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Panorama: Frankreich: Der Tanz um den Rave

Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac (68) hat die Sicherheit bei Rave-Partys zum Wahlkampfthema gemacht. Die Free-Partys der Raver, die sich heimlich in abgelegenen Landstrichen treffen, beeinträchtigten die Sicherheit und häufig auch die Umwelt, so kritisierte der konservative Politiker kürzlich im Fernsehen.

Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac (68) hat die Sicherheit bei Rave-Partys zum Wahlkampfthema gemacht. Die Free-Partys der Raver, die sich heimlich in abgelegenen Landstrichen treffen, beeinträchtigten die Sicherheit und häufig auch die Umwelt, so kritisierte der konservative Politiker kürzlich im Fernsehen. Behördlich angemeldete Rave-Partys verteidigte der offensichtlich gut informierte Staatschef dagegen als "elementaren Teil der Techno-Kultur".

Solche vorsichtigen Nuancierungen von höchster Stelle prägen die seit langem kontrovers geführte Debatte in Frankreich über ein Verbot der Rave-Partys. Kein Politiker will es sich mit den Jugendlichen verscherzen. Im Mai hatte sich der sozialistische Innenminister Daniel Vaillant im Parlament positiv zu dem Verbotsvorstoß eines konservativen Parlamentariers geäußert. Das brachte ihm sofort harsche Kritik von allen Seiten ein. Erziehungsminister Jack Lang warnte vor einer "jugendfeindlichen Politik".

Chiracs größter Konkurrent bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr, der Sozialist Lionel Jospin, pfiff deshalb seinen Innenminister in der Diskussion auch so schnell wie möglich zurück. Für beide Präsidentschaftsanwärter stellen die Jugendlichen eine unkalkulierbare Größe dar. Die jüngsten Neuwähler im kommenden Jahr waren bei den letzten Präsidentschaftswahlen 1995 gerade elf.

Bei den Festivals unter freiem Himmel, für die die unabhängigen Veranstalter kein Eintrittsgeld nehmen, und die Getränke billig sind, tanzen die Raver oft ohne Erlaubnis und ohne Anwesenheit von Sicherheitskräften mehrere Tage am Stück. Ihr Motto ist "Leben wir glücklich, leben wir heimlich!" In den letzten Monaten waren allerdings zwei Menschen nach Drogenkonsum auf den Massenmeetings mit bis zu 25 000 Techno-Fans gestorben. Auch deshalb sind sie vielen konservativen Politikern ein Dorn im Auge.

Seit die Debatte losgetreten wurde, stehen die Festivals auf dem Prüfstand. Wöchentlich ist von den unangemeldeten Zusammenkünften zu lesen, die oft minutiös geplant worden sind. Die Hilfsorganisation "Ärzte der Welt" ist auf den meisten Festivals beratend zur Stelle und versorgt Ecstasy- und andere Drogenopfer.

In Paris schlug kürzlich der junge liberale Abgeordnete im Stadtrat Jean-Baptiste Lemoyne vor, monatlich einen "Rave" in einer U-Bahn-Endstation zu organisieren. Er unterstütze die Anliegen der Jugendlichen, weil "man jung sein kann, elektronische Musik lieben und trotzdem kein gepiercter tätowierter Krimineller sein muss."

Unverstanden von allen Seiten fühlen sich die Jugendlichen. Sie fordern letztlich nur Veranstaltungen mit niedrigen Eintrittspreisen, ihrer Musik und billigen Getränken. Prägnant drückt der junge Abgeordnete in der Nationalversammlung Julien Dray die Sorgen der jungen Leute aus: "Die Generation, die zu ihrer Zeit gegen die moralische Ordnung revoltiert hat, weiß heute nichts besseres zu tun, als Verbote auszusprechen und moralische Einschätzungen abzugeben."

Aus Angst vor einem Verbot ist die französische Techno-Szene in einer Krise. Kürzlich haben die Betreiber einiger der wichtigsten Internetseiten der Bewegung ihre Arbeit aufgegeben - aus Frust über die lang anhaltende, kontroverse Debatte. Doch es wurde schnell ein Ersatzforum gebildet, in dem nun Aufforderungen an die Raver abgedruckt werden, sich auf den Partys vorbildlich zu verhalten.

Philipp Krohn

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