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McCann

© dpa

Fall Madeleine: Eine Frau wird verfolgt

Maddies Mutter – die Polizei hat sie stundenlang verhört. Jetzt soll sie als Verdächtige gelten. Die Polizei will wissen, was in jenen drei Stunden geschah, als die McCanns mit Freunden beim Essen waren.

Schmährufe tönen Kate McCann entgegen, als sie am Freitagvormittag vor der Kripowache in der südportugiesischen Kreisstadt Portimao aus dem Auto steigt. Stumm, die blonden Haare hochgesteckt, die Augen zum Boden gerichtet, umklammert sie ihre Handtasche. Geht mit müden Schritten durch das Spalier der Schaulustigen, die vernehmbar nicht mehr an die Unschuld von Madeleines Mutter glauben. Es ist ein Spießrutenlaufen, das viel über den Stimmungsumschwung in der Öffentlichkeit aussagt. Kate und Gerry McCann, die Eltern der wie vom Erdboden verschluckten Madeleine, werden immer mehr von Opfern zu Gejagten und sogar zu Verdächtigen. Auch wenn die beiden, die eine weltweite und spektakuläre Suchkampagne in Gang setzten, bis heute von einer „Entführung“ sprechen.

Und stets schworen, nichts mit dem Verschwinden ihrer kleinen Tochter zu tun zu haben. „Alle Verdächtigungen sind völlig absurd“, bekräftigte eine Sprecherin der Familie. Doch am Freitag nahm Portugals Polizei Maddies Mutter bereits zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden in die Mangel. Auch am Donnerstag war Kate schon vernommen worden. Elf Stunden lang, bis ein Uhr nachts. Zunächst als Zeugin, wie ihr Anwalt versicherte.

Und erstmals ohne ihren Ehemann, Gerry McCann. Das britische Ärzteehepaar harrt seit vier Monaten, seit die vierjährige Madeleine am 3. Mai auf rätselhafte Weise verschwand, an der portugiesischen Algarve aus.

Kate McCann soll jetzt offiziell als Verdächtige gelten. Sie sei darüber kurz nach dem Beginn neuer Vernehmungen am Freitag von der Polizei informiert worden, berichtete die britische Agentur PA unter Berufung auf Freunde, die mit dem Ablauf der Befragungen vertraut seien. „Kate weiß, dass es nun sogar möglich ist, dass sie festgenommen wird“, sagte Justine McGuinness, Sprecherin von Madeleines Eltern, am Freitag Reportern in der portugiesischen Stadt Portimao. Das gleiche Schicksal soll in Kürze auch den Vater Gerry, der ebenfalls 39 Jahre alt ist, treffen, der im Anschluss an seine Frau vernommen werden sollte. Dies deutet möglicherweise auf eine gewisse Wende bei den Ermittlungen im Fall Madeleine hin. Die Befragung wird offenbar immer mehr zu einem Verhör, in dem die Polizei Ungereimtheiten und Widersprüche in den Aussagen der McCanns klären will. Auch wenn der Status des „Verdächtigen“ in diesem Falle, wie zu erfahren war, vom Anwalt der McCanns beantragt wurde. Als „Verdächtige“ können die McCanns die Aussage verweigern – als Zeugen nicht.

Drei unklare Stunden

Den Ermittlern geht es nun offensichtlich um die Aufklärung jenes Zeitloches von fast drei Stunden, in denen Madeleine spurlos aus dem Ferienapartment der britischen Familie in dem Algarvedorf Praia da Luz verschwand. Kate und Gerry waren an jenem Abend mit Freunden in einem nahen Restaurant essen gegangen. Sie hatten ihre drei kleinen Kinder, die damals dreijährige Madeleine und die zweijährigen Zwillinge Sean und Amelie, nach eigener Aussage schlafend in den Betten gelassen. Als die Eltern nach dem Dinner wieder zurückkamen, sei Maddie nicht mehr da gewesen. „Wir haben regelmäßig nach den Kindern geguckt“, hatten die beiden stets versichert. Eine Erklärung, an der es nun Zweifel zu geben scheint. So sollen nach Angaben des portugiesischen Fernsehens Zeugenaussagen existieren, wonach sich die McCanns beim fraglichen Abendessen nicht wie angegeben von den Restaurantstühlen erhoben. Auch sei die Polizei erst mit Verspätung alarmiert worden. Dazu fügen sich Berichte portugiesischer wie britischer Medien, dass die Polizei ebenfalls der Hypothese nachgeht, Madeleine könne durch einen „Unfall“ umgekommen und dann von ihren Eltern aus Angst vor den Folgen beseitigt worden sein. Demzufolge wollen die Ermittler von Kate und Gerry wissen, ob sie Maddie vielleicht ein Beruhigungsmittel verabreicht haben, damit sie schlafe. Möglicherweise sei die Kleine an einer „versehentlichen Überdosis“ gestorben. Portugals Kripo schweigt wie gewohnt: auch zu wieder aufgetauchten Spekulationen, dass nicht nur Blutspuren im Ferienapartment, sondern auch im Mietauto der McCanns gefunden worden sein sollen.

Genauso wie Berichte über angeblichen „Leichengeruch“, den Spürhunde in der Ferienwohnung der McCanns und an Kleidungstücken von Kate gewittert haben sollen, von den Ermittlern nicht kommentiert werden. Nur so viel tat die Kripo, die seit vier Monaten weitgehend im Dunklen tappt, offiziell kund: Mit ersten Analyseergebnissen von Blutspuren, die ein britisches Polizeilabor nun nach Portugal übermittelt habe, sei man „sehr zufrieden“. Doch offenbar können die McCanns nicht belastet werden. Denn dann wären sie wohl nicht mehr in Freiheit. Wohl erklärte die Kripo Anfang August vage: „Es gibt Anhaltspunkte, die darauf hinweisen, dass die Kleine tot sein könnte.“

Die McCanns zeigen sich derweil enttäuscht über den Wandel der Ermittlungen, die sich nicht mehr wie anfangs auf eine Entführung, sondern auf die Familie und ihre Umgebung konzentrieren. John Corner, Patenonkel der kleinen Zwillinge der McCanns, berichtete dem britischen Sender BBC von einem Telefonat mit Kate McCann: „Sie glaubt, dass die Polizei sie für die Mörderin ihrer Tochter hält. Sie ist außer sich – aber auch furchtbar enttäuscht.“

Ralph Schulze

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