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Zeichen der Trauer am Flughafen Düsseldorf.

© Wolfgang Rattay/Reuters

Germanwings-Absturz: Auch Eltern von Tätern haben ein Recht auf Trauer

Wer kümmert sich um die Eltern von Andreas Lubitz? Kaum einer. Dabei haben vor allem sie das Recht auf Trauer, findet Harald Martenstein. Und wünscht sich, dass der Bundespräsident sie besucht.

Wie wird es an den Feiertagen den Eltern von Andreas Lubitz gehen, dem Kopiloten? Ich finde, von allen, die beim Absturz der Germanwings-Maschine Angehörige verloren haben, tragen sie die schwerste Last. Ihr Kind haben sie vermutlich genauso geliebt wie andere Eltern ihre Kinder lieben. Sie tragen vermutlich keine Schuld an dem, was ihr Sohn getan hat. Ob Lubitz überhaupt zurechnungsfähig war, oder halb zurechnungsfähig, oder heillos verwirrt, wird man wahrscheinlich nie erfahren.

Nun hat man nicht nur den Sohn verloren, sondern auch das, was nach dem Tod übrigbleibt, die Erinnerung. Vor jedes Foto, vor jedes Bild aus der Kindheit des Sohnes, das im Kopf aufleuchtet, wird sich der Schatten dieses Endes schieben. Und der Schatten der Tat, deren Details man nicht kennt, liegt jetzt auch auf ihnen. Sie können nichts dagegen tun. Wer tröstet sie? Mit wem können sie über ihren Verlust sprechen? Welcher Bundespräsident nimmt sie in den Arm?

In einer der Geschichten über Montabaur, die Heimatstadt des Kopiloten, ist vom "sozialen Tod" die Rede, die dessen Familie gerade erleidet. Sogar Leute, die nur zufällig den gleichen Namen tragen, werden maßlos beschimpft. Auf der anderen Seite haben Fliegerkameraden einen Trauermarsch für den Kopiloten veranstaltet. Wird man zum Komplizen, wenn man um jemanden trauert, der so etwas getan hat? Nein. Auch ein Verbrecher ist ein Mensch. Ein Kranker ist es erst recht. Denn wir wissen ja nicht einmal, ob der Mann überhaupt ein Verbrecher war oder einer, der nicht begreifen konnte, was er tut. Das Recht auf Trauer haben vor allem die Eltern. Sicher, das Band zwischen Eltern und Kindern ist nicht unzerreißbar. Manchmal geschieht etwas, das eine Seite der anderen nicht verzeihen kann. Aber die Entscheidung darüber treffen ganz allein die Beteiligten. Die anderen geht das nichts an.

Schuld ist immer etwas Individuelles. Schuld entsteht durch die Tat einer Person, manchmal auch dadurch, dass eine Person etwas unterlässt, eine Hilfeleistung zum Beispiel. Schuld ist immer das Ergebnis einer bewussten Entscheidung – deshalb werden Menschen nicht bestraft, die zu einer bewussten Entscheidung nicht in der Lage sind. Völker, Menschengruppen oder Familien können niemals als Ganzes schuldig sein. Wer Muslim ist, trägt keine Schuld an den Verbrechen anderer Muslime. Selbstverständlich gibt es auch Mitverantwortung – der Vater, der sein Kind prügelt, trägt eine Verantwortung für dessen Verrohung, der Hassprediger trägt Verantwortung für das, was aus seinen Worten entsteht. Aber auch diese Mitschuld ist individuell, sie betrifft immer nur diese Person.

Kürzlich hörte ich den Satz: "Wenn Gauck wirklich Mut hat, dann besucht er die Eltern des Kopiloten."

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