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Magersucht

© Food Victims

Frankreich: Verboten: Anstiftung zur Magersucht

Das ist eine interessante Frage: Lässt sich Magersucht per Gesetz bekämpfen? Seit Dienstag antworten unsere französischen Nachbarn darauf mit "Oui", denn sie haben ein Gesetz auf den Weg gebracht, das "Anstiftung zur Magersucht" bestrafen will. Das ist ein völlig neuer Ansatz im Kampf gegen die Essstörung, unter der besonders junge Frauen leiden.

Die französische Nationalversammlung hat am Dienstag einen Straftatbestand auf den Weg gebracht, der die "Anstiftung zur Magersucht" erstmals in Europa unter Strafe stellen soll. Bis zu zwei Jahren Haft und Geldbußen bis 45.000 Euro soll denen drohen, die "einen Menschen dazu bringen, eine exzessive Magerkeit" anzustreben.

Im Visier haben die Abgeordneten der konservativen Regierungsmehrheit dabei auch die Werbebranche und die Medien, aber vor allem Internet-Websites, die den Schlankheitswahn verherrlichen. Solche Pro-Anas-Seiten - Websites, auf denen sich Magersüchtige treffen und Tipps geben, wie sie noch dünner werden - gibt es auch in Deutschland.

Stirbt ein Opfer, steigt die Haftandrohung

Die Debatte um die "Plage" Magersucht brauche "ein starkes Signal", rechtfertigt die für den Entwurf verantwortliche Abgeordnete Valérie Boyer von der Regierungspartei UMP das Vorhaben. In Frankreich sind demnach 30.000 bis 40.000 Menschen magersüchtig. 90 Prozent von ihnen sind Frauen und Mädchen, wobei die höchste Zahl von Fällen im Alter von zwölf bis dreizehn Jahren und zwischen 18 und 19 Jahren verzeichnet werden. Etwa zehn Prozent der Magersüchtigen hungern sich buchstäblich zu Tode.

In Deutschland leidet mehr als jedes fünfte Kind zwischen 11 und 17 Jahren nach den jüngsten Daten des Kinder- und Jugend-Gesundheitssurveys (KIGGS) unter Symptomen einer Essstörung. Das sind 1,4 Millionen junge Menschen. 56 Prozent der 13- bis 14-Jährigen wollen nach einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung dünner sein. 63 Prozent sagen, dass sie gerne besser aussehen würden.

Boyer will dem die ganze Wucht des Gesetzes entgegensetzen. Nach ihrem nun in erster Lesung angenommenen Entwurf kann "jede wie auch immer geartete Propaganda oder Werbung für Produkte, Objekte oder Methoden" bestraft werden, die dazu dienen, eine gesundheitsgefährliche "exzessive Magersucht" zu fördern. Stirbt ein Opfer, steigt die Haftandrohung gar auf drei Jahre. Frankreich setzt sich damit in Europa an die Spitze im Kampf gegen den Schlankheitswahn.

Bisher galt da Spanien als Vorreiter: 2006 hatten die Behörden in der Hauptstadt Madrid "Hungermodels" verboten, bei der Modewoche Pasarela Cibeles aufzutreten. Weltweit für Aufsehen sorgte kurz darauf der Fall des brasilianischen Models Ana Carolina Reston, die zuletzt bei 1,70 Meter Körpergröße nur noch 40 Kilo auf die Waage brachte und an ihrer Magersucht starb. Auch in Deutschland wird seitdem über den Vorbildcharakter, den superdürre Models für Mädchen haben können, eingehend diskutiert.

Ende vergangenen Jahres startete die Bundesregierung die Kampagne "Leben hat Gewicht - gemeinsam gegen den Schlankheitswahn", die über "überzogene Schönheits- und Schlankheitsideale" informiert. Mit der Modeindustrie strebt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) zudem einen Kodex gegen den Schlankheitswahn an.

Experten: Anstiftung ist schwer nachzuweisen

Eine solche freiwillige Vereinbarung hat die französische Gesundheitsministerin Roselyne Bachelot vergangene Woche bereits mit der Modebranche unterschrieben. In der "Charta gegen Magersucht" verpflichten sich auch Medien und Werbetreibende, keine Bilder mehr zu verbreiten, die den Schlankheitswahn fördern. Doch für Bachelot reicht das nicht, weshalb sie Boyers Vorstoß unterstützt. Sie verweist dabei auf die Magersucht verherrlichenden Internet-Websites, die ungestraft "Todesbotschaften" verbreiteten. Frankreich brauche die Mittel, "um die, die sich hinter solchen Websites verstecken, zu verfolgen und zu verurteilen".

Für die linke Opposition, die sich bei der Abstimmung am Dienstag enthielt, ist das Vorhaben nichts als eine "plakative Aktion", die sich als "nutzlos" erweisen werde. Auch Experten zweifeln daran, ob das Gesetz tatsächlich zu Verurteilungen führen wird. In der Praxis dürfte die "Anstiftung zur Magersucht" schwer nachzuweisen sein. Und auf den Anorexie-Websites geben sich Minderjährige im Schlankheitswahn meist gegenseitig Tipps. Die Betreiber könnten die Online-Auftritte zudem einfach ins Ausland verlegen. Der französische Kinder- und Jugend-Psychiater Philippe Jeammet hält die Drohung mit dem Strafgesetz dennoch für nicht übertrieben. Das Gesetz könne eine lange überfällige "Debatte eröffnen", sagte er der Zeitung "20 minutes". Und die könne dann auch "den Opfern helfen - wie bei Geschwindigkeitsübertretungen oder dem Tabakmissbrauch."

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