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Fall Kevin: "Ich mache mir die schwersten Vorwürfe"

Eine Sozialarbeiterin hat im Ausschuss zum Fall Kevin unter Tränen eigene Fehler eingestanden. Sie habe die Akten nicht selbst eingesehen und stattdessen ihren Mitarbeitern "blind vertraut".

Bremen - "Wenn dieses grauenvolle Ereignis einen Sinn haben soll, dann doch nur, um Kinder wieder in den Mittelpunkt zu rücken", sagte die Vorgesetzte des für Kevin damals zuständigen Mitarbeiters beim Amt für soziale Dienste in der Hansestadt. "Ich mache mir die schwersten Vorwürfe, dass ich mir die Akten nicht angesehen habe und meinen Mitarbeitern blind vertraut habe."

Das Schicksal des kleinen Kevin hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. Der Junge war am 10. Oktober 2006 tot im Kühlschrank seines Ziehvaters entdeckt worden. Mit dem Fall wurde ein massives Versagen der Bremer Sozialbehörde bekannt. Vor dem Untersuchungsausschuss berichteten immer wieder Zeugen über Misshandlungen, das Verhalten der drogensüchtigen Eltern und den Gesundheitszustand des Jungen. Von Zeuge zu Zeuge setzte sich in dem Gremium die Gewissheit durch, dass die Sozialbehörde völlig überlastet war, viele Stellen über das Schicksal des Jungen informiert waren, jedoch nichts zur Rettung des Kindes geschah.

"Im Amt herrscht schlicht Chaos"

"Es ist nicht nachvollziehbar, dass viele Leute etwas gewusst haben und nichts passierte. In dem Amt herrscht schlicht Chaos", sagte der Vorsitzende des Ausschusses, der CDU-Abgeordnete Helmut Pflugradt am Donnerstag. Wie viele andere Zeugen berichtete auch die zuständige Stadtteilleiterin der Sozialbehörde über die immense Arbeitsüberlastung im Amt. "Die Überlastung hat massiv zugenommen. Wir haben im Jahr 900 Fälle, die kann ich nicht alle kennen", sagte sie zu ihrer eigenen Verantwortlichkeit in dem Fall. "Soll ich die Arbeit von dem Amtsvormund auch noch übernehmen?" Kevin stand unter Amtsvormundschaft. Diese hatte entschieden, dass der Junge zunächst bei seinem abhängigen Ziehvater bleiben kann.

Gegen den Amtsvormund wird ebenso wie gegen den so genannten Fall- Manager, einem Mitarbeiter der Stadtteilleiterin, wegen des Verdachts der Vernachlässigung der Fürsorgepflicht ermittelt. Während sich der Vormund vor dem Gremium zu allgemeinen Fragen äußerte, hatte sich der Fall-Manager krank gemeldet. Nach ersten Meldungen über Probleme mit dem Sozialarbeiter habe es später keine Hinweise mehr auf ein Fehlverhalten gegeben, sagte die Zeugin. "Es gab für mich keinerlei Veranlassung mehr, dass er seine Arbeit nicht im Griff hat."

Emotionale Sitzung

Anfangs noch gefasst und mit ihrem Rechtsanwalt Bernhard Docke - derzeit eher wegen seines Mandanten und Ex-Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz bekannt - an ihrer Seite, wurde die 51-Jährige Sozialarbeiterin zunehmend emotionaler. "Ich habe mich von einem Junkie aufs Kreuz legen lassen", sagte sie über Kevins Ziehvater. "Er hat uns alle beschäftigt." Schlimm sei, dass er die Profis ausgetrickst habe.

"Ich bin als Person im Vorfeld zerrissen worden", sagte die 51- Jährige über Medienberichte ihrer mit Spannung erwarteten Zeugenaussage. "Wer ist eigentlich die Person, die ihre Mitarbeiter nicht Griff hat, so schreit es mir entgegen." Zeitungen hatten über einen internen Bericht der Innenrevision der Behörde berichtet, der auch der Sozialarbeiterin Fehler attestiert. So heißt es in dem Bericht, der der dpa vorliegt: "Es fällt auf, dass die von ihr verfassten Berichte nicht immer vollständig den tatsächlichen Sachverhalt widerspiegeln." (tso/dpa)

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