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Verstörender Prozess. Magnus Gäfgen, der Mörder des elfjährigen Bankierssohns Jakob von Metzler, vor Gericht. Er schildert seine Hilflosigkeit und Angst nach seiner Festnahme. Kein einziges Mal spricht er von Reue über seine Tat, er spricht nur über sich.

© dapd

Gäfgen will Schmerzensgeld erstreiten: Ein Mörder schlägt neue Wunden

Magnus Gäfgen, der Mörder des elfjährigen Bankierssohns Jakob von Metzler, verlangt Schmerzensgeld für die Umstände seiner Festnahme. Das ruft Empörung hervor.

Einen Tag nach dem Auftakt des Prozesses, in dem der verurteilte Mörder Magnus Gäfgen Schmerzensgeld für die Umstände seiner Festnahme erstreiten will, empören sich die Medien. „Der Rechtsstaat macht es uns nicht leicht“, kommentiert die „WAZ“. „Der Fall Gäfgen steht für die Widersprüche, die zuweilen zwischen Recht und Rechtsempfinden bestehen.“ „Bild“ geht weiter: „Man möchte heulen vor Wut!“

Fünf Stunden lang war es am Donnerstag in der Verhandlung vor der vierten Zivilkammer des Frankfurter Landgerichts immer nur um den Täter gegangen. Magnus Gäfgen berichtete ausführlich über seine dramatische Festnahme. Dass ihn Polizeibeamte auf den Boden gezerrt und entkleidet hätten. Am nächsten Tag, bei seiner Vernehmung, hätten sie ihm Folter angedroht, ihn geschlagen. Ausführlich schilderte er, wie er bei der Vernehmung „Hilflosigkeit und Angst“ verspürt habe. Deshalb habe er schließlich aufgegeben und die Polizei zur Leiche des Kindes an dem Weiher geführt.

Kein Wort der Reue, er sprach nur über sich und seine Befindlichkeit. Noch heute leide er unter den psychischen Folgen jener Tortur. Deshalb will er 10 000 Euro Schmerzensgeld vom Land Hessen. Auch der psychiatrische Gutachter, Professor Norbert Nedopil, beschäftigte sich ausführlich mit der Seelenlage des Täters. Für sein posttraumatisches Belastungssyndrom, das psychologischer Behandlung bedürfe, seien auch die traumatischen Umstände der Vernehmung erheblich. Der Vorsitzende Richter der Kammer, Christoph Hefter, ließ sich auf die Ausleuchtung der Gäfgenschen Seele ein. Welchen Anteil an seiner Störung hat das Tatgeschehen, welchen der Verlust der Lebensperspektive, der Zusammenbruch des Kartenhauses, das Gäfgen um sich gebaut hatte und welchen die Vernehmung?

Es dauerte fünf Stunden, bis Rechtsanwalt Thomas Kittner, der für das Land Hessen Gäfgens Schmerzensgeldforderung niederschlagen soll, diese quälende Seelenschau beendet. Mit bebender Stimme las er aus dem Strafurteil den Bericht über die letzten Minuten im kurzen Leben des Jakob von Metzler vor. Der Junge war mit Magnus Gäfgen mitgegangen, weil er ihn kannte, ihm vertraute. Er glaubte wohl noch an ein Spiel, als ihm Hände und Beine gefesselt wurden. Doch der Täter verklebte ihm mit einem Klebeband den Mund. Indem er Jakob mit Gewalt die Nase zudrückte, erstickte er ihn. Kittners Botschaft lautete: Dieser Prozess ist eine Zumutung. Darf ein verurteilter Täter, der ein Kind erbarmungslos umgebracht hat, Schadensersatz verlangen, weil ihm Polizeibeamte Gewalt angedroht haben? Schließlich wollten sie ihm den Aufenthaltsort des Jungen entlocken, sie glaubten, ihn noch retten zu können.

In einem Rechtsstaat ist klar, auch ein verurteilter Straftäter darf klagen, wenn sich Polizei oder Justiz rechtswidrig verhalten haben. Die Gesellschaft muss einen solchen Prozess aushalten, auch wenn er nicht nur für die Eltern des Opfers eine Zumutung ist. Immerhin hat ein Frankfurter Strafgericht den Vernehmungsbeamten und seinen Dienstvorgesetzten rechtskräftig wegen des Verstoßes gegen das Folterverbot verurteilt. Dass allerdings das posttraumatische Belastungssyndrom des Magnus Gäfgen der rauen, teilweise rechtswidrigen Vernehmung geschuldet ist und nicht der ungeheuerlichen Tat und seinen Folgen, müssen er und sein Anwalt beweisen. Zu Recht hat der Vorsitzende Richter darauf hingewiesen. In seinen Alpträumen sieht Gäfgen das tote Kind, hat er seinem psychiatrischen Gutachter berichtet. Mit seiner Festnahme sind seine Luftschlösser vom besseren Leben, das er mit dem erpressten Geld erreichen wollte, zusammengebrochen. Die Lebensperspektive des einstigen Jura-Studenten lautet jetzt Haft. Eine solche ungeheuerliche Tat und seine einschneidenden Folgen, auch für den Täter, wiegen wohl schwerer, als eine Vernehmung, bei der Polizeibeamte rechtsstaatliche Prinzipien gebrochen haben, in der Hoffnung, ein Kind retten zu können. Insofern spricht viel dafür, dass ein verstörender Prozess nicht mit einem verstörenden Urteil endet.

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