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Ex-Gangster Nealon Petersen in seinem Büro vor einer Wand voller Schlagzeilen, die von der gewalttätigen Realität in den armen Vororten Kapstadts erzählen.

© Sophie Smith

Ex-Gangster vermitteln in Bandenkrieg: "Wenn wir auftauchen, hören sie auf zu schießen"

Früher wüteten sie selbst am schlimmsten. Nun kehren Ex-Gang-Mitglieder zurück in Kapstadts Brennpunkte – sie vermitteln, wo die Polizei machtlos ist.

Kapstadts Wind häuft Plastikmüll entlang endloser Zäune und Mauern. Der Bezirk Hanover Park liegt wie ausgestorben. Fast übersieht man die schlichte gelbliche Backsteinkirche, doch durch ihre weit geöffneten Türen dringen leidenschaftliche Lobgesänge. Einer der Sänger ist ein Mörder.

Nealon Petersen steht inmitten einer Gruppe von im Gebet wiegenden Gläubigen, still wie ein Fels. Er war nicht immer ein Kirchengänger. Mit 61 Jahren ist Petersen das letzte lebende Gründungsmitglied der Mongrels-Gang, eine der meist gefürchteten Banden in den Cape Flats.

Eingreifen der Armee gefordert - vergeblich

Die armen Vorstädte der Cape Flats, südöstlich der Innenstadt, sind seit Jahrzehnten Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Banden. Es war eine der negativen Folgen des Endes der Apartheid. Als Südafrika sich 1994 der Welt öffnete, nahm auch der Drogenhandel zu. In den Bezirken der Cape Flats fand die Gangkultur einen fruchtbaren Boden. Das rassistische Regime hatte die farbigen und schwarzen Gemeinden hierhin vertrieben. Entwurzelte Menschen, hohe Arbeitslosigkeit, Armut, all das begünstigte den Aufstieg der Banden.

Noch heute stirbt durchschnittlich alle fünf Tage ein Mensch in den Bandenkriegen. Kapstadts Behörden hatten einst sogar das Eingreifen der Armee gefordert, um die Ordnung wiederherzustellen. Die Regierung ließ sich nicht darauf ein.

Nun soll Nealon Petersen Frieden zwischen den Gangs stiften. In der Welt der Banden braucht es den König der Gangster, um für Ruhe zu sorgen. So jedenfalls sieht das JP Smith aus dem Bürgermeisterbüro von Kapstadt. Bis jemand mit einer besseren Idee um die Ecke komme, unterstütze er das sogenannte Cease- Fire-Projekt. Waffenstillstand bedeutet das. In der Praxis schickt die Gemeinde ehemalige Kriminelle, Gangaussteiger zurück in die Brennpunkte. Sie sollen dort zwischen den Banden vermitteln, wo die Polizei längst keinen Zugang mehr hat. Dort zählt nur der Respekt der Straße.

Immer wieder werden Kinder von Querschlägern getroffen

Vier Millionen Menschen leben in den armen Vorstädten Kaptstadts, den sogenannten Cape Flats. Hier laufen zwei Schulmädchen im Bezirk Hanover Park an den heruntergekommenen Wohnsiedlungen vorbei.
Vier Millionen Menschen leben in den armen Vorstädten Kaptstadts, den sogenannten Cape Flats. Hier laufen zwei Schulmädchen im Bezirk Hanover Park an den heruntergekommenen Wohnsiedlungen vorbei.

© dpa

Nealon Petersen hat sich diesen Respekt verdient. Er arbeitet jetzt als sogenannter Gewaltunterbrecher für das Cease-Fire-Projekt. In seinem Büro ist eine Wand voll schreiender Schlagzeilen, die von der gewalttätigen Realität dieser Gegend erzählen. Drogen, Schießereien. Immer wieder werden auch Kinder von Querschlägern getroffen. Die Mitgliedschaft in einer Bande ist für viele Jugendliche hier eine Überlebensstrategie, eine Lebensversicherung. Auch Petersen hatte einst diesen Weg eingeschlagen. Wenn er heute auf seiner Route durch die Nachbarschaft läuft, geben auf den ersten Blick nur noch seine Tattoos diese Vergangenheit preis. Sie wurden grob und uneben im Gefängnis mit Hilfe von Nadeln und Tinte von anderen Insassen gestochen.

Auf der Straße erkennt ihn jeder. „Cease-Fire, Cease-Fire!“, rufen die Kinder. Die Mitarbeiter des Projekts sind zu so etwas wie Vorbildern geworden; viele Jungen wollen, wenn sie groß sind, auch Cease-Fire-Arbeiter werden. Nealon bewegt sich durch die unterschiedlichen Ganggebiete ohne Furcht. Er kennt die Gegend, kennt die Banden und ihre Anführer. Sie begrüßen ihn mit dem afrikanischen Handschlag und sprechen in Afrikaans oder Sabela, dem Gangsterslang miteinander. Nealon unterhält sich mit ihnen, fragt nach ihren Familien, besucht sie nach einer Schießerei im Krankenhaus. Er ist auch einer der ersten, die zur Stelle sind, wenn gerade eine Schießerei im Gange ist. „Sobald wir auf der Bildfläche auftauchen, hören die Jungs auf zu schießen“, sagt Nealon. Besonders die Gangbosse wissen vermiedene Tode in ihren Rängen zu schätzen – es hält Polizeiinvestigationen von ihren Geschäften fern.

Polizei misstraut dem Projekt

Auch daher gibt es Kritik. Denn obwohl das Projekt zusammen mit der nationalen Polizeibehörde SAPS implementiert wurde, haben viele Polizisten vor Ort kein Vertrauen zu den Ex-Gangstern. Ein Vertreter stellt gar die Integrität der Cease- Fire-Arbeiter infrage. „26 wird immer 26, 28 immer 28 sein“, sagt er. Die Nummern stehen für die Gangs in den Gefängnissen, denen auch Petersen beigetreten war. Der Polizist glaubt, dass es im Interesse der Ex-Gangster sein könnte, Bandenkriege aufrechtzuerhalten, um an deren Schlichtung zu verdienen.

Tatsächlich setzt sich Cease-Fire vornehmlich dafür ein, dass es weniger Gewalt gibt. Es gehe vor allem darum, jungen Menschen andere Wege aufzuzeigen und ihnen Möglichkeiten wie Ausbildungen und Rehabilitationszentren zu bieten, sagt Petersen.

Er selbst, der heute eher wie ein besonnener Großvater wirkt, hat den Absprung nur mit Mühe geschafft. Mit 14 begann der damals relativ schmal geratene Petersen eine Karriere als Taschendieb und Einbrecher in Autos und Wohnwagen. Er wurde erwischt und kam so das erste Mal in die Erziehungsanstalt. Als er davon erzählt, blitzen Goldsterne auf seinen Schneidezähnen hervor – das Gangsterimage ist doch nicht ganz abgelegt.

Gang ist einziges soziales Netz für Kriminelle

Gewaltbereitschaft bei Einbrüchen und Bandenkriegen und sein Einfluss im Drogenhandel verschaffte ihm den Respekt, der nur den ruchlosesten Gangmitgliedern zuteil wird. Einmal half er, den Anführer einer konkurrierenden Bande zu enthaupten. Belangt wurde er dafür nie. Erst eine drohende Haftstrafe für neun versuchte Morde sowie Waffenbesitz lässt ihn 1991 mit 38 umdenken – und aussteigen. Aus Angst, seine Kinder nicht aufwachsen sehen zu können. Keine leichte Entscheidung, denn ein soziales Netz für Kriminelle gibt es in Südafrika nicht.

JP Smith von Kapstadts Bürgermeisteramt sieht darin ein großes Problem: „Das einzige, was es im Sinne von sozialem Zusammenhalt gibt, ist die Gang, nichts anderes.“ Das Cease-Fire-Projekt, so sieht es Hanover Parks Bezirksaufseher Antonio von der Rheede, könnte eine Alternative sein, zumal die Gangkriminalität in Hanover Park drastisch abgenommen habe.

Für Kapstadt könnte das Projekt die Wende bringen. Auch weil viele Menschen das Vertrauen darin verloren haben, dass die Polizei sie vor den Gangs schützen kann. So setzen viele ihre Hoffnung in jene, die früher selbst am schlimmsten wüteten.

Anne Gonschorek

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