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Der Popstar unter den Apokalyptikern. Die Bankenanalystin Meredith Whitney löste mit einer Studie im Oktober 2007 einen Börsencrash aus. Heute ist sie eine überall gefragte TV-Expertin, sie hat eine eigene Analystenfirma am Central Park und gehört zu den 50 einflussreichsten Frauen New Yorks.

© Reuters

Finanzanalysten: Vom Besserwisser zum Millionär

Sie sagten die Finanzkrise voraus und hatten Recht – damals hörte den Untergangspropheten niemand zu, heute sind sie Superstars.

Kassandra, der schönen Seherin aus der griechischen Sagenwelt, wurden ihre übersinnlichen Fähigkeiten zum Verhängnis. Zunächst schlugen ihre Landsleute in Troja Kassandras Warnungen vor der List der Griechen in den Wind. Das hölzerne Pferd, das die Griechen ihnen vor die Stadtmauern gestellt hatten, hielten sie für ein Geschenk und zogen es freudig in ihre Stadt. Als sie nachts schliefen, entstiegen dem Pferd griechische Soldaten, die ihren Kameraden das Stadttor öffneten und so den Untergang Trojas einleiteten. Nach ihrem Sieg haben die Griechen Kassandra geschändet.

New Yorks zeitgenössischer Kassandra Meredith Whitney ist ein solches Schicksal erspart geblieben. Sie hat an ihren düsteren Prophezeiungen vom Zusammenbruch der Finanzmärkte sogar prächtig verdient, nachdem sie erkannt hatte, dass in den Bilanzen einiger Bankengiganten große Risiken steckten, wie trojanische Pferde inmitten der Wallstreet-Hochhäuser. Bei der Vermarktung ihrer Erkenntnisse half der 40-Jährigen neben ihren intellektuellen Fähigkeiten auch ihre attraktive Erscheinung im fernsehverrückten Amerika. Womit sie offen kokettiert: „Ich bin kein alter weißer Dandy, also steche ich heraus“, sagt Whitney. Blonde lange Haare und ein gewinnendes Lächeln sind tatsächlich ein Alleinstellungsmerkmal auf dem Markt der düsteren Prognosen. Eine wie Whitney fällt selbst in der kleinen und illustren Schar mitteilungsfreudiger Apokalyptiker auf, die einmal Außenseiter in der Wissenschaft und an der Wall Street waren und im Zuge der Finanzkrise zu Superstars im Fernsehen und in den Medien aufgestiegen sind – obwohl sie tagein, tagaus schlechte Laune verbreiten. Die schwerste Schuldenkrise seit Jahrzehnten hat das Spiel mit der Angst zum ertragreichen Geschäftsmodell gemacht. Sie bevölkern Talkshows, Nachrichten- und Börsensendungen, ihre Bücher erreichen Millionenauflagen, sie kassieren Riesensummen für Vorträge, denen Minister und Fondsmanager zuhören.

Die Quotenkönigin

Meredith Whitney ist vom Scheitel bis zur Sohle eine fotogene Erscheinung, im Fernsehen ist sie der Star. Das war nicht immer so. Am Anfang ihrer Karriere als öffentliche Person sah sich die Bankenanalystin blankem Hass ausgesetzt, nachdem sie mit ihren Vorhersagen und Einschätzungen dazu beigetragen hatte, dass Konstrukte aus fragwürdigen Papieren, die Amerikas Banken aufgebaut hatten, wie Kartenhäuser einstürzten. Am 31. Oktober 2007 – an Halloween – veröffentlichte Whitney eine gruselige Studie über den Finanzgiganten Citigroup. Das Papier löste eine Verkaufswelle an der Wall Street aus. An der New Yorker Börse büßten die Aktien 360 Milliarden Dollar an Wert ein und Citigroup-Chef Chuck Prince musste den Hut nehmen. Einer der größten Finanzriesen der Welt stand vor dem Kollaps, der US-Finanzminister musste ihn mit einer dicken Kapitalspritze aufpäppeln und Garantien für fragwürdige Wertpapiere in dreistelliger Milliardenhöhe übernehmen. Whitney beteuerte, das Unternehmen nach bestem Wissen und Gewissen analysiert zu haben. Dennoch erhielt sie wütende Telefonanrufe und sogar eine Morddrohung. Doch dann nahm die Geschichte der Meredith Whitney eine schönere Wendung als jene der Sagengestalt Kassandra. Whitneys Rettung war das Fernsehen. Die Amerikaner sind ein Volk der Fernsehzuschauer. Wenn etwas in der Welt passiert, dann wollen sie Gesichter dazu sehen. Bei so einem abstrakten Thema wie einem kollabierenden Bankensystem ist es besonders schwierig, passende aufzutreiben, die dann auch noch zur Klärung beitragen. Auf der Suche nach diesem Gesicht fanden die Fernsehscouts Meredith Whitney und machten die vormals unbekannte kleine Bankanalystin des kanadischen Instituts CIBC binnen weniger Wochen zum Popstar der Finanzkrise.

Whitney erkannte ihre Chance, zur Marke zu werden, und plauderte auch aus ihrem Privatleben. Praktischerweise gibt es da einiges zu erzählen, beispielsweise aus ihrer Ehe mit dem früheren Wrestling-Champion John Layfield, der eine skurrile Karriere im Ring als Wiedergeburt des „Dallas“-Fieslings „J. R. Ewing“ hinter sich hat. Der Mann ist in Deutschland kein Unbekannter: 2004 sorgte Layfield bei einem Gastauftritt in München für einen Eklat, als er das deutsche Publikum mit Stechschritt und Hitlergruß empfing. Nicht nur der Boulevard interessierte sich nun für die schöne Bankenanalystin. Im August 2008 lächelte Meredith Whitney im schulterfreien weißen Top auf dem Cover des Wirtschaftsmagazins „Fortune“, dann folgte eine Geschichte im „New York Magazine“ mit dem Titel: „In Meredith Whitney we trust“. Die Analystin des Bankencrashs gilt im statistikverliebten New York nun als eine der 50 mächtigsten Frauen der Stadt. Kaum 18 Monate nach der wegweisenden Citigroup-Studie kündigte sie denn auch ihre Festanstellung und gründete unweit des feinen Central Parks die Firma Meredith Whitney Advisory Group. Sie tritt jetzt gegen Analystenhäuser, Beratungsfirmen und Investmentbanken an.

Dr. Untergang

Nouriel Roubini, Professor, Stern School of Business.
Nouriel Roubini, Professor, Stern School of Business.

© AFP

Nouriel Roubini ist mit seinem Unternehmen bereits dort angekommen, wo die Fernsehberühmtheit Whitney noch hin will. In seiner New Yorker Analysefirma Roubini Global Economics (RGE) arbeiten mehr als 100 Leute aus aller Herren Länder. Sie fühlen den Puls von Volkswirtschaften und erstellen für ihre 1100 Firmenkunden Konjunktur-, Branchen- und Finanzmarktprognosen. Ein Jahresabo aus Roubinis Studienschmiede kann mehrere zehntausend Dollar kosten. Kunden sind der RGE-Strategin Sandra Navidi zufolge Finanzinstitute, Fonds und mehr als 70 Zentralbanken. Roubini haftete lange Zeit das wenig schmeichelhafte Attribut des „Dr. Doom“ (Dr. Untergang) an. Keiner wollte dem Ökonomieprofessor an der Stern School of Business 2006 zuhören, als er nicht nur vor einem Kollaps des US-Immobilienmarktes warnte, sondern völlig richtig eine globale Finanzkrise und eine Rezession voraussagte. Als es wirklich so kam, wurde der bis dahin nur Experten bekannte Forscher mit dem widerspenstigen schwarzen Haar und den buschigen Augenbrauen zum Star. Regierungen und Investoren fragen nun nach seinem Rat, und Roubini jettet immer wilder um die Welt: Rom, Schanghai, Hongkong, New York, alles in einer Woche. Roubini, der in Istanbul geboren und in Italien aufgewachsen ist, nennt sich selbst einen „globalen Nomaden“. Selbst in der Glamour-Welt ist der Mann nun eine feste Größe. Hannibal Gaddafi, dem Sohn des libyschen Staatschefs, musste er für die Silvester-Party auf der karibischen Insel St. Bart eine Absage schicken. Er zog die Einladung des russischen Oligarchen Roman Abramowitsch vor und feierte in dessen Villa mit Popstar Gwen Stefani und 200 anderen Stars und Sternchen. Abgesehen von regelmäßigen Partys, die er in seinem eigenen Loft in New York ausrichtet und die er – eigenen Angaben zufolge – mit einer 10:1-Frauenquote besetzt, ist Roubini Vertrauten zufolge ein Professor fast ohne Privatleben. Kein Wunder, schließlich braucht er jede Minute, um in Wirtschaftsmedien und Fernsehauftritten seine Studien und Gastbeiträge unterzubringen und so eine Omnipräsenz herzustellen. Die inflationären Tendenzen seiner Auftritte scheinen indes keinen Wertverlust nach sich zu ziehen: Wer Roubini heute als Redner für eine Veranstaltung buchen will, muss Event-Managern zufolge mehr als 70 000 Dollar bieten.

Der Feinsinnige

Robert Shiller, Professor, Yale
Robert Shiller, Professor, Yale

© dpa

Ökonomen wie Robert Shiller geht es um Wissenschaft – und um politischen Einfluss. In den Jahren 2007 und 2008 konnten sie diesen Einfluss tatsächlich bekommen, weil Politiker auf der ganzen Welt ratlos waren angesichts der Probleme, die sie nicht verstanden, und einer dieser mächtigen Einflüsterer wurde Robert Shiller. Ihm glaubten viele, was er sagte, weil er zuvor als einer von wenigen Ökonomen vor Exzessen auf den Finanz- und Immobilienmärkten gewarnt hatte. Shillers im Jahr 2000 auf dem Höhepunkt der Aktienhysterie um Internetklitschen erschienenes Buch „Irrationaler Überschwang“ machte den heute 64-jährigen Verhaltensökonomen weltberühmt. Als die Amerikaner es wenige Jahre später ganz normal fanden, dass ihre Häuser von Jahr zu Jahr um 20 Prozent an Wert zulegen, hob der feinsinnige Shiller erneut den Zeigefinger. Heute trägt einer der bedeutendsten Gradmesser dieser Krise, der US-Hauspreis-Index Case/Shiller, seinen Namen. Den Yale-Professor in Verbindung mit positiven Nachrichten zu finden, ist nicht einfach. Wo Shiller ist, da ist die Angst nicht weit. Dass dem so ist, liegt nicht nur an Shillers analytischen Fähigkeiten. Es steht zu befürchten, dass der pessimistische Blick auf die große Welt, den er zur Perspektive vieler Politiker zu machen versucht, auch eine zutiefst persönliche und privat motivierte Angelegenheit ist. Shiller gibt an, unter Höhenangst zu leiden. Er sagt, in seinem ganzen Leben nicht einmal betrunken gewesen zu sein, weil er den Kontrollverlust nicht aushalten würde. Ja, selbst nüchtern überlasse er das Autofahren lieber anderen: „Eine falsche Bewegung reicht, und der Tod ist da. Einfach so“, sagt Shiller. Als geradezu „besessen, in allen Lebenslagen Risiken einzugrenzen“, beschrieb ihn auch das Magazin „Fortune“. Shiller nennt das sein „Gespür für die Realität“. Auf dieses Gespür hören die Mächtigen der Welt.

Der Rechthaber

Paul Krugman, Nobelpreisträger.
Paul Krugman, Nobelpreisträger.

© AFP

Paul Krugman brauchte die Krise nicht, um berühmt zu werden. Dem streitbaren Regierungskritiker, Extrem-Blogger und Kolumnisten der „New York Times“ reichte der Nobelpreis für Wirtschaft, den er 2008 erhielt. Doch der bärtige Choleriker hat die Krise genutzt, um seinen ohnehin großen Einfluss zu mehren. Derzeit fordert er in unzähligen Kolumnen und Interviews von der US-Regierung, den Milliardensummen für Bankenrettung und Konjunkturprogramme viele weitere Milliarden hinterherzuwerfen, um die Konjunktur in Gang zu halten. Für den 57-Jährigen zahlt sich der Pessimismus aus, zumal er auch seine Auftraggeber nicht zur Sparsamkeit anhält. Seit er sich in den 80er Jahren einen exzellenten wissenschaftlichen Ruf mit Grundlagen einer Handelstheorie erwarb, mischt er sich nicht nur in die politische Debatte ein, sondern stärkt mit populärwissenschaftlichen Büchern und Zeitungsbeiträgen auch seine Marke. Bereits Ende der 90er kassierte er als Redner 20 000 Dollar pro Stunde. Heute ist es ein Vielfaches.

Der Warner

Nassim Taleb, Ex-Börsenhändler, Gelehrter.
Nassim Taleb, Ex-Börsenhändler, Gelehrter.

© dpa

Der in New York lebende Ex-Börsenhändler und Gelehrte Nassim Taleb landete einen Volltreffer, als er vor der Finanzkrise ein Buch mit dem Titel „Der Schwarze Schwan“ herausbrachte. Unter „Schwarzen Schwänen“ versteht er unvorhergesehene schwere Krisen. Das Buch beschreibt wissenschaftlich die Mechanismen, wie Finanzmanager Krisen verursachen, weil sie glauben, die Risiken komplexer Konstruktionen beherrschen zu können. Inzwischen wurde das Werk in 31 Sprachen übersetzt und fast drei Millionen Mal verkauft. Taleb ist der Superstar unter den Wirtschaftsautoren. Nicht zuletzt, weil das Buch eine hervorragende Arbeit ist. Dabei ist dem Mann die Welt, die er da verteufelt, gar nicht so fremd. Schließlich muss Taleb nicht mehr sauer sein Geld verdienen, seit er als Optionshändler einer französischen Bank mit dem Aktiencrash von 1987 ein Vermögen gemacht hat. Damals verdiente er rund 35 bis 40 Millionen Dollar. Der Muße zum Bücherschreiben stand nun nichts mehr im Wege. Gerne inszeniert er sich im schwarzen Rollkragenpulli als Universalgelehrter und schimpft dabei auf Anzug- und Krawattenträger. Zum Philosophen qualifiziert ihn zumindest ein recht virtuoser Umgang in praktischer Dialektik. In der Finanzkrise, erzählt er heute, hat der von ihm beratene Black-Swan-Fonds mit komplizierten Derivategeschäften gegen Banken gewettet und zwischen 250 und 500 Millionen Gewinn gemacht. „Ich wollte es diesen Leuten zeigen, es ging mir nicht ums Geld“, sagte er dem Männermagazin „GQ“. Privat meidet Taleb das Risiko auf extreme Weise. Er hat so viel Angst, dass er nur solches Obst und Gemüse isst, das einen Namen lateinischer, griechischer oder hebräischer Herkunft hat. Neumodische Speisen beziehungsweise solche, die vor 20 Jahren neumodisch waren, wie Mango oder Sushi, meidet er wie die Pest.

Die Kassandra aus der griechischen Sage hatte die Gabe, auch ihr eigenes schauriges Schicksal vorherzusehen. Die Wall-Street-Kassandra Meredith Whitney kann das nicht. Was die eigene Zukunft angeht, ist sie Optimistin. Vielleicht ist das der Trick. Die Krise vorhersagen, recht behalten, damit Millionen verdienen und dabei für das eigene Leben nicht ganz den Mut verlieren. (HA)

Matthias Eberle, Dirk Heilmann

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