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Panorama: Für immer jung

"Ich will mehr Leben, Vater!", fleht der Androide Roy seinen Schöpfer in einer unvergesslichen Szene aus dem Science-Fiction-Film "Blade Runner" an, sein nahendes Verfallsdatum zu verlängern.

"Ich will mehr Leben, Vater!", fleht der Androide Roy seinen Schöpfer in einer unvergesslichen Szene aus dem Science-Fiction-Film "Blade Runner" an, sein nahendes Verfallsdatum zu verlängern. Der Romanheld Dorian Gray geht gar einen Pakt mit dem Teufel ein, um dem unvermeidlichen Verlust der Jugend Einhalt zu gebieten. Der ewige Menschheitstraum vom Aufschub der Alterung, der noch vor ein paar Jahren wie eine utopische Wunschvorstellung erschien, ist jetzt durch die weltweite Zusammenarbeit von Genetikern, Biologen und Anti-Aging-Medizinern in die Nähe der Machbarkeit gerückt.

"Es gab noch nie einen besseren Zeitpunkt, um alt zu werden", leitet das US-Nachrichtenmagazin "Newsweek" sein neues Themenheft über die Suche nach dem Jungbrunnen ein. Tatsache ist, dass die Menschheit dem Sensenmann noch nie so erfolgreich ein Schnippchen schlug. Noch während der letzten Eiszeit hielt ein normaler menschlicher Körper gerade einmal 18 Jahre, um die Jahrhundertwende tickte die Lebensuhr im Schnitt schon 49 Jahre. Heute gibt es mehr 50-Jährige als je zuvor, und sie können mit mindestens 30 weiteren Lenzen rechnen. Die Generation der Babyboomer hat auch beste Aussichten, mit Würde und Wohlgefallen alt zu werden.

Nach dem Ergebnis einer Newsweek-Umfrage ist die Mehrheit aller 45- bis 65-Jährigen mit ihrer Gesundheit, ihrer körperlichen Erscheinung und ihrem Sexleben zufrieden. Einige der elementarsten Methoden, um das Rad der Zeit ein wenig zu bremsen und in den "goldenen Jahren" fit zu bleiben, sind durch die Propaganda der Wellness-Bewegung längst zum Allgemeingut geworden: eine gesunde, ausgeglichene Ernährung, mäßige körperliche Ertüchtigung, der Verzicht auf Drogen und andere Exzesse. Doch selbst bei optimaler Lebensweise läuft das Verfallsdatum eines Homo sapiens nach 115 bis 120 Jahren ab. Aber bei vielen Forschern wächst die Zuversicht, dass auch diese Grenze überwindbar ist.

"Es dauert höchstens noch 20 Jahre, bis wir den Alterungsprozess umkehren können", prophezeit der Mediziner Prof. Michael Fossel von der Michigan Universität. Bei Fadenwürmern hat sein Kollege Siegfried Hekimi aus Montreal das Ziel bereits erreicht: Per Genmanipulation dehnte er ihre Lebenserwartung um das Sechsfache aus. Bei Fadenwürmern, Mäusen und anderen Labortieren sind mittlerweile über 100 Genvarianten bekannt, die einen massiven Jungbrunnen-Effekt entfalten. Die einen dämmen den zersetzenden Effekt der "freien Radikalen" ein, die den Mitochondrien, den Kraftwerken unserer Zellen, entweichen wie Strahlung einem kaputten Kernkraftwerk. Andere nehmen das Stoffwechselhormon Insulin ins Visier, das bei der Alterung eine fatale Rolle spielt. Eine andere, im Tierversuch erfolgreich erprobte Anti-Aging-Strategie, kann jeder willensstarke Mensch bereits heute umsetzen. Der verblüffende Effekt der "kalorischen Reduktion" wurde erst bei der Bäckerhefe, dann bei Mäusen und schließlich bei Affen erhärtet: Wenn man diesen Organismen 30 bis 60 Prozent weniger Kalorien - aber alle wichtigen Nährstoffe - füttert, steigt die Lebenserwartung und die körperlichen Zeichen der Alterung lassen nach. Forscher glauben, dass auch diese Verjüngungskur den verheerenden Ausstoß freier Radikale senkt. Es zeichnet sich ein ganzes Potpourri von individuellen Eingriffen ab, die dem Zahn der Zeit den Schrecken nehmen könnten.

Der Verzicht auf Fortpflanzung bringt möglicherweise genauso viel wie die Enthaltsamkeit beim Essen: Fruchtbarkeit und Langlebigkeit machen sich zumindest bei vielen Tierarten gegenseitig wett. Auch der Verzicht auf körperliches Wachstum besitzt Anti-Aging-Potential. Ein experimenteller Mäusestamm, dem das Gen für das Wachstumshormon fehlt, bringt einen zwergenhaften Körper mit einer riesenhaften Lebensspanne unter einen Hut. Die gleiche Kombination wird auch den extrem langlebigen "kleinen Menschen auf Krk", einer kroatischen Adriainsel, nachgesagt.

Bei vielen "Oldtimern" ist das Gehirn die Achillesferse, weil dessen Leistungsfähigkeit trotz eines gesunden Körpers nachlässt. Doch just im vergangenen Jahr kam die erlösende Erkenntnis, dass die Fähigkeit zur "Neurogenese", der Neubildung verlorener Nervenzellen, bis ins hohe Alter fortbesteht. Jetzt suchen die Neurobiologen fieberhaft nach Schaltern, mit denen sich dieser Reparaturservice ankurbeln lässt. Neben geistiger und körperlicher Betätigung haben sich bereits bestimmte Hormone und stimmungsaufhellende Medikamente bewährt. Wenn die regenerativen Kräfte des Hirnes völlig versiegen, springen vielleicht schon bald die neuronalen Stammzellen ein. Möglicherweise werden diese Alleskönner die Lücken schließen, die eine Menschheitsgeißel wie Alzheimer oder Parkinson in die Hardware des erkrankten Gehirnes reißt. Aber auch den rein ästhetischen Beeinträchtigungen des Alters erklärt die moderne Biomedizin immer erfolgreicher den Krieg. An den Rezepturen für Hautpflegemittel und den "sanften" Techniken für die Schönheitschirurgie tüfteln hochbezahlte Spitzenkräfte in High-Tech-Labors.

Fragt sich nur, ob der Traum von der ewigen Jugend nicht zum Alptraum wird. Schon plagt uns die Überbevölkerung, und die Entwicklung sündhaft teurer Jugendlichkeitselixiere beschwört vielleicht soziale Krisen herauf. "Alles Unsinn", kontert Michael Fossel solche Einwände. Nach seiner Meinung werden wir überhaupt erst entdecken, was Menschsein heißt, wenn wir genug Zeit zur Entfaltung unseres Menschseins haben.

Morgen: "Sanfte Methoden gegen Falten".

Rolf Degen

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