zum Hauptinhalt
Noten sind in der juristischen Profession alles.

© dpa

Examen gegen Geld: Unmoralische Angebote eines Richters

Im Prozess gegen einen korrupten Richter schildern angehende Juristen, wie dieser ihnen Prüfungsklausuren verkaufen wollte. Der Angeklagte war auf der Flucht mit Bargeld, einer Pistole und einer Prostituierten in Italien geschnappt worden.

Der Zeuge hat es geschafft, er arbeitet heute als Rechtsanwalt. Aber damals, als der Angeklagte in seine Wohnung in Hannover kam, war das noch ungewiss. Serkan A. war beim ersten Anlauf im zweiten juristischen Staatsexamen durchgefallen. Nun stand Jörg L., ein Richter und leitender Mitarbeiter im niedersächsischen Justizprüfungsamt in Celle mit ihm auf dem Balkon. Sie rauchten, und der Richter stellte eine Frage, die dem angehenden Juristen den Boden unter den Füßen wegziehen sollte: "Sie wollten doch das Examen kaufen?"

Seit Dezember verhandelt das Lüneburger Landgericht einen in der Korruptionsgeschichte der Bundesrepublik einmaligen Fall. Angeklagt ist der 48-Jährige Jörg L. wegen Bestechlichkeit, Nötigung und Geheimnisverrat in einem Dutzend Fällen, weil er gescheiterten Prüfungskandidaten für ihren zweiten und letzten Versuch Lösungsskizzen für die amtlichen Klausuren verkauft oder dies zumindest angeboten hat.

Der Kriminalfall ist eine Behördenaffäre. 2000 Absolventen wurden nachträglich auf einen möglichen Betrug hin überprüft, gegen mindestens 15 laufen Aberkennungsverfahren. Der von Studenten und Referendaren als Vorbild und glänzender Didakt Gelobte war nach Italien entschwunden, als die Vorwürfe ruchbar wurden, im Gepäck einen Batzen Bargeld und eine Pistole mit genug Munition für ein Massaker. Derart ausgestattet wurde er in einem Mailänder Luxushotel aufgegriffen, eine Prostituierte im Bett. Ein ungewöhnlicher Weg für einen deutschen Richter.

Anfang Januar hat der Angeklagte gestanden, wohl in der Hoffnung, seinen früheren Prüflingen den peinigenden Auftritt vor Gericht zu ersparen und damit die drohende Gefängnisstrafe zu mildern. Doch der Strafkammer reicht das nicht, sie will die Betroffenen hören; zuerst die, die das unmoralische Angebot ablehnten. Dann die, die sich den Zugang ins Richteramt oder eine Karriere als Staatsanwalt erkaufen wollten.

Serkan A. saß in einer Lerngruppe für Durchfaller, geleitet von Jörg L. "Geben Sie mal einen Tipp", hatten die Wiederholer ihren Lehrer gefragt, im Scherz natürlich. Im Scherz, dachten sie, kam auch die Antwort: "Legen Sie mal was in den Pott, dann geht's vielleicht."

2000 Euro - pro Klausur

Doch plötzlich war es ernst, jetzt auf dem Balkon, nach der Zigarette. Es muss eine Art Überfall gewesen sein. Der Referendar büffelte am Schreibtisch. L. meldete sich per Telefon. "Haben Sie einen Kaffee?" Suspekt sei ihm das vorgekommen, sagt der Zeuge, aber er habe ja "ein gutes Verhältnis" zu dem Amtsleiter gehabt, der ihm, kaum hatte er die Einzimmerwohnung betreten, das Herz ausschüttet: Er habe genug vom Job im Prüfungsamt, wolle wieder als Richter und Repetitor arbeiten, als privater Nachhilfelehrer für angehende Juristen.

Serkan A. sagt: "Ich war baff". "Sie müssen nicht alle Klausuren nehmen", eröffnet ihm der scheinbar Wohlmeinende. "Aber wenn sie mehr nehmen, haben Sie bessere Aussichten." 2000 Euro pro Klausur. Drei von acht muss man bestehen, dann ist die wichtigste Hürde genommen. Dennoch scheitert ein Drittel der Aspiranten im ersten Examen und noch einmal rund zehn Prozent im zweiten.

Der Preis sei nicht verhandelbar, nuschelt der Richter, fischt einen Umschlag aus der Jackentasche, blättert durch Papier, offenbar eine der sonst im Amt gehüteten Prüfungsklausuren. Zwangsvollstreckungsrecht. "Die ist schwer", sagt er. Aber es wäre eine "einmalige Chance". Und das Gewissen?, fragt Serkan A. "Gewissen hat keine Bedeutung", belehrt der Richter. "Man tut niemandem weh."

"Sonderpreis für Freunde und Geliebte"

Der vermeintlich netten Geste folgt eine handfeste Drohung. Sollte der Kandidat ihn verraten, gäbe es eine Strafanzeige. Serkan A. verriet nichts, litt jedoch darunter, schildert er dem Gericht. "Wem würde man glauben - einem Referendar oder einem Richter?" Der Zeuge erzählt, wie ihn das alles aus der Bahn warf, wie er depressiv wurde, wie er es sich selbst als Makel vorwerfe, den Besucher nicht sogleich aus der Wohnung geworfen zu haben.

Eine andere Zeugin fand danach nicht mehr in die Laufbahn zurück, ist heute krankgeschrieben. L. hatte sie in ein Hotel nach Hamburg bestellt, angeblich, um ihre berufliche Perspektive zu besprechen. Wieder kam es unvermittelt: "Warum kaufst Du die Klausuren nicht?"

L., berichtet die Zeugin, habe dies als ganz normal dargestellt, deshalb hätten "die Bonzenkinder später so gute Posten". Ihr Vater sei doch Türke, der kenne das bestimmt. Kein Geld da, sagt die Frau. Zum Schein, um den Mann nicht zu verärgern, um dessen Bedeutung für ihren Berufsweg alle Prüflinge wussten. Später kommen SMS, darin ist die Rede vom "Sonderpreis für Freunde und Geliebte", garniert mit einem Smiley. "Ich habe mich beschmutzt gefühlt", sagt sie.

Wusste der Angeklagte, was er da tat? Er entschuldigt sich bei jedem Zeugen, er habe niemandem Schaden wollen. Doch die Vernehmungen machen klar, dass er den Druck, unter dem die vorerst gescheiterten Kandidaten ohnehin schon standen, vielfach verstärkt haben muss.

"Was ist das für ein System", hat sich eine weitere Zeugin nach dem verhängnisvollen Angebot gefragt. Ob sie später als Juristin arbeiten will?, fragt die Richterin. "Nein, niemals."

Zur Startseite