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Panorama: "Gaudí": Bauen wie ein Baum

Von einem Künstler wurde Antoni Gaudí einmal gefragt, wie er zu seinem Stil gekommen sei. Der katalanische Architekt deutete auf einen Baum, der neben der Kathedrale Sagrada Familia stand und sagte: "Das ist mein Lehrer.

Von einem Künstler wurde Antoni Gaudí einmal gefragt, wie er zu seinem Stil gekommen sei. Der katalanische Architekt deutete auf einen Baum, der neben der Kathedrale Sagrada Familia stand und sagte: "Das ist mein Lehrer." Die Erneuerung der Architektur dachte sich Gaudí als Rückkehr zu den einfachsten Dingen. Tiefe Religiosität war für ihn gleichbedeutend mit Versenkung in die Natur. Weswegen die Gläubigen in der Sagrada Familia das Gefühl bekommen sollten, "sich wirklich in einem Wald zu befinden".

Wieso kam es aber gerade im Mittelmeer-Raum um 1900 zu einer Fülle pflanzlicher und animalischer Motive? Und in welcher Beziehung stand Gaudí zu den übrigen Vertretern des Modernismus? Joan Bergós i Massó gibt in seinem Buch "Gaudí. Der Künstler und sein Werk" auf diese Fragen leider keine Antworten. Doch als getreuer Eleve des vergötterten Gaudí weiß er zu berichten, daß der Meister nichts geringeres als die Vollendung der Gotik anstrebte. Die Kathedrale sollte von ihren Stützpfeilern und Strebebögen, sprich: von ihren "Krücken", befreit werden. Einem Baum in seinen endlosen Verästelungen gleiche sie nur, wenn sie "durch und durch Struktur" ist.

Es ist schwer nachvollziehbar, was den Verlag dazu bewog, ein Buch von 1954 neu aufzulegen. Niemanden wird überraschen, daß die Monographie von Bergós i Massó heute leicht antiquiert wirkt. Die unzähligen Anekdoten sollen zwar ein lebendiges Bild von Gaudí zeichnen, aber wenn der Autor berichtet, Gaudí habe als frömmelnder Alter seinen Anzug nicht mehr gewechselt und auf die Unterwäsche völlig verzichtet, dann mag diese Knorzigkeit erheiternd wirken, aber die endlose Aneinanderreihung solcher Geschichten macht das Buch eher geschwätzig. Was jedoch schwerer wiegt: Gaudí wird zum Architektengott und das Buch zur Andachtsfibel. Doch zum Glück kann sich der Leser an den teils ausgezeichneten Fotos von Marc Llimargas schadlos halten.

Klaus Englert

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