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Götz George in der Rolle des Horst Schimanski.

© dpa

George als Schimanski: Hart, ganz hart, aber innen ganz weich

„Hotte, du Idiot! Hör’ auf mit der Scheiße!“, das waren die ersten Worte von Schimanski. Dauerverkatert, schmuddelig und ungebunden – der Kommissar wurde zu Georges Paraderolle.

Was ist das denn für ein Typ? Das mögen sich viele Fernsehzuschauer gefragt haben – die einen entsetzt, ein paar begeistert –, als sie am 28. Juni 1981 erstmals den neuen „Tatort“-Kommissar Horst Schimanski sahen. Im roten T-Shirt quält der sich verkatert aus dem Bett, schaut lange aus dem Fenster, auf eine graue Ruhrpott-Szenerie, dabei sich intensiv am Hintern kratzend, schaltet den Radiorekorder ein, es läuft „Leader Of The Pack“ von den Shangri-Las. Er geht in seine Küche, um sich Spiegeleier zu machen, sieht das Chaos dort, die dreckige Pfanne, schlägt die zwei Eier in ein Glas und trinkt sie so, auf ex. Dann macht Schimanski sich auf den Weg in die Kneipe, in der er den Abend vorher war, vier Biere hat er dort unbezahlt auf dem Deckel stehen, und schreit auf der Straße einen Mann an, der seinen Fernseher aus dem Fenster wirft: „Hotte, du Idiot! Hör’ auf mit der Scheiße!“ In der Kneipe selbst trifft er als Erstes einen „Kameltreiber“, einen türkischstämmigen Insider aus dem Wettmilieu, und sagt zu diesem auf die Frage, wie es so läuft: „Pech in der Liebe. Pech im Spiel.“

Im Grunde steckt allein in diesen ersten Minuten von „Duisburg-Ruhrort“ die ganze Schimanski-Figur, die Götz George die ganzen achtziger Jahre über verkörpern sollte, bis zur letzten Schimanski-„Tatort“-Folge am 29. Dezember 1991. Ein (Bier-)Trinker, aber voller Muskelpakete, ein Mann, auf den die Frauen stehen, aber ungebunden, mit stetig wechselnden Liebschaften, ein harter, unkonventioneller Typ, aber innen schon mal weich.

Schimanski, das war der „Schmuddel“-Kommissar, der natürlich deshalb so glamourös und unbürokratisch wirkte, weil er sich zum einen so markant von seinen Vorgängern unterschied, den Siebziger-Jahre-„Tatort“-Kommissaren Klaus Schwarzkopf als „Finke“, Werner Schumacher als „Lutz“ und Hansjörg Felmy als „Haferkamp“ (der übrigens Schimanski in „Duisburg-Ruhrort“ einmal von einer Polaroid-Werbetafel anschaut). Und weil zum anderen, ganz in dieser 70er-Kommissar-Tradition, sein Vorgesetzter Karl Königsberg und sein Kollege Christian Thanner auf den ersten Blick so überaus korrekt waren, so bürokratisch, so deutsch, wie man in den achtziger Jahren nicht mehr sein wollte und sowieso nicht mehr war, man denke an die bis zu dem Schwarzen 5. September so heiteren Olympischen Spiele in München, an den Günter-Netzer-Fußball der Siebziger.

Ein Mann von Welt war er nicht

Nicht dass Schimanski besonders weltläufig gewesen wäre: aber seine Sympathie für das proletarische Milieu im Ruhrpott, dessen Sprache er sprach, (in einer Folge ist er ganz auf der Seite von streikenden Arbeitern, deren Zeche von der Schließung bedroht ist), seine Unangepasstheit, die waren neu und ungewohnt, zumindest im Fernsehkrimi. Genauso neu, wie die viele Action, die die Fälle und ihre Auflösung mehr und mehr in den Hintergrund drängte. Das Ereignis dieser „Tatorte“ war Götz George als Kommissar Schimanski, das war sein Mit- und Gegeneinander mit Kollegen und Kriminellen, dem Milieu, das war das Tempo, mit dem erzählt wurde, was im Lauf der Zeit zulasten der Geschichten ging.

Allerdings wirkt die Schimanski-Figur im Nachhinein mehr wie eine Siebziger-Jahre- als eine Achtziger-Jahre-Figur: mehr schwitziger Rock als eleganter, affirmativer, alles Neue begrüßender Synthie-Pop und Zitat-Pop. Diese Jacke, die Jeans, dieses Gebollere, dieses Schnauzbärtig-Dauerverkaterte – das sollen die achtziger Jahre gewesen sein? Auch prägende Songs der Schimanski-„Tatorte“ wurden von Musikern geschrieben oder gesungen, die aus den siebziger Jahren kamen, man denke an Tangerine Dream („Das Mädchen auf der Treppe“; „Daydream“), den Ex-Sänger der Gruppe Smokie, Chris Norman, („Midnight Lady“, „Broken Heroes“) oder Joe Cocker. Und wenn die Musik richtig zeitgemäß war, kam sie von Bonnie Tyler, Roger Chapman oder Klaus

Lage, der für den Schimanski-Kinofilm dichtete: „Faust auf Faust/hart, ganz hart/Alles das kannst du verdau'n/Doch gib zu, zart, ganz zart/Hat ihre Hand dich umgehau’n/Und das ist hart für Schimi/Dein ganz privater Krimi.“

Die Musik ging gar nicht

Nein, so sympathisch Horst Schimanski rüberkam, so schlimm war die Musik, die die Handlung illustrieren und die Schimanski-Figur miterzählen sollte. Raue, kratzbürstige, leicht gebrochene Stimmen und schwere Melancholie: Es war doch noch sehr dunkel in der BRD, sehr noir, insbesondere tief im Westen.

In das Deutschland nach dem Fall der Mauer passte Schimanski dann auch nicht mehr – der Wiedervereinigungs-„Tatort“ mit den Kollegen aus dem DDR-„Polizeiruf“, „Unter Brüdern“, ist zwar komisch, hat aber was von Schimanski-Dämmerung. Und der Rest? Der Schimanski, der außer der „Tatort“-Reihe immer weiter und weiter gemacht hat? Zitat und noch mehr Melancholie, allerdings Altersmelancholie – eine Figur von gestern, der es aber wenig ausmacht, eine Figur von gestern zu sein.

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