namen in großen Kaufhäusern. Gerade hat er das „Kochbuch der Nationalmannschaft“ herausgebracht, Gesundheitstipps plus jede Menge jener Rezepte, die er den Kickern gerne vorsetzt (siehe unten). Er verkauft sogar Lizenzen für Currywurstbuden.

Kocht der Mann überhaupt noch? Er bemerkt den Blick auf seine Hände und Unterarme, wo die Arbeit in der Küche grobe Spuren hinterlassen müsste, Risse, Blasen, Kratzer. Er dreht die Handflächen nach oben und sagt, er stehe noch zu 20 Prozent seiner Zeit am Herd, die Hornhaut am rechten Zeigefinger, verursacht vom Schneiden mit Messern, wäre sonst knubbeldick. Immerhin, sagt Stromberg, Sterneköche gebe es viele, aber „nur einen Koch der Nationalmannschaft – mein USP“. Sein Unique Selling Point. So darf er sich vermarkten, wenn auch nicht mit dem Logo des DFB.

Sieben Jahre ist er nun kulinarischer Erzieher von jungen Burschen, die in der Regel mit Junk Food und einem Lieblingsitaliener aufwachsen. Immer mal wieder muss Stromberg lachen, wenn er von den Anfängen und Wandlungen berichtet. Von fünf auf 90 Prozent Vollkornprodukte habe er seine Einkäufe geschraubt. Heute stünden die Nationalspieler Schlange, wenn er ein Dry Aged Beef mit Fettmaserung aus dem Ofen holt, früher schrien sie „Igitt“. Kannten nur Mageres. Früher kratzen sie ihm die Marinade vom Braten, ein Gemisch aus Kakao, Koriander, Zimtblüten, Piment. Kannten nur Fades. Die Spieler seien, er spricht begeistert, inzwischen „ein Traumpublikum“.

In diesen Tagen steht Stromberg höchstpersönlich am Herd von „Campo Bahia“, dem brasilianischen Quartier der Deutschen. Er setzt dort mehr kühlende Gewürze ein, Pfefferminze, Melisse, Zitronengras. Er rührt literweise Vanillesauce an, da stehen sie drauf, dazu Obstcrumble und Milchreis. Sportliche Aktivitäten wird es für den Koch keine geben.

Anfangs hat er ein paar Mal mit den Profis gegen den Ball getreten, da durfte er sich anhören: Strombo, keiner von uns kocht so schlecht, wie du Fußball spielst. Und Fußballer können überhaupt nicht kochen. Seitdem hat er es gelassen.

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