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An dieser Ecke entstand einst Toronto, hinter dem Gebäude liegt der Berczy-Park.

© Lars von Törne

„German Walk“ in Toronto: Schwarz-Rot-Gold am Ontariosee

Die heutige Multikulti-Vorzeigestadt Toronto wurde einst von Deutschen mitgegründet und geprägt. Daran erinnert jetzt ein geführter Spaziergang durch die kanadische Metropole - auf den Spuren von Abenteurern, Architekten und Marlene Dietrich.

Er war Künstler, Weltenbummler, Menschenschmuggler – und gehörte zu den Gründervätern einer der größten Städte Nordamerikas. Unter den vielen Abenteurern, die es vor rund 200 Jahren in der Pionierzeit nach Nordamerika verschlug, hatte William Berczy einen besonders schillernden Lebenslauf. Der gebürtige Schwabe, der eigentlich Johann Albrecht Ulrich Moll hieß, hinterließ in der Neuen Welt Spuren, die man bis heute finden kann. Jetzt erinnert in der kanadischen Metropole Toronto ein geführter Stadtspaziergang an seine Verdienste und an die zahlreicher anderer Deutscher, die die Stadt geprägt haben.

„Berczy war eine mysteriöse Figur, bis heute ist über sein Leben nicht viel bekannt“, sagt Stadtführer Bruce Bell beim Spaziergang durch die von Wolkenkratzern dominierte Innenstadt Torontos. Alle paar Wochen führt der schauspielerisch begabte Historiker Besuchergruppen durch diese Straßen, um auf die Verdienste deutscher Einwanderer in dieser boomenden Stadt hinzuweisen, die als die kanadische Version New Yorks gilt.

Die längste Straße der Welt

Der „German Walk“, den deutsche Konsulat in Toronto zusammen mit dem örtlichen Goethe-Institut organisiert hat, beginnt an einem kleinen Park im Schatten der Bank-Hochhäuser rund um die Yonge Street. Die gilt als längste Straße der Welt und führt fast 2000 Kilometer weit in den hohen Norden Ontarios. „Die ersten Kilometer haben damals Berczy und seine Leute verlegt“, erzählt Bell. Auch deswegen hat die Stadtverwaltung die Grünfläche, in der Anwohner ihre Hunde Gassi führen und Bankangestellte eine Kaffeepause machen, vor einigen Jahren in Berczy-Park umbenannt.

Als Berczy, ein abenteuerlustiger Diplomatensohn mit künstlerischer Ausbildung, vor rund 220 Jahren mit einem gecharterten Schiff und 54 deutschen Auswandererfamilien hier eintraf, war dieser Flecken kaum mehr als eine Wald- und Graslandschaft am Ontariosee mit einem kleinen Holz-Fort, das als Zwischenstation für den Handel mit Biberpelzen fungierte. Indianer, deren Vorfahren seit gut 1000 Jahren in der Region lebten, nutzten die Gegend hin und wieder als Ausgangspunkt zum Fischfang, erzählt Bell.

„Der britische Gouverneur versprach Berczy und seinen Begleitern ein großes Stück Land, wenn sie im Gegenzug eine Straße vom Ontariosee nach Norden bauen“, sagt Bell, während er die mit schwarzrot-goldenen Fähnchen ausgestatteten Teilnehmer des Rundgangs an der Yonge Street entlangführt. Also begannen die Deutschen, die Bäume zu fällen, um die Straßen mit Planken zu befestigen. Sie errichteten zudem die ersten ordentlichen Wohnhäuser der Stadt, ein Gefängnis, eine Kirche und erste Geschäftshäuser.

Auf Tuchfühlung mit Marlene Dietrich

Berczy und seine Mitstreiter waren die Ersten in einer langen Reihe von Deutschen, die die spätere Multikulti-Metropole prägten, wie Bruce Bell den rund 20 Teilnehmern seiner Stadtwanderung in den nächsten Stunden erklärt. Der Architekt William Kauffman zum Beispiel entwarf Banken, Freimaurertempel und etliche andere Gebäude, die im 19. Jahrhundert das schnell wachsende Toronto zu einer modernen nordamerikanischen Großstadt machten. Gut hundert Jahre später drückte Ludwig Mies van der Rohe, der 1938 aus Deutschland in die USA ausgewandert war, der Stadt seinen Stempel auf: Mit dem 1969 eröffneten Toronto-Dominion Centre entwarf er einen gigantischen Gebäudekomplex aus sechs schwarzen Hochhäusern, in dem mehr als 20.000 Mitarbeiter von Banken und Dienstleistern arbeiten - heute eines der architektonischen Wahrzeichen der Innenstadt Torontos.

Als Stadtführer Bell mit seiner Gruppe zwischen diesen imposanten Banktürmen steht, lenkt er die Aufmerksamkeit auf ein schlossartiges Gebäude aus den 1920er Jahren, das für ihn mit einer ganz persönlichen Deutschland-Anekdote verbunden ist: "Dort hinten im Royal York Hotel habe ich als junger Mann in den 70er Jahren als Aushilfe gearbeitet", sagt er. "Eines Tages war Marlene Dietrich in der Stadt - und mein Job war es, ihr den Wodka aufs Zimmer zu bringen." Die Schauspielerin und Sängerin sei "die freundlichste Frau auf der Welt gewesen", erinnert sich Bell - "aber nur, solange man sie privat erlebte - sobald sie die Marlene-Dietrich-Maske anlegte, war sie unnahbar und alles andere als nett".

Sven Pinczewski (links) aus Deutschland und sein Freund Andrew Nolan nehmen an der Tour teil.
Sven Pinczewski (links) aus Deutschland und sein Freund Andrew Nolan nehmen an der Tour teil.

© Lars von Törne

Auch Alteingesessene erfahren Neues

Ein paar Straßenzüge weiter erreicht die Gruppe das Eaton Centre, ein vierstöckiges Einkaufszentrum mit mehr als 200 Läden und Restaurants, das in den 70er Jahren eröffnet wurde und damals als einer der größten Komplexe seiner Art galt. „Das hat der Architekt Eberhard Zeidler entworfen“, erläutert Stadtführer Bell, „ein Bauhaus-Schüler, der in den 50er Jahren nach Kanada auswanderte“. Ebenso wie den gläsernen Wolkenkratzer eine Ecke weiter, der mit der nadelförmig zulaufenden Spitze zwischen den Banktürmen herausragt: Der Trump Tower, mit knapp 300 Metern das höchste bewohnte Gebäude Kanadas.

So geht es fast drei Stunden lang kreuz und quer durch die Innenstadt am Ufer des Ontariosees. Die Teilnehmer sind beeindruckt. „Ich kenne Toronto eigentlich in- und auswendig, und doch habe ich durch diese Tour viel Neues über meine Stadt erfahren“, sagt zum Beispiel Matthew Douglas, ein kanadischer Highschool-Lehrer, der vor einigen Jahren eine Zeit lang in Deutschland lebte. Sven Pinczewski geht es ähnlich. „Ich hätte nicht gedacht“, sagt der 39-Jährige, der aus Baden-Württemberg stammt und seit kurzem in Toronto lebt, „wie viele Deutsche ihren Beitrag zur Entwicklung dieser Stadt geleistet haben.“ Der Übersetzer und Redakteur hat mit seinem australischen Freund Andrew Nolan an der Stadtführung teilgenommen. Auch der zeigt sich erstaunt, wie wichtig die Deutschen für die Stadt waren: "Im Gegensatz zu vielen anderen Einwanderern sind sie hier in Kanada als Gruppe sonst eher unsichtbar."

Der „German Walk“ wird in unregelmäßigen Abständen vom Deutschen Konsulat in Toronto und dem Goethe-Institut angeboten. Man kann ihn auch auf eigene Faust unternehmen, sogar virtuell am Computer. Hier gibt es alle Informationen: www.canada.diplo.de/germanwalk

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