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FRAUEN & MÄNNER: Scheiden tut weh

Männer suchen sich schnell eine neue Liebe, Frauen entdecken sich selbst. Wie das Leben nach einer Trennung weitergeht

Sie konnte diesen unwürdigen Zustand nicht mehr ertragen: seine Affären, seine Lügen, ihr Weggucken. Als Johannas Söhne aus dem Haus gingen, packte auch sie die Koffer. Doch erst als ihr Mann die Scheidung wünschte, begrub sie die Illusion, dass er zu ihr zurückfinden würde: „Nach meinem Auszug versuchte ich vergeblich, die Sehnsucht abzutöten. Mein Mann besuchte mich noch einige Male. Einmal öffnete er seinen Mantel und drückte mich an sich. Da wusste ich: Ich bin noch lange nicht fertig mit der Trennung.“

Johannas Ehe ist nur eine von 200 000, die jährlich in Deutschland geschieden werden. Bis zur Trennung dauerte das angetraute Glück 14 Jahre im Schnitt. Jedes fünfte Scheidungspaar beendet noch nach der Silberhochzeit den Lebensbund. Fast nie beruht der Abschied auf einem spontanen Entschluss. Das Ende der Liebe ist kein kurzer Prozess, sondern ein Drama in vielen Akten.

Beruflich fester verankert, privat weniger vernetzt, entwickeln Männer andere Strategien als Frauen, um mit so einem kritischen Ereignis fertig zu werden. Während Männer die Ablehnung auf ihre Person begrenzen, empfinden Frauen das Ausscheren des Partners als Anschlag auf ihr Lebenskonzept. In Endlosschleifen grübeln sie über die Bruchstellen, interpretieren Verhaltensweisen des Abtrünnigen neu und beißen sich an dessen Schweigen die Zähne aus. Männer vermissen reale Dinge, Frauen malen sich aus, welches potenzielle Glück die Trennung vereitelt.

Der Schock nach dem Verlassenwerden ist bei Männern und Frauen gleich groß. Wie ein Keulenschlag trifft sie die Fahnenflucht aus der Ehe. Besonders verheiratete Partner neigen dazu, die Eigenständigkeit des anderen zu unterschätzen. Männer überhören gerne Signale der Unzufriedenheit, Frauen hingegen trauen ihrem Mann nicht zu, aus der Monotonie ihrer Ehe auszubrechen.

Obwohl Gefühle keinem Regelwerk folgen, teilen renommierte Paarexperten wie der Berliner Psychiater Horst Petri und die Mannheimer Psychotherapeutin Doris Wolf die Bewältigung des Verlassenwerdens in typische Stadien ein. Nach der Bestürzung, dass der Partner einen im Stich lässt, folgt die Phase des Nichtwahrhabenwollens. Schwankend zwischen dem Aufschrei „Wie kann er/sie mir das antun?“ und Beschwichtigungen wie „Nie würde er/sie mich fallen lassen“ schützen Verlassene sich gegen ihre Ohnmacht, indem sie den Auszug des Partners als befristet verharmlosen.

Die Hoffnung: Bald wird sie oder er den Schritt bereuen. Und so stehen auf dem Klingelschild an der Tür weiterhin zwei Namen. Verlassene umschleichen das Telefon, kontrollieren stündlich ihre E-Mails und rufen den Entschwundenen unter Vorwänden an: aus Sehnsucht nach der vertrauten Stimme, um ihn in seinem Liebesnest zu stören oder durch Streit, Kontakt zu erzwingen. Manchmal stachelt der drohende Verlust Verführungskünste an. Nicht selten landen frisch Geschiedene miteinander im Bett.

Stirbt diese Hoffnung, laufen die Verlassenen Sturm. Sie stempeln den Partner als Unhold ab, gehen durch das Haus und zertrümmern Gegenstände, die dem anderen gehören. Verlassene stellen sich genüsslich vor, wie die einstige Liebe verunglückt. Sie unterschlagen Post, Dokumente und unersetzliche Erinnerungsstücke, sperren das Konto, erschweren den Kontakt zu Kindern und lassen den Ex bei wichtigen Auskünften zappeln.

Irgendwann ist die Kraft zum Kampf verbraucht. Die Empörung, dass der Partner ohne Ankündigung ging, wird dahingehend relativiert, dass vermutlich Warnzeichen bagatellisiert wurden. In dieser Phase der Verzweiflung bietet die Herkunftsfamilie Beistand, häufig reaktivieren Männer vernachlässigte Kontakte, nicht selten werden Kinder oder nahe Freunde als Verbündete eingespannt.

Sie stehen jedoch begrenzt als Kummerkasten zur Verfügung. Irgendwann können sie die Jammertirade nicht mehr hören, besonders, wenn Verlassene sich in der Opferrolle einrichten und ständig Loyalitätsbeweise fordern. Und so lichtet sich nach einer Phase des Schwarz-Weiß-Denkens langsam das Chaos.

Verlassene schätzen nun realistischer ein, was vorbei ist und was bleibt. In der Trauer über Verlorenes fügen sie sich in das Unabänderliche. Die Akzeptanz macht den Weg frei für einen Neubeginn. Frauen aktivieren brachliegende Fähigkeiten. Männer flüchten sich in Arbeit und in die Arme einer Übergangspartnerin. Sie dämpft die Angst, in ein Tief zu fallen. Ein Jahr nach der Scheidung sind 80 Prozent der Männer wieder liiert.

Der Glaube, auf diese Weise die Krise zu meistern, ist trügerisch. Verdrängte Gefühle können sich als psychosomatische Störungen manifestieren. Langfristig kommen Männer allein schlechter zurecht, ermittelten sozialmedizinische Studien und die Leistungsstatistik der Rentenversicherungsträger. Sie sind schlechter versorgt und werden emotional seltener als Frauen von Freunden aufgefangen, treiben Raubbau mit ihrer Gesundheit – und nehmen sich im Extremfall das Leben. Nach einer Trennung verüben Männer vier Mal häufiger Suizid als Frauen.

Verlässt ein Partner die Ehegemeinschaft, beginnen seine Begründungen fast immer mit „Ich". Nicht, weil sie oder er egozentrisch ist, sondern sich aus einem Verbund herauslöst, in dem auf vieles verzichtet wurde. Frauen sprechen von Verkümmerung, Gleichgültigkeit und Leere, dass Streit, Machtspiele und Süchte ihre Ehe ausgehöhlt hätten.

Männer sind in derselben Situation emotional ausgehungert. Sie fühlten sich nach der Familiengründung häufig als Haupternährer instrumentalisiert und wie ein Insekt von einem anderen ausgesaugt. Aber Männer sind mentale Handwerker. Sie wollen Probleme lösen, nicht endlos über sie reden. Ihre Geduld endet, wenn eine Alternative am Horizont erscheint. Das kann eine Scheidung sein. Anders als Frauen, die die Stille in den eigenen vier Wänden als beklemmend empfinden, atmen sie nach solch einer Entscheidung häufig erleichtert auf. Keine Einmischung, keine Anpassung mehr!

Erschreckend oft schildern getrennte Paare ein chronisches Gesprächsdefizit: „Wir redeten über alles, nur nicht über unsere Gefühle.“ Nisten sich Stummheit und Entfremdung ein, verabschiedet sich die Lust aufeinander. Auch Jüngere berichten, dass dann im Bett nichts als Nachtruhe herrsche. Dass die meisten Ehen nach vier bis acht Jahren scheitern, am häufigsten die der 40- bis 45-Jährigen, liegt auch daran, dass sich unter Stress die Kommunikation verschlechtert und die Libido sich davonschleicht.

Experten betonen, dass Beziehungen nicht an Konflikten scheitern, sondern an der Unfähigkeit, sie auszuhandeln. Zufriedene Partner gleichen Differenzen mit Gesten der Zugehörigkeit aus und lassen Ambivalenzen zu. Unzufriedene Paare hingegen haben einen vorwurfvollen Debattierstil. Durch abfälligen Unterton und körperliche Abweisung unterlaufen sie positive Aussagen. Statt „sowohl als auch“ dominiert „entweder oder“.

„Der Trennungsprozess beginnt, wenn Paare aufhören, in die Beziehung zu investieren“, erklärt der Berliner Psychotherapeut Wolfgang Krüger, der im Kreuz Verlag gerade den Partnerschaftsratgeber „Freiraum für die Liebe“ veröffentlicht hat. „Partner kappen die inneren Drähte, sie zucken vor Nähe regelrecht zurück, weil sie sich dem anderen nicht mehr ausliefern wollen.“ Die vertraute Misere macht weniger Angst als der Aufbruch ins Ungewisse.

Selbst bei einvernehmlicher Trennung erfolgt der endgültige Riss für Partner nicht zeitgleich. Auf ihre Hochs und Tiefs haben sie oft eine völlig unterschiedliche Sicht. Nach der Devise „Wohl brach ich die Ehe, aber erst brach die Ehe mich“ nimmt der Verlassende selektiv nur noch die Schattenseiten wahr, wohingegen der verlassene Partner die positiven Erlebnisse sortiert.

Wenn die Unterschiede nicht mehr durch Kompromisse eingeebnet werden müssen, die eine Zweisamkeit erfordern, schälen sich wieder geschlechtliche Prägungen heraus. Frauen gelangen oft zu der Einsicht, dass sie „mein“ und „dein“ vermengt und ihren Partner nach einem inneren Suchbild geformt haben. Diskussionen enden für sie dann mit der Absage an jedwede Rettungschance: „Ich bleibe, wie ich bin!“ Viele Männer hingegen bekunden, mit der Rückbesinnung auf sich selbst, den „Ballast“ komplizierter Gefühlsverflechtung abgeworfen zu haben.

Doch auch wenn so eine Trennung wie bei Johanna lange zurückliegt, verrät die Detailgenauigkeit, mit der sich die Ex-Partner an sie erinnern: Die Wunde brennt noch Jahre später.

Von unserer Autorin ist kürzlich das Buch „Das Jahr danach – Wenn Paare sich trennen“ im Links Verlag erschienen.

Bettina von Kleist

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