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Panorama: Flugs kommt der Schnee

Es war der erste richtige Wintertag. Mit Schneefall und Kälte. Wie angekündigt. Und schon bricht Chaos aus

Auf dem Rollfeld harren die Eisvögel aus. Zur Frühstückszeit sitzen am Mittwochmorgen noch immer Hunderte von Passagieren in den Cafés des Stuttgarter Flughafens und sehen müde auf die Start- und Landebahn hinaus, wo regungslos die Ferienflieger stehen, die sie eigentlich in die Sonne bringen sollten. Schnee hat sich auf den Tragflächen der Maschinen angesammelt, Schnee weht über das Rollfeld und lässt an diesem ersten Wintertag des Jahres die Stimmung bei vielen Passagieren, die nun festsitzen, auf den Nullpunkt sinken. Nichts geht mehr auf dem Flughafen, schon in der vorigen Nacht ist seit 22 Uhr keine Maschine mehr gestartet oder gelandet. Die Räumfahrzeuge und die Einsatzkräfte, die die Flugzeuge enteisen, hatten angesichts der Wucht des plötzlichen Wintereinbruchs keine Chance. Mehr als 1400 Passagiere verbringen deshalb die Nacht ungewollt auf dem Flughafen. Im Sicherheitsbereich der Terminals drei und vier bauen Hilfskräfte der Feuerwehr und des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) ein gewaltiges Feldbettenlager auf. Die meisten Passagiere fügen sich in ihr Schicksal, einige hadern mit dem Aufsichtspersonal, weil sie nicht mehr an ihr Gepäck gelangen, das sie bereits eingecheckt hatten.

Der erste richtige Wintertag mit Schnee und Glatteis hat vor allem in Süddeutschland sowie in Teilen Österreichs, Tschechiens und Frankreichs ein Chaos ausgelöst. Nach Polizeiangaben starben bei Verkehrsunfällen drei Menschen in Bayern und Baden-Württemberg. Im Süden Deutschlands gab es mehrere hundert Unfälle und bis zu 25 Kilometer lange Staus, Autobahnen wurden gesperrt und im Elsass wurde ein Fahrverbot für Lastwagen erlassen.

An den Flughäfen München und Stuttgart mussten am Mittwoch bis zum Nachmittag insgesamt rund 250 Flüge gestrichen werden. Der Wintereinbruch im Süden wirkte sich auch in Berlin aus. In Schönefeld und Tegel fielen insgesamt 15 Flugpaare von Air Berlin/dba, Germanwings, HLX und Lufthansa von und nach München und Stuttgart aus.

Am Stuttgarter Flughafen begann sich die Situation am Mittwoch erst langsam wieder zu normalisieren. Der Airport verfügt nur über eine Start – und Landebahn, die immer dann, wenn die Räumtrupps das Ende erreicht hatten, am Beginn bereits wieder zugeschneit war. „Wir hatten alles im Einsatz, was Rädle hat“, sagte Sprecherin Beate Schleicher. Deshalb musste der Flughafen am Dienstagabend gesperrt werden.

Besonders betroffen waren rund 1000 Passagiere der TUI-Ferienfluggesellschaft Hapagfly. Die Airline unterhält in Stuttgart ein sogenanntes Drehkreuz, an dem die Reisenden, von anderen deutschen Städten kommend, auf die Maschinen in die Zielorte umsteigen. Insgesamt 15 Maschinen konnten wegen der Sperrung des Flughafens nicht starten, sagte Onuora Ogbukago von Hapagfly. Die Fluggäste sollten im Verlauf des Tages zu ihren Ferienorten geflogen werden.

Da nur ein Teil der Betroffenen in umliegenden Hotels untergebracht werden konnte, musste die Mehrzahl der Reisenden im Flughafengebäude übernachten. Die Feuerwehr stellte in den Warteräumen Feldbetten auf, berichtete Beate Schleicher. Die Fluggäste wurden mit Essen versorgt und von Rot-Kreuz-Helfern sowie zwei Ärzten betreut.

Ein späterer Start sei auch deshalb nicht möglich gewesen, weil in Stuttgart der Flugbetrieb zwischen 23 und 6 Uhr untersagt ist. „Das Nachtflugverbot gilt, egal ob Schnee liegt oder nicht“, sagte die Sprecherin. Auch gestern früh ging zunächst nichts, weil die Bahn zu glatt war. Die Rutschfestigkeit wird regelmäßig mit Spezialfahrzeugen ermittelt. Sie darf bestimmte Werte nicht unterschreiten, um ein sicheres Abbremsen der Flugzeuge nach der Landung oder bei einem Startabbruch zu gewährleisten. Insgesamt mussten in Stuttgart rund 100 Flüge gestrichen werden. Erst ab neun Uhr wurden wieder Landungen zugelassen, ab 9 Uhr 30 waren dann auch Starts möglich. Dennoch setzten sich die Verspätungen über den gesamten Tag fort.

Auch in München schneite es ununterbrochen. Hier mussten bis zum frühen Nachmittag rund 150 Flüge gestrichen werden, andere Maschinen hatten zum Teil mehrstündige Verspätungen. „Unser Winterdienst ist seit drei Uhr früh mit 150 Mann im Einsatz“, sagte Flughafensprecher Ingo Anspach. Zwar verfügt der Münchner Airport über zwei Start- und Landebahnen, die abwechselnd geräumt wurden. Doch ist die Zahl der regulären Flugbewegungen auf die Nutzung beider Pisten ausgelegt. „Damit steht uns nur die Hälfte der üblichen Kapazität zur Verfügung“, erklärte Anspach.

Zusätzliche Verzögerungen ergaben sich durch die notwendige Enteisung der Maschinen. Sie müssen zur Gewährleistung des Auftriebs mit einer Spezialflüssigkeit behandelt werden, die auch Neuanhaftungen von Schnee und Eis für einige Minuten verhindert. Kann innerhalb dieser Zeitschiene nicht gestartet werden, ist eine Neubehandlung erforderlich. Insofern haben die Behinderungen am Mittwoch ganz normale Ursachen. Zunächst konnte der Eindruck entstehen, als ob der milde Winter dazu geführt hat, dass Behörden und Institutionen auf einen ganz normalen Wintereinbruch nicht eingestellt sind, auch wenn dieser mehrere Tage vorher angekündigt wird.

Diesen Eindruck hatten auch viele Autofahrer, die am Mittwochmorgen auf dem Weg nach Stuttgart waren, um zur Arbeit zu fahren. Wie ein Autofahrer dem Tagesspiegel erzählte, sei pausenlos im Radio die Rede davon gewesen, man solle den Räumfahrzeugen Platz machen. Weit und breit seien aber keine Räumfahrzeuge zu sehen gewesen. Der Mann erzählte weiter, er habe auf der A8 fast vier Stunden für eine Strecke gebraucht, die er sonst in einer halben Stunde schaffe.

Die Schneefälle führten zu zahlreichen Unfällen in ganz Süddeutschland. In Oberbayern raste ein 50-jähriger Lastwagenfahrer auf der Autobahn A 9 mit seinem Wagen in die Mittelleitplanke und starb am Unfallort. In Bayern und Baden-Württemberg kam es wegen Schneeverwehungen zu Verspätungen bei der Bahn. Diese Verspätungen machten sich auch in anderen Teilen Deutschlands bemerkbar. ICEs aus München kamen teilweise mit einer Verspätung von zwei Stunden in Berlin an. In Baden-Württemberg kam die Moutainbikerin Sandra Weber, Mitglied der Nationalmannschaft, am Mittwochmorgen bei einem Verkehrsunfall bei St. Märgen im Schwarzwald ums Leben. Die 19-Jährige geriet bei Schneeglätte mit ihrem Auto ins Schleudern, stürzte eine Böschung hinunter und landete in einem Bach. Am Dienstagabend starb bei Lorch ein 70 Jahre alter Busfahrer bei einem Glatteisunfall. In Baden-Württemberg zählte die Polizei mehr als 460 Unfälle. Auf den Bahnstrecken saßen tausende Pendler in Zügen fest, weil Weichen wegen starken Schneefalls nicht gestellt werden konnten.

Der Schneefall im Alpenraum hat auch Auswirkungen auf den Beginn des Weltwirtschaftsforums in Davos. Wegen des Wetters konnten dort am Mittwoch keine Hubschrauber landen.

In den Skiorten überwog hingegen die Freude: Viele der wegen Schneemangels geschlossenen Skipisten wurden für eine Öffnung vorbereitet. In einigen Gebieten Österreichs fiel innerhalb von 24 Stunden ein Meter Neuschnee.

In Berlin rechnen die Meteorologen erst am Freitagnachmittag mit stärkeren Schneefällen. Sie sollen aber bei weitem nicht das Ausmaß haben wie in Süddeutschland. Am Sonntag steigen die Temperaturen wieder. (mit dpa und ddp)

Erik Raidt[Stuttgart], Rainer W. During

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