zum Hauptinhalt

Fall Fluterschen: Stiefsöhne berichten von Gewaltsystem

Es war ein abgeschottetes Familiensystem, vom despotischen Vater mit Prügel, sexueller Gewalt und Psychoterror kontrolliert. So beschreiben zwei 29 und 32 Jahre alte Stiefsöhne im Koblenzer Prozess um hundertfachen Kindesmissbrauch ihr ehemaliges Zuhause.

Der 29-Jährige berichtet am Donnerstag vor dem Landgericht, etwa im Alter von elf Jahren ebenfalls vom Angeklagten missbraucht worden zu sein. „Er hat mich zwischen den Beinen gestreichelt.“ Nach Gerichtsangaben sind diese Vorwürfe verjährt.

Der 48 Jahre alte Angeklagte aus Fluterschen im Westerwald soll seine leibliche Tochter, einen 27-jährigen Stiefsohn und dessen Zwillingsschwester über Jahre hinweg missbraucht haben. Es geht um 350 Taten zwischen 1987 und 2010. Die Mädchen soll er für Sex an fremde Männer verkauft haben. Den Missbrauch der leiblichen Tochter hat der Mann inzwischen zugegeben, ebenso die Vaterschaft für sieben Kinder seiner Stieftochter.

Im Gerichtssaal wirkt der kleine, grauhaarige Mann im weinroten Sakko und mit knallbunter Krawatte eher schmächtig. Immer wieder schnieft er in ein Taschentuch. Die Zeugenaussage seiner leiblichen Tochter habe ihn sehr berührt, sagt sein Verteidiger. Anschließend habe er sich zum ersten Mal geöffnet und wolle nun doch mit dem Gutachter sprechen. Die 18-jährige Tochter hatte am Mittwoch unter Tränen von dem Missbrauch berichtet.

„Es haben sich im Laufe des Verfahrens Punkte ergeben, dass eine psychische Krankheit vorliegen könnte“, sagt der Verteidiger. Es gehe nicht um die Schuldfähigkeit seines Mandanten - sondern um eine mögliche Unterbringung in der Psychiatrie. Für die Anwältinnen der Töchter, die die Nebenklage vertreten, ist die Begutachtung dagegen „eine weitere Strategie des Verfahrens“.

Beide Stiefsöhne berichten von Gewaltausbrüchen des Vaters, denen die Stiefkinder anders als die leiblichen Kinder ausgesetzt gewesen seien. „Meine Mutter wurde verprügelt. Ich wurde so verprügelt, dass mein ganzes Gesicht angeschwollen ist“, erzählt der 32-Jährige. Die Stiefkinder hätten sich splitterfasernackt vor dem Vater aufstellen müssen und seien verdroschen worden.

Warum sich die Familie nicht gegen den Vater verbündet habe, wird der Stiefsohn gefragt. Vor allem die Söhne seien dem Angeklagten doch körperlich deutlich überlegen. Keine Antwort. Ob es innere Zwänge gegeben habe? „Ja“, sagt der 32-Jährige leise. Selbst ungestörte Unterhaltungen mit der Mutter seien vom Vater unterbunden worden. „Der war immer da.“

Familiäre Gewalttäter haben nach Ansicht von Experten häufig narzisstische und psychopathische Persönlichkeitsstörungen. „Die Familie ist im Grunde genommen das ideale Opfer für diese Menschen“, erklärt der Psychologe Andreas Böhmelt aus Münster. Die Täter benutzten ihre Familien, „um Bedürfnisse von Kontrolle, von Macht, auch sexuelle Bedürfnisse auszuleben“. Besonders Kinder seien auf ihre Eltern angewiesen. „Da kann man natürlich viel mehr diese totale Kontrolle und Gewalt ausüben als mit fremden Personen.“

Im Koblenzer Landgericht verliest der Richter das Protokoll einer Hausdurchsuchung in Fluterschen. Zahlreiche Schränke, Kisten und selbst das Tiefkühlfach seien mit Vorhängeschlössern gesichert, schreiben die Polizisten. Die Ermittler finden neben Sexfotos der Stieftochter und der Ehefrau massenhaft Briefe. Es sehe so aus, als habe der Angeklagte jede Menge Post an seine Kinder einfach weggeschlossen, vermerkt ein Beamter.

Das Verfahren soll am kommenden Mittwoch fortgesetzt werden. Bislang sind drei weitere Verhandlungstage terminiert. (dpa)

Zur Startseite