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Panorama: Fast 13 Meter lang und über vier Meter breit: Die "Royal Classique" ist ein Mega-Hausboot

Adrenalinstoß. Herzklopfen.

Adrenalinstoß. Herzklopfen. Es gibt kein Zurück. Die eine Hand ans Steuerrad, die andere an den Schalthebel. Ganz schön schmal, so eine Brücke. Wie war das gleich? Geradewegs drauf zu, und genau darunter keine heftigen Steuerbewegungen vollführen. Langsam gleiten wir hindurch. Links und rechts vom Schiff bleiben nur wenige Zentimeter Platz. Geschafft. Im wahrsten Sinne des Wortes - nach den ersten Metern als Kapitänin des 12,80 Meter langen und 4,10 Meter breiten Hausbootes "Royal Classique" auf den Seen und Kanälen nahe Rheinsberg. Und das so ganz ohne Führerschein.

Seit Mitte April kann man Motorboote auf ausgesuchten Gewässern in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, wie berichtet, auch ohne Schein chartern. Wie kommt man ohne die sonst übliche Führerscheinausbildung am Steuer zurecht? Wir machten die Probe aufs Exempel.

Die vor allem für Gruppenfahrten ausgelegte "Royal Classique 4" ist in der Steigenberger Marina Wolfsbruch in Kleinzerlang am Steg fest gemacht. Der Kahn würde auch in mediterranem Ambiente eine gute Figur abgeben: 2,80 Meter Höhe, 8,5 Tonnen Verdrängung. Und nur 80 Zentimeter Tiefgang. Reicht locker für die hiesigen Seen und Kanäle in Mecklenburg-Vorpommern, beruhigt uns Hafenmeister Michael Eichler. Wer an einer Brücke Vorfahrt hat, wenn zwei sich begegnen? Dick darf zuerst, meint Eichler, aber besser sei es, sich vorher zu verständigen. Wenn man an einer Tonne mal nicht gleich weiß, an welcher Seite man passieren soll, dann einfach so dicht vorbei tuckern wie möglich, so ein anderer Ratschlag.

Üblicherweise bedarf es der neuen Regelung des Bundesverkehrsministeriums zufolge einer bis zu dreistündigen Einweisung in Schiffstechnik, Fahrregeln, Beschilderung. Unsereins nimmt eine Frau mit Binnenschein mit an Bord - so kommen wir schneller aus dem Hafen. Die erste Hürde: Brücke und scharfe Linkskurve - dank der Crewmitglieder zum Maßnehmen an der Reling gemeistert. Es geht vorbei an Dörfern, Wäldern, Anhöhen. Wenn wir durchs Wasser pflügen, machen Haubentaucher vorm Bug ihrem Namen alle Ehre. Eine Jugendgruppe verbringt die Ferien im Tipi-Zeltlager. Ins Schilf schmiegen sich Finnhütten mit eigenem Bootssteg. Kraniche kreisen. Wirklich romantisch hier. Nur: Wo, bitte, sind wir eigentlich gerade? Der Abzweig im Kleinen Pälitzsee haben wir verpasst. Vom Wasser sieht irgendwie alles anders aus. Haben wir jetzt die in der Karte verzeichneten "Stellnetze mit Pricken" schon passiert? Dort: Ein Schild am Ufer! "Frischer Räuscherfisch". Fehlanzeige. Doch zu Wasser sind alle gleich - ob schmucke Segelyacht, rustikales Faltkanu oder Mega-Hausboot. Wir hier oben winken denen da unten zu, und alle grüßen freundlich zurück. Ein Freizeitkapitän bringt uns wieder auf den richtigen Kurs. Okay: Fertig zum Wendemanöver. Langsam hat unsereins den Bogen raus. Steuerrad einschlagen. Vorwärtsgang, Rückwärtsgang. Aber nicht zu schnell hintereinander schalten, "sonst ist das Getriebe breit", hat uns der Hafenmeister gewarnt. Das Bugstrahlruder, mit dem man nur das Vorderteil unseres Schlachtschiffes seitlich bewegen kann, hilft bei Engpässen weiter. Wie in der Schleuse zum Beispiel.

Davor müssen wir allerdings noch eine Brücke mit 5,30-Meter-Standardmaß passieren. Die nehmen wir inzwischen mit links - Verzeihung, mit backbord. Der Skipper vor uns touchiert die Schleusenmauern hingegen und stoppt überdies plötzlich ab. Beruhigend, dass selbst altgedienten Seebären manchmal das Wasser bis zum Hals steht. Doch dann outen wir uns als Hausboot-Greenhorns. Die Co-Skipperin mit dem Bootsschein aus Wedding will vorne am linken Ufer festmachen, der Smutje mit Taxischein aus Kreuzberg dagegen hinten rechts. Während die Canower Schleusenwächterin nur mit dem Kopf schüttelt, freut sich ihre Kollegin Renate Weden an der Wolfsbruchschleuse über unser Dickschiff. Derzeit lassen sich rund 250 Boote täglich von morgens um sieben bis abends um 20.30 Uhr liften und absenken, in der Hauptsaison "kommen doppelt so viele vorbei". Dann bilden sich vor dem Signallicht Wartegemeinschaften - Mini-Motorboote mit Kind und Kegel, Kanuten mit Schäferhund auf dem Schoß. Und Gefährten wie dem "Amphicar". Diesmal kommt unsereins ins Staunen. Das Boot ist eigentlich ein Auto, und knallrot noch dazu. Der königlich-klassische Schiffsdiesel mit seinen 62 PS darf nicht schneller als 12 Kilometer pro Stunde bullern. Der Schub reicht gerade zum Einholen des exotischen Gefährts.

Zeit für eine Pause. Ankern. Wasser, Weite, Wehmut. Der Kahn ist so riesig, dass jeder ein lauschiges Plätzchen an Bord findet. Das Radio stellen wir aus, dann hört man Specht und Nachtigall besser. Schwäne schwingen sich in den Himmel, wir uns in die Fluten. Aber beim Losfahren die Leiter nicht vergessen! Handtücher, Herd, Grill, Klimaanlage, Achterkammer, Vorkammern, Duschen, Essecke - an Bord ist alles verhanden. Auch ein Abwassertank. Wenn man Wasser absaugt, brüllt die Anlage wie ein Bär. 800 Liter Trinkwasser haben wir getankt, mit den 400 Litern Treibstoff schafft man in 90 Stunden eine Menge Meilen. Das langt. Nur: Wohin soll man stinkendes Thunfischöl abgießen? Und wie um alles in der Welt öffnet man die Fenster, ohne dass es hineinregnet?

Nach dem Bilderbuchwetter hat sich eine Gewitterfront über unser Revier verirrt. Also besser in einer Bucht festmachen und unter Deck Nudeln kochen. Jetzt kommt selbst der stabile Cruiser ein wenig ins Schaukeln. Als wir gegen drei Uhr nachts in die Kojen wollen, ist das Ufer auf einmal viel näher gekommen. Anker hoch, Scheinwerfer an, Motor an, Anker runter.

Das Belegen einer Klampe mit der Ankerkette, das üben wir nochmal.

Annette Kögel

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