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Geschlechterunterschiede: Frauen lieben noch mehr, Männer bleiben, wie sie sind

Je mehr Gleichberechtigung herrscht, umso mehr unterscheiden sich die Geschlechter in ihrer Gefühlsintensität – sagt eine Studie.

Die Liebe birgt viele Überraschungen. Das scheint auch für die Liebesforschung zu gelten. So war der Psychologe David Schmitt von der Bradley-Universität im amerikanischen Illinois selbst höchst verwundert über das Ergebnis einer Studie, mit der er den Liebesgefühlen von Menschen in aller Welt auf die Spur kommen wollte. Je besser es mit der Gleichstellung von Mann und Frau in einem Land im Alltag klappt, desto größer sind dort zwischen den Geschlechtern die Unterschiede in der Intensität ihrer Liebesempfindungen, so hat der Psychologieprofessor herausgefunden. In der Schweiz, die nach den Kriterien der Vereinten Nationen zu den zehn Nationen gehört, in denen Frauen und Männer sich die politische und wirtschaftliche Macht am gerechtesten teilen, ist der Unterschied beim „emotionalen Investment“ in die Paarbeziehung besonders eklatant, in den USA und in Deutschland ist die Lage allerdings ähnlich.

Was viele weniger erstaunen mag: Es sind fast überall auf der Welt die Frauen, die besonders viel Gefühl investieren. Nur indonesische und malaysische Männer empfinden laut Test stärkere Liebe als ihre Mitbürgerinnen, nur in Bolivien kamen für beide Geschlechter gleiche Werte heraus. Aber praktisch überall auf der Welt sagen deutlich mehr Frauen als Männer, sie seien „gerade in diesem Moment verliebt“. Hat also immer noch Friedrich Nietzsche Recht? Der stellte in der Mitte des 19. Jahrhunderts in seiner „Fröhlichen Wissenschaft“ ganz ungeniert fest: „Was das Weib unter Liebe versteht, ist klar genug: Vollkommene Hingabe mit Seele und Leib, ohne jede Rücksicht, jeden Vorbehalt.“ Die amerikanische Psychotherapeutin Robin Norwood legte Ende des 20. Jahrhunderts in einem Longseller mit dem schon sprichwörtlichen Titel „Wenn Frauen zu sehr lieben“ eindrücklich die Gefahren einer Liebe dar, die an Selbstaufgabe grenzt. Anders als Nietzsche und Norwood haben David Schmitt und sein internationales Team für ihre Studie, die im Rahmen des „International Sexuality Description Project“ lief und im Journal of Research in Personality veröffentlicht wurde, 15 234 Menschen aus 48 Nationen einen neunseitigen, mit Fragen aus mehreren anerkannten Tests gespickten Fragebogen zu Persönlichkeit, Lebensumständen, sexueller Orientierung und Liebesempfinden vorgelegt. Dabei haben sie über die Liebe auch Dinge herausgefunden, die sie weniger verblüffen als das emotionale Gefälle zwischen emanzipierten Erwachsenen beiderlei Geschlechts. Zum Beispiel, dass extrovertierte, selbstsichere, gesellige und hilfsbereite Menschen von intensiveren Liebesgefühlen berichten als kontaktscheue und psychisch instabile Vergleichspersonen. Vor allem aber konnten sie die Vermutung bestätigen, dass hingebungsvolle, „romantische“ Liebe weit stärker in den Ländern empfunden wird, die nicht von Krisen, Umbrüchen, mangelnden Bildungschancen und materieller Not gebeutelt sind. Liebesgefühle sind offensichtlich Pflänzchen, die in der Geborgenheit der Wohlfahrtstaaten besser gedeihen. Die Erklärung dafür suchen die Psychologen in der Kindheit: Wer schon früh sichere und ungestörte Bindungen zu wichtigen Bezugspersonen erlebt hat, kann als Erwachsener selbst mehr Liebe empfinden und schenken.

Doch wie soll man sich dann erklären, dass die Frauen in den privilegierten Ländern dieser Erde später mehr in ihre Paarbeziehung zu investieren scheinen? Was Länder wie Deutschland betrifft, so hält die Untersuchung bei Licht besehen eine frohe Botschaft bereit: „Es scheint so zu sein, dass mehr Gleichheit zwischen den Geschlechtern bei Männern wie Frauen zu größerem emotionalem Investment führt“, schreibt Schmitt, „nur ist dieser Effekt bei den Frauen noch stärker“. Der Unterschied stellt sich deshalb sozusagen auf hohem Niveau ein. „Der Liebescode ist in den entwickelten, individualistischen Ländern für alle Menschen ausgesprochen wichtig“, bestätigt der Kultursoziologe Günter Burkart von der Uni Lüneburg, der seit Jahren ebenfalls zum Thema Geschlecht und Liebe forscht. „Die Studie deutet darauf hin, dass die Paarbeziehung im Leben der Frauen weiterhin eine größere Bedeutung hat, vielleicht auch wirtschaftlich.“

Vorsichtshalber sollte man aber nicht vergessen, dass die Studie sich auf Selbstaussagen der Teilnehmer stützt. Die unterschiedlichen Antworten haben also auch mit deren Selbstbild zu tun. In modernen, westlichen Gesellschaften liege es derzeit im Trend, Geschlechterunterschiede besonders zu betonen, gibt Burkart zu bedenken. Die liebevolle, eine tiefe emotionale Bindung suchende Frau, der auf schnellen Sex mit wechselnden Partnerinnen orientierte Mann – das lässt sich evolutionsbiologisch untermauern. Dabei könnte es allerdings sein, dass die Geschlechter ausgerechnet durch die gesellschaftliche Gleichstellung heute dazu getrieben werden, kleine Differenzen zu großen aufzubauschen. „In Gesellschaften, in denen Männer und Frauen frei sind, verschiedene soziale Rollen zu übernehmen, neigen sie dazu, sich mit beiden Geschlechtern zu vergleichen, und dann fallen Unterschiede mehr auf“, so lautet Schmitts Erklärung für das Phänomen.

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