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Ein Löschboot bekämpft im Hafen den Brand auf der „Scandinavian Star“.

© AFP

Fährunglück der Scandinavian Star: Versicherungsbetrug könnte 159 Menschen das Leben gekostet haben

Eine Expertengruppe hat den Brand auf der Scandinavian Star am 7. April 1990 neu untersucht. Besatzungsmitglieder sollen den Brand verursacht und angefacht haben. Die Fähre war kurz zuvor neu und auffallend hoch versichert worden.

Der Vorwurf ist ungeheuerlich und kaum zu glauben. Es wird sich zeigen müssen, was an diesen Darstellungen dran ist. Eine Expertengruppe, die den verheerenden Brand auf der Fähre „Scandinavian Star“ im Jahr 1990 untersucht hat, ist jetzt zu dem Ergebnis gekommen, dass Besatzungsmitglieder auf der Nordseefähre mit 500 Reisenden damals auf offener See mehrere Brände gelegt haben. Ziel war demnach ein Versicherungsbetrug ihrer Arbeitgeber, glaubt das Gremium aus zwölf Experten 23 Jahre nach der Katastrophe.

159 Reisende starben in der Nacht zum 7. April 1990 bei der Unglücksfahrt auf dem Skagerrak. Fast alle wurden im Schlaf vom Feuer überrascht und erstickten in ihren Kabinen. Bis zum Untergang der „Estonia“ viereinhalb Jahre später mit 857 Toten hat kein Schiffsunglück die Nordeuropäer seit 1945 so geschockt.

Die Expertengruppe begründete ihre abweichende Meinung mit zahlreichen „mysteriösen und unbeachtet gebliebenen Vorgängen“ vor und während des Unglücks sowie auch danach.

Was die Expertengruppe am Wochenende im norwegischen Bergen an neuen Untersuchungsergebnissen vorlegte, hat sofort neue Schockwellen in Skandinavien ausgelöst, weil es so unglaublich klang: Mitglieder der gemischt skandinavischen, philippinischen und portugiesischen Besatzung sollen angeblich die Brände im Auftrag ihrer Chefs gelegt haben, damit fernab in Miami residierende US-Eigner eine Versicherungsprämie für ihr schlecht ausgerüstetes und überversichertes Schiff einstreichen konnten.

So habe der Eigner die „Scandinavian Star“ kurz vor dem Unglück neu und auffällig hoch versichert. „Man zündet ein Schiff nicht ohne Grund an“, sagte der norwegische Schiffsinspektor Gisle Weddegjerde bei der Vorstellung des neuen Berichts. Er verwies auf die Auszahlung von 24 Millionen Dollar an die undurchsichtig organisierte Eignergruppe SeaEscape. Und er nennt Zeugenaussagen, wonach der Maschinenmeister der „Scandinavian Star“ nach dem Brand einen „Umschlag mit 800 000 Kronen“ in die Hand bekam.

Ein Löschboot bekämpft den Brand.
Ein Löschboot bekämpft den Brand.

© dpa

Wofür? Besatzungsmitglieder hätten, so sagen die Experten, nach zahlreichen Aussagen Überlebender kräftig Hand angelegt, damit das Feuer sich auf dem Schiff ausbreiten konnte – statt es einzudämmen. So seien große Fenster mit Stühlen und Stühlen eingeschlagen worden, berichtete der norwegische Überlebende Martin Grande in der Zeitung „Politiken“. „Jeder weiß doch, dass man so praktisch Benzin ins Feuer gießt.“ Andere hatten bezeugt, dass Besatzungsmitglieder Matratzen und anderes leicht brennbare Material auf die Gänge gezerrt hätten, wodurch das Feuer zusätzlich Nahrung bekam. Völlig schiefgegangen sei dabei, so die Experten, die Planung der Brandstifter. Sie hätten erst mit einem kleinen Brand die Evakuierung aller Passagiere und dann mit weiteren, größeren Feuern die Fälligkeit der Versicherungsprämie erzwingen sollen. Doch das erste Feuer sei zu mickrig geblieben, während das zweite schnell außer Kontrolle geraten sei. Als Chef der Gruppe sagt der schwedische Brandexperte Håkon Winterseth: „Dies war der größte Massenmord in Nordeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg.“

Bisher war für die Behörden ein selbst in seiner Kabine ums Leben gekommener Lkw-Fahrer aus Dänemark, der als Pyromane vorbestraft war, der alleinige Brandstifter. Unmöglich, meinen die Experten, weil er längst tot war, als das letzte der mindestens vier Feuer ausbrach.

Unstrittig bleibt, dass die hohe Zahl der Toten ihre Ursache auch in Sicherheitsmängeln, totaler Sprachverwirrung sowie fehlender Schulung der Besatzung hatte. Ein dänischer Reeder, dessen Geschäftsführer und der Kapitän wurden dafür mit je sechs Monaten Haft bestraft.

Der Forderung der Expertengruppe nach einer neuen amtlichen Untersuchung schlossen sich postwendend Verantwortliche der bisherigen offiziellen Ermittlungen an. In der Zeitung „Aftenposten“ stellte sich auch der für die letzte offizielle Untersuchung verantwortliche Norweger Øystein Meland hinter die Forderung nach einem Aufrollen des Falls: „Es gibt Elemente, die unklar sind.“

Aber es wurden auch skeptische Stimmen laut. Der dänische Sender DR berichtete, dass der beim Unglück als Feuerwehrchef auf die „Scandinavian Star“ gerufene und jetzt an der Expertengruppe beteiligte Ingvar Brynfors in Bergen verkündete: „Ich bin von der Polizei nie verhört worden, obwohl ich als erster Feuerwehrmann auf das Schiff kam.“ Als ihm ein Reporter vorhielt, dass die Polizeiprotokolle vier Begegnungen mit ihm samt schriftlicher Korrespondenz enthielten, meinte Brynfors: „Vielleicht war das so, aber ich kann mich nicht erinnern.“ Nicht nur geübte Krimileser dürften bei der Erklärung von Weddegjerde aus der Expertengruppe Brandstiftung auf der „Scandinavian Star“ ins Grübeln kommen: „Das wurde von einer Menge Leute durchgeführt.“ Und alle haben 23 Jahre dicht gehalten? (dpa)

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