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Panorama: Feiere deinen Prozess

Die US-Medien reagieren mit Verwunderung und Häme auf den seltsamen Auftritt von Michael Jackson zu Beginn seines Verfahrens

Von Matthias B. Krause

New York

Da steht er nun auf dem Dach eines schwarzen Geländewagens, einen schwarzen Regenschirm in der rechten Hand, angezogen wie ein Internatsschüler mit zu viel Geld für schwere goldene Schmuckstücke – und tanzt seinen Tanz.

Dieses Bild von Michael Jackson, der nach dem Ende der knapp zweistündigen Anhörung vor einem Gericht in Santa Maria nördlich von Los Angeles seinen Fans eine Sondereinlage bietet, beherrscht am Tag nach dem denkwürdigen Auftritt die Blätter in den USA. Die konservative „New York Post" etwa titelt dazu: „Hofnarr – der tanzende Jacko verspottet das Gesetz." Nicht alle drücken sich so drastisch aus, aber der Tenor ist klar: In der ohnehin schon schillernden Geschichte der Prominenten-Gerichtsverfahren in Amerika hat der Pop-Exzentriker einen neuen Standard gesetzt. Dass ihm das am Ende hilft, wenn eine Jury darüber entscheiden muss, ob er einen 13 Jahre alten Jungen auf seiner Neverland Ranch sexuell missbrauchte, bezweifeln jedoch die meisten. Jacksons Anwalt Benjamin Brafman gab sich nach dem Gerichtsauftritt, bei dem Jackson auf unschuldig plädierte, ahnungslos: „Das war spontane Liebe der Fans. Das war nicht geplant, ich bin überrascht." Entweder weiß der Mann, der erst später zu Jacksons hochkarätigem Verteidiger-Team dazustieß, tatsächlich nichts, oder er tut naiv. Mehrere Medien hatten übereinstimmend berichtet, dass die Jackson-Familie bei der Finanzierung der Busse half, die die ungefähr 3000 Fans der „Karawane der Liebe" in das kleine Städtchen brachten. Und wenn es noch einen Zweifel gab, dass die große PR-Maschine hinter dem Popstar ihre Finger im Spiel hatte, dann waren sie spätestens mit dem Auftauchen einer schriftlichen Einladung auf die Neverland Ranch hinfällig.

Nach ihrem Auftritt vor dem Gerichtsgebäude durften die Besucher auf jenem Anwesen, das gleichzeitig auch der Tatort gewesen sein soll, Jacksons legendären Erlebnispark benutzen, Karussell fahren und mit der Miniatureisenbahn spielen. Drinnen traf sich der Jackson-Clan zu einem nachgerichtlichen Lunch. Weil die Sicherheitsvorkehrungen scharf waren und jeder Besucher einen Zettel unterschreiben musste, mit dem er zur Kenntnis nahm, dass er von einem Kamera-Team gefilmt wurde, bildeten sich vor den Toren der Ranch lange Auto-Schlangen. Sanfte Musik erklang aus Lautsprechern, die verdeckt in den Bäumen hingen. Ein Transparent am Eingang versprach: „Du bist nicht allein". Die „New York Times" zitierte Besucher Brandi Miller, 25, mit den Worten: „Es ist schon fröhlich hier, aber gleichzeitig überschattet von der Tatsache, dass er angeklagt ist." Schon vermuten die Ersten, das könnte der neue Weg sein, wie Show-Stars künftig auf Anklagen reagieren. Die Kommentatorin der „Los Angeles Times" etwa lästerte: „Du bist angeklagt? Vergiss die betagten Verhaltensregeln, die einen traurigen, schuldbewussten oder irgendwie bedrückten Blick erforderten. Feiere die Ermittlungen gegen dich. Umarme den Prozess!" Und die vielleicht wichtigste neue Regel sei: „Versuche, die Prozess-Auftritte in eine globale Marketing-Kampagne zu verwandeln." Andere finden noch drastischere Worte. Die kalifornische Boulevard-Zeitung „Daily News" fragt im Titel nur: „Verrückt?" Die „New York Post" titelte: „Der König der Verrückten spielt für die Lacher – Aber diesmal macht die Justiz Ernst."

Matthias B. KrauseNew York

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