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Panorama: Frische Erinnerung

Wenn sich der Golfstrom weiter verlangsamt, könnte eine Eiszeit drohen. Eine kleine zumindest. Wie es sie noch vor 200 Jahren gab

Eine neue Eiszeit – ist so etwas möglich? Die Studie britischer Forscher, nach der sich, wie berichtet, der Golfstrom deutlich verlangsamt und sein Volumen um 30 Prozent verringert hat, könnte darauf hinweisen, dass Europa vor einer Klimawende steht. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte.

Ob der nachlassende Golfstrom in ein paar Jahren tatsächlich seine Wärmewirkung auf Europa verliert und dadurch die Temperaturen hierzulande um vier oder fünf Grad sinken werden, weiß niemand. Ungewöhnlich aber wäre das keineswegs. Im Gegenteil, Forscher wie Frank Sirocko von der Mainzer Universität beschäftigen sich mit einer ganzen Reihe solcher dramatischen Veränderungen. „Kleine Eiszeit“ heißt die jüngste dieser Episoden, die Europa und auch Nordamerika noch bis vor 150 Jahren vor allem recht kalte und lange Winter bescherte. Ob auch damals der Golfstrom schwächer wurde, weiß man nicht, weil es keine Messungen gab. Was gesichert ist: Die Sonne strahlte ab 1550 weniger zur Erde. Die damals folgenden 300 Jahre waren ein Grad kälter als davor.

Das hatte aber dramatische Auswirkungen: In den Alpen waren die Gletscher auf dem Vormarsch. Aber auch im Flachland machten die langen und harten Winter den Bauern erheblich zu schaffen. Hatten doch Getreide und Gemüse deutlich weniger Zeit zum Wachsen und Reifen, wenn sich manchmal bis in den Juni hinein das Eis auf den Seen hielt. Obendrein waren die Sommer kühler und feuchter als heutzutage, mehr als einmal verfaulte daher die Ernte auf den Feldern oder reifte vor dem nächsten Wintereinbruch erst gar nicht aus. Die Erträge lagen deutlich niedriger als üblich – und das bedeutete mehr als einmal Hungersnot.

Die strengen Winter ließen auch die Gewässer viel häufiger zufrieren als heutzutage. 1780 konnte man den New Yorker Hafen völlig sicher auf dem Eis überqueren, der Bodensee diente damals im Winter als feste Verbindung zwischen der Schweiz und Deutschland. Aus dieser Zeit stammen auch die Bilder holländischer Meister wie Pieter Brueghel d. Ä., die Winterlandschaften und Schlittschuhläufer auf Kanälen zeigen, die heutzutage nur noch in Ausnahmewintern zufrieren.

Ihren Höhepunkt erreichte die Kleine Eiszeit im 17. Jahrhundert, als zwischen 1618 und 1648 der Dreißigjährige Krieg tobte. Die kalte Witterung hat mit Sicherheit die Auswirkungen dieser Kämpfe erheblich verschlimmert. Eine Reihe schwerer Vulkanausbrüche schleuderte während der kleinen Eiszeit zusätzlich Schwefelsäurewolken in die hohe Atmosphäre, die das Klima weiter kühlten. Nach dem Ausbruch des Tambora 1815 in Indonesien gab es in Nordamerika kräftige Schneefälle sogar im Juli und August des Jahres 1816, während in Mitteleuropa Nachtfröste im Hochsommer einen großen Teil der Ernte vernichteten.

Eine Tatsache ähnelt der heutigen Situation. Vor der Kleinen Eiszeit war es auffällig wärmer geworden, in einigen Regionen lagen die Temperaturen zwischen 800 und 1300 sogar ein Grad höher als heute. In dieser Zeit besiedelten die Wikinger Grönland, das sie als „Grünland“ entdeckten, weil vor den Gletschern üppige Wiesen wuchsen. In den Alpen bauten die deutschsprachigen Walser noch in Höhen von zweitausend Metern Getreide an. Auch im Süden Islands wogten damals Weizen- und Gerstenfelder, im Süden Schottlands kelterte man einen brauchbaren Wein. Ähnlich mildes Wetter gab es übrigens auch in der Römerzeit, zwischen 500 vor und 500 nach Christus lagen die Temperaturen in Europa ebenfalls relativ hoch. Als es danach kälter wurde, zwang die Verschlechterung des Klimas die Menschen zur „Völkerwanderung“, weil in der alten Heimat die Ernten so schlecht ausfielen, dass die Menschen vor der Wahl „Verhungern oder Auswandern“ standen.

Einen nachweisbaren Ausfall des Golfstroms gab es vor 8200 Jahren. Damals schmolzen noch die letzten Gletscher der Eiszeit in Nordamerika. Weil eine riesige Eiswand das Wasser am Abfließen hinderte, sammelte es sich in einem gigantischen See. Irgendwann aber wurde der Wasserdruck zu groß und die Massen bahnten sich ihren Weg durch die Eisbarriere und strömten als Flutwelle unvorstellbaren Ausmaßes in den Atlantik. Dadurch sank in der obersten Wasserschicht die Salzkonzentration erheblich, das Wasser wurde gleichzeitig leichter. Plötzlich reichte die Abkühlung durch die Winde von den Grönlandgletschern nicht mehr, um das Wasser so kalt und schwer werden zu lassen, dass es in die Tiefe sinkt und dort Richtung Äquator strömt. Dieser Mechanismus wird auch jetzt befürchtet, wenn wegen der Klimaerwärmung Gletscher schmelzen, der Regen zunimmt und dieses zusätzliche Süßwasser die Salzkonzentration senkt. Stockt der kalte Tiefenstrom, kommt auch die warme Strömung zum Stillstand, die an der Oberfläche des Atlantiks nordwärts fließt und so den stetigen Wasserverlust ausgleicht. Plötzlich ist die Warmwasser-Heizung ausgefallen, die Europa heute fruchtbar macht.

Die warmen Wasser des Golfstroms verschieben die Klimazonen der alten Welt um rund fünfzehnhundert Kilometer nach Norden. Ohne diese Heizung hätte Berlin Temperaturen wie der Süden Alaskas. Funktioniert der Golfstrom, wachsen in Teilen Englands Palmen. Das Fernwärmesystem regenerierte sich vor 8000 Jahren relativ rasch wieder: Als der See ausgelaufen war, verflog 37 Jahre später auch der ganze Spuk: Der Golfstrom floss wieder an Europas Küsten nach Norden und beendete die massive Kältewelle ähnlich abrupt wie sie begonnen hatte. Auch als in der Eiszeit vor 100 000 bis 12 000 Jahren Gletscher weite Teile der Nordhalbkugel im Griff hielten, war der Golfstrom ausgefallen oder endete viel weiter südlich als früher. Damals war es im Durchschnitt nur vier oder fünf Grad kälter als heute, die Auswirkungen dieser Abkühlung aber waren dramatisch. Die Gletscher rückten schließlich bis in die Gegend von Berlin vor, in den anderen Regionen Deutschlands gab es an Stelle von Wäldern und Wiesen eine Kältesteppe, wie sie heute im Norden Kanadas und Sibiriens zu finden ist.

Auch in Warmzeiten wie heute aber kann es schlagartig kälter werden, berichtet Frank Sirocko von der Mainzer Universität. Vor 118 000 Jahren begannen in Nordamerika die Gletscher wieder zu wachsen und drängten anscheinend den Golfstrom schlagartig nach Süden ab. Was dann passierte, konnte der Mainzer Forscher aufdecken, als er die Ablagerungen aus dieser Zeit in einem Maar in der Eifel untersuchte: In weniger als zwanzig Jahren wurde es um etliche Grad kühler. Fehlt der Golfstrom, verdunstet aus dem kühlem Wasser des Atlantiks auch weniger Wasser. In Europa wird es also nicht nur kälter, sondern auch trockener und die üppige Eifellandschaft wandelt sich in eine Kältesteppe ohne Bäume. Staubstürme fegen über das Land. Ähnliches könnte auch heute in wenigen Jahren passieren, wenn die Warmwasserheizung der alten Welt stocken sollte.

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