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Gesellschaft: Zuchthaus Garnelen aus dem

Frische Shrimps suchten Köche in Deutschland lange vergeblich – bis ein niedersächsischer Landwirt seine Traktorenhalle flutete.

Was zeichnet eine gute Garnele aus? „Man muss das Meer schmecken“, sagt Heinrich Schäfer, ohne zu lachen.

Die Trecker kleben in der Landschaft. In großen Krumen liegt das Feld. Die „gute Landluft“ riecht scharf nach Tier. Der Backsteinhof der Familie Schäfer in Affinghausen, Kreis Diepholz, Niedersachsen, hat um die Ecke bloß das Steinhuder Meer.

Dann öffnet Schäfer das Tor zu den Tropen: 31 Grad. Extrem hohe Luftfeuchtigkeit. Die Kamera beschlägt sofort. Mit tropfender Stirn zeigt der Landwirt auf das wellenlose Meerwasser in den Becken. Er hat es selbst angerührt: eine zweiprozentige Salzlösung, in denen tausende Garnelen leben. In allen Reifestadien. Sie bewohnen ein Holzgerüst, das wie ein monströses Etagenbett auf drei Ebenen übereinander diverse Bassins hat. Von oben nach unten gelangen die wachsenden Tiere über Rohre je nach Alter bis hinunter ins „Erntebecken“. Es ist schwül und riecht nach gar nichts in Schäfers ehemaliger Traktorenhalle.

Seitdem er vor zwei Jahren Deutschlands erste Garnelenfarm eröffnete, rennen sie ihm die Bude ein: Köche wollten probieren. Greenpeace schickte eine Probandin, die sich von den Bedingungen der Haltung überzeugen wollte und die Aufzucht ohne Antibiotika lobte. Der Koch Tim Raue sagte: „In Europa habe ich so etwas in dieser Qualität noch nicht gegessen.“ Redakteure vom japanischen Fernsehen rissen die Krusten ab und probierten die Garnelen roh. Es begann eine wilde, immer noch andauernde Mundpropaganda. Immer mal wieder sind Schäfers Becken einfach leergefischt.

Aus dem Belächelten in Affinghausen, der nach einer Kochsendung beschloss, dass er fortan mit Deutschlands erster Garnelenfarm sein Geld verdienen wolle, der eine dreiviertel Million in diese Idee investiert hat, ist ein Erfolgreicher geworden. Und aus dem Spott der Nachbarn wurde Neid. Denn Schäfer, 62 Jahre alt, hat ein ideales Produkt gefunden: Garnelen sind die einzigen Tiere, die man vor dem Versand nicht weiterverarbeiten muss. „Bei allen Fischen ist das anders.“ Ein „weiterverarbeitender Betrieb“ hätte eine Vielzahl weiterer behördlicher Auflagen mit sich gebracht. Es wäre ungleich komplizierter geworden. Aber so muss er nur keschen, kühlen und kassieren.

„Wollen Sie mal sehen?“, fragt Schäfer. Ein einziger Strahl der Taschenlampe versetzt die Tiere so in Aufregung, dass sie zucken und an die hölzernen Becken schlagen, was sich in dieser Menge anhört, als stampfe ein begeistertes Theaterpublikum in hölzernen Rängen mit den Füßen. Es klingt wie rauschender Applaus. Er gilt dem Mann mit der Taschenlampe.

Schäfer knipst die Lampe schnell wieder aus.

Garnelen sind extrem lichtempfindlich, weshalb Schäfer morgens nicht einfach das Licht einschalten kann in der fensterlosen Halle. Stufenweise simuliert er in der Frühe einen Sonnenaufgang – und abends einen Sonnenuntergang.

Man könnte jetzt die Tonnen CO2 ausrechnen, die Schäfer dadurch spart, dass eine vergleichbare Tonne Garnelen nicht gefroren um die halbe Welt geflogen wird. Es ist auch kein Mangrovenwald gerodet worden für seine Farm. Und Schäfer benutzt auch keine Antibiotika, denn dann würde das komplizierte biologische Klima in seinen Becken umkippen.

Man dürfe um Himmels willen nicht das Wasser austauschen, sondern nur das eine Prozent, das täglich verdunstet, nachfüllen, sagt Schäfer. „Es dauert drei Jahre, bis sich die Biologie im Wasser komplett herausgebildet hat.“ Jetzt sind erst zwei Jahre um. Zwei Jahre, in denen noch keine Krankheiten bei den Garnelen aufgetaucht sind, dafür Sterneköche in seinem Kundenbuch.

Bei frischen Krustentieren, sagt zum Beispiel der Berliner Sternekoch Tim Raue, sei die Beschaffung das größte Problem. Seine chinesischen „Drunken Prawns“, einen Klassiker aus China, kann man nur mit lebenden Garnelen machen: Man gibt sie in den Wok, „da fangen sie an zu japsen“. Man gießt den Cognac dazu, „den saufen sie im Sterben“. Die Garnelen isst man dann mit Darm. Schäfer war der einzige, der lebend liefern konnte. „Der hatte dann eher ein moralisches Problem damit“, sagt Raue.

Schäfer, der in der Regel nicht lebend, sondern „fangfrisch“ liefert, lässt alle sieben Wochen 160 000 sogenannte Postlarven, drei Tage alte Larven, aus Miami einfliegen. Sie passieren den Zoll für lebende Tiere in Frankfurt. Dann gehen sie noch einmal in die Luft, und Schäfer holt sie von Bremen per Auto ab.

Auf 18 Grad, sagt er, wurden die Larven zum Transport langsam heruntergekühlt. Sie befinden sich dann in einer Art Schlaf, bei dem die Körperfunktionen so heruntergefahren werden, dass wenig Sauerstoff benötigt wird. „Ähnlich einem Igel im Winterschlaf.“ Einige Stunden überleben die Larven so, wenn man sie danach vorsichtig wieder an Wärme gewöhnt. Schäfer lässt in Affinghausen zweimal 80 000 in je ein Becken. Dann gewöhnt er sie an Sojaschrot, Erbsen, Getreide und etwas Fischmehl.

Es ist vorbei, dass die Nachbarn sich nachts halfen, wenn ein Kalb geboren wurde, sagt Schäfer. Dass sie sich im Winter von einem eingeschneiten Hof zum anderen durchbuddelten. Über die Veränderungen in der EU sind die Bauern zu Konkurrenten geworden. Sie trugen alle Risiken, aber der sichere Gewinn ging an die Händler. Was war eigentlich noch frei am „freien Unternehmer“?

Um Planbarkeit zu erreichen, baute Schäfer eine Biogasanlage. Aber was sollte er mit der Wärme machen? Ein Schwimmbad hatte er schon. Nach einer Kochsendung kam er darauf, dass Garnelen diese Wärme brauchen konnten.

Seinen Erfolg führt er auf die Akribie zurück, mit der er diesen Plan verfolgte. Und dass er sich für kein Detail zu schade war. Er schickte seinen Sohn Marco für ein halbes Jahr nach Texas. Der lernte dort beim Garnelenforscher Addison Lawrence, dass die Qualität des Fleischs, wie bei anderen Tieren auch, von der Lebensdauer des Tiers abhängt. In Asiens Farmen geben sie Garnelen bloß drei Monate, weshalb dem Fleisch der Biss fehlt. In Schäfers ehemaliger Traktorenhalle dürfen sie gut sechs Monate wachsen. Er lernte, dass Garnelen zum Kannibalismus neigen, wenn sie nicht genug Futter bekommen. Worte wie „Postlarven“ und „Besatzdichte“ zogen in sein Leben ein.

Heinrich Schäfer kombinierte die Namen seiner Enkelinnen Maren, Mara und Nele zum leicht eingängigen Begriff der „Marella“-Garnele. Er tötet letztere folgendermaßen: Bei -2,9 Grad friert Salzwasser. Im Eiswasser sterben sie sofort und kühlen zugleich. Da das Tierschutzgesetz für Krustentiere das Töten in kochendem Wasser vorschreibt, bewarb er sich bei der Behörde für eine Sondergenehmigung, die er jährlich erneuern muss.

Er testete diverse Verpackungen. Er bestand auf einem Kurier, der erst um 19 Uhr abends abholt, in den kühlen Nachtstunden transportiert und vertraglich garantiert, dass die Ware am nächsten Vormittag ankommt. So wickelt er auch im Sommer nur ein bisschen Zeitungspapier um die Garnelen auf Eis, und die sind beim Empfänger noch frisch.

Schäfer wusste, dass die Deutschen jährlich 7000 Tonnen Garnelen verzehren, die über Bremerhaven und den Flughafen Frankfurt das Festland erreichen. Er wusste, dass er der Masse nur Qualität entgegensetzen kann. Zur Zeit justiert er Feinheiten: Er hat das Meersalz aus Spanien – „zu stark mit Sand verunreinigt“ – durch schwedisches ersetzt. Er testet Futter. Wenn im kommenden Jahr die Biologie des Wassers vervollkommnet ist, erwartet er noch höhere Erträge.

Schäfer ist noch immer der einzige Garnelenwirt Deutschlands. Kein Nachahmer hat sich getraut. Schäfer sähe es auch ungern, wenn zu viele Details seiner Arbeit nach außen drängen. Er will gar nicht expandieren, sondern die Sache lieber so klein halten, dass er das Geschäft noch als Familienbetrieb bewältigen kann. Eine gewisse Verknappung treibt den Preis, so viel hat er gelernt.

Er produziert keine Überschüsse, den Kescher hält er erst ins Becken, wenn die Bestellung eingegangen ist. Für Schäfer gelten keine Bauernregeln mehr. Ob der Hahn kräht auf dem Mist, ob sich das Wetter ändert oder bleibt, wie es ist. In seinen Becken herrschen immer 31 Grad. Seine Garnelen kosten immer 39 Euro im Kilo. Schäfer ist endlich unabhängig vom Schweinezyklus.

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