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Das Bild "American Gothic" von Grant Wood wird oft als Sinnbild des puritanischen ländlichen Amerikas interpretiert.

© Flickr/Phil Roeder

Gerichtsurteil: Und führe ihn nicht in Versuchung

Ein Zahnarzt feuerte seine Assistentin, weil er sie unwiderstehlich attraktiv findet. Sie gefährde seine Ehe, sagt er. Das Oberste Gericht von Iowa gibt ihm Recht: Angestellte dürfen entlassen werden, wenn sie Eifersucht und Spannungen in einem Betrieb verursachen.

Das Magazin Slate gibt eine sarkastische Warnung aus: "Frauen von Iowa, seid vorsichtig: Wenn euer Boss euch wahnsinnig attraktiv findet, kann er euch feuern. Das ist vollkommen legal." Und Amerika staunt, entrüstet oder amüsiert sich über ein Urteil des Obersten Gerichts von Iowa. Für die eine Hälfte der USA zeigt sich in dem Richterspruch nur die bigotte Doppelmoral des Mittleren Westens – die andere Hälfte ist erfreut über den Bann gegen Unzucht und Verführung.

Es geht um eine attraktive Arzthelferin, die Beule in der Hose ihres Chefs, zweifelhafte Macho-Sprüche, die Eifersucht der Arztgattin, eine Kündigung wegen Unwiderstehlichkeit und die höchstrichterliche Rettung von "Familienwerten". Der Fall Nelson vs. Knight hat das Zeug, ein Klassiker der US-Rechtsgeschichte zu werden.

James Knight, 53, ist Zahnarzt, er lebt in Fort Dodge, Iowa. Melissa Nelson, 32, war seit 1999 seine Zahnarzthelferin. Beide sind verheiratet und haben Kinder. Der Zahnarzt betrachtete seine Angestellte als brillante Mitarbeiterin, trotzdem entließ er sie. Der Grund: Er fand sie unwiderstehlich anziehend und sah deshalb seine Ehe gefährdet.

Frau Nelson klagte wegen Diskriminierung, doch der Supreme Court von Iowa gab dem Zahnarzt nun Recht. Das ausschließlich männlich besetzte Gericht beschloss am vergangenen Freitag mit sieben zu null Stimmen: Eine solche Entlassung könne zwar unfair sein, sei aber keine Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts.

Begonnen hat die Geschichte vor einigen Monaten. Der Zahnarzt fing plötzlich an, sich über die angeblich hautenge Kleidung seiner Praxishelferin zu beklagen. Sie bringe ihn aus dem Konzept. Sollte Frau Nelson Ausbeulungen seiner Hose bemerken, dann wisse sie, dass ihre Kleidung zu freizügig sei.

Ein weiteres geschmackloses Kompliment machte der 53-Jährige seiner Mitarbeiterin, als sie ihm anvertraute, sie habe eher selten Sex mit ihrem Mann: "Das ist wie einen Lamborghini in der Garage zu haben und ihn nie zu fahren." Später vertraute er Frau Nelsons Ehemann an, er habe befürchtet, eine zu enge persönliche Bindung zu entwickeln und eine Affäre mit ihr zu beginnen.

Melissa Nelson sagte dem TV-Sender CNN, dass sie unter dem Laborkittel niemals provozierende Kleidung getragen habe. Sie sei glücklich verheiratet und "absolut nicht" in eine Affäre mit ihrem Arbeitgeber verwickelt gewesen. "Ich habe keine Ahnung, was sich geändert haben soll", beteuerte sie, "es ist hart, ich habe wirklich damit zu kämpfen. Es ist nicht fair und auch nicht rechtens."

Die 21 Jahre jüngere Assistentin habe ihren Chef als Vaterfigur angesehen und sei niemals an einer sexuellen Beziehung interessiert gewesen, sagte ihre Anwältin Paige Fiedler. Auch wurde Melissa Nelson während des Prozesses kein Flirtverhalten vorgeworfen. Das hatte in einem ähnlichen Fall vor Gericht noch die Kündigung einer Angestellten gerechtfertigt – sie wurde von der Ehefrau eines Unternehmers als Gefahr für ihre Ehe angesehen.

Nach Ansicht des Richters Edward Mansfield vom Supreme Court von Iowa steht die Entscheidung im Einklang mit der Rechtsprechung in dem Bundesstaat und den USA, derzufolge Angestellte entlassen werden dürften, wenn sie Beziehungen eingehen, die Eifersucht und Spannungen in einem Betrieb verursachen können.

"Sehr religiöser und moralischer Mensch"

Offenbar hatte die Gattin des Arztes einen gewissen Anteil an der Entlassung: Da sie auch in der Praxis arbeitete, bekam sie E-Mails zu lesen, die ihr Mann und Nelson austauschten. Zwar ging es darin wohl nur um harmlose persönliche Dinge, zum Beispiel Mitteilungen über ihre Familien. Die Ehefrau verlangte dennoch die Entlassung der Assistentin. Das Ehepaar Knight konsultierte sogar noch einen Pfarrer, der ebenfalls zur Entlassung der Helferin riet. Also handelte Knight: Er kündigte der Arzthelferin und zahlte ihr ein Monatsgehalt als Abfindung.

Nelson klagte auf Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts und argumentierte, sei wäre nicht entlassen worden, wenn sie ein Mann wäre. Sie verzichtete allerdings darauf, den Arzt wegen sexueller Belästigung zu verklagen, da dessen Verhalten keinen beleidigenden Grad erreicht hätte, erklärte ihre Anwältin.

Was den Fall so spektakulär macht, ist die Tatsache, dass die Klägerin sich überhaupt nichts zuschulden kommen ließ, wie auch der Verteidiger des Zahnarztes, Stuart Cochrane, anerkannte. Das Motiv für die Entlassung sei vielmehr gewesen, dass James Knight, der ein sehr religiöser und moralischer Mensch sei, seine Ehe habe retten wollen.

Er habe ein Familienmitglied gegenüber einer Angestellten bevorzugt, indem er den Wunsch seiner Frau, dass Nelson gefeuert werde, "respektiert" habe. Das Urteil sei ein Triumph für die "Familienwerte", sagte Cochrane. Es ermögliche künftig auch anderen Arbeitgebern, Angestellte zu entlassen, um ihre Ehe zu bewahren.

Die Anwältin der Klägerin, Paige Fiedler, kritisierte, das Gericht habe die alltägliche Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz nicht berücksichtigt. "Diese Richter senden eine Botschaft an die Frauen in Iowa: Sie glauben nicht, dass Männer für ihre sexuellen Begierden verantwortlich sind. Sie meinen, dass die Frauen in Iowa auf der Hut sein und ihre Chefs beobachten und kontrollieren sollen. Wenn die Männer nämlich außer Kontrolle geraten, können die Frauen legal gefeuert werden."  

Dieser Text ist zuerst bei Zeit Online erschienen

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