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Panorama: Geschmack von Wasser

Sir Wilfred Thesiger war der erste moderne Abenteurer – er starb mit 93 Jahren

Sein Gesicht schien gemeißelt aus Granit, zerfurcht und voller Falten. Die hohe Stirn, die Hakennase, der Adlerblick, so sieht ein Abenteurer aus. Und der war er. Wilfred Thesiger ist gestorben, im Alter von 93 Jahren. „Der letzte große Entdeckungsreisende ist tot“, schrieben englische Zeitungen. Er starb in einem Krankenhausbett. Lieber wäre er in der Wüste gestorben, die er so geliebt hat, im Kampf mit der Natur.

„Während der fünf Jahre meines Aufenthaltes im Sudan schoss ich siebzig Löwen“, schrieb Thesiger in einem seiner Bücher, und als er 1946 die Rub al-Khali durchquerte, das „Leere Viertel“, die riesige und damals völlig unerforschte Sandwüste im Süden Saudi-Arabiens, auch da wäre er mehrmals fast verhungert und verdurstet.

Er genoss es. „Ein Telefon hätte die ganze Reise ruiniert“, schrieb er. Mit einem Telefon hätte man Hilfe holen können. Thesiger aber reiste mit vollem Risiko, nach Art der Beduinen, aß, fror, schwitzte, hungerte, litt wie sie, nein, mehr als sie, denn sie kannten dieses Leben. Immer hoffend auf das nächste Wasserloch, das über Leben oder Tod entscheiden würde. Der Kampf gegen die Elemente als inneres Erlebnis.

Das hat Thesiger berühmt gemacht. Er war der erste der neuen Abenteurer, die ihre Grenzen in der Natur suchten und darüber schrieben. In Deutschland ist er nicht so berühmt wie Reinhold Messner, in England aber und in den USA hat man ihn verehrt.

Zuletzt lebte er zurückgezogen, bis 1994 wohnte er bei einem Stamm in Kenia, ab da in einem Altersheim bei London. Er hatte den Ruhm nicht gesucht. Ein Bekannter drängte ihn einst, von seinen Reisen zu berichten. So setzte er sich hin und notierte, was er erlebt hatte. 1959 erschien „Die Brunnen der Wüste“. Es wurde sogleich ein Bestseller.

Nicht, dass seine Reise einzigartig gewesen wäre. Aber einzigartig war die Art, wie Thesiger sie beschrieb, in dürren, harten, einfachen, poetischen Sätzen. Thesiger hasste Autos und Flugzeuge, weil sie dem einfachen Leben den Garaus machten, er lobte die Askese, das harte Leben. Ein Romantiker, ein früher Feind der Globalisierung, ein großer Primitiver, der eine kristalline Prosa schrieb. Ein Klassiker für große Jungs in jedem Alter, in denen die Sehnsucht rumort nach Fremdheit, Gefahr, Bewährung.

Ein Satz ist wieder und wieder zitiert worden. Er lautet: „Nun hatte ich das „Leere Viertel“ durchquert. Für andere war meine Reise ohne besonderen Wert. Ihr einziges Resultat wäre wohl eine ziemlich ungenaue Karte, die kaum jemals ein anderer benutzen würde. Es war ein ganz persönliches Erlebnis, und der Lohn war am Ende ein Schluck reinen, beinahe geschmacklosen Wassers gewesen. Mir genügte das.“

Als er 1946 in die gigantische Einöde des „Leeren Viertels“ aufbrach, reiste er mit dem Auftrag, nach der Herkunft der riesigen Heuschreckenschwärme zu suchen, die Nordafrika verwüsteten. Er sollte forschen. Einerseits. Doch andererseits wollte er seine Grenzen kennen lernen, der Zivilisation entfliehen, wünschte sich „Farbe und Wildheit, Entbehrung und Abenteuer“.

Und verwies damit auf jene Abenteurer, die heute zu Hunderten um die Welt ziehen, die Rüdiger Nehbergs, Reinhold Messners oder Arved Fuchs’, Umhergetriebene, die nach immer neuen Prüfungen suchen müssen im Angesicht einer durcherforschten, bekannten und kartierten Welt. Denen es nicht um die Erkenntnis der Welt, sondern die egomanische Prüfung des Selbst geht. Und dabei Sponsorenlogos durch die Welt tragen.

Kurz, nachdem er 1950 das Leere Viertel verließ, begann dort der Öl-Boom, und die Nomaden, mit denen er einst gereist war, verkauften ihre Kamele und stiegen auf Geländewagen um.

Thesiger wurde 1910 als Sohn eines englischen Kolonialbeamten in Äthiopien geboren, studierte in Eton, kehrte dann zurück nach Nordafrika. Von 1950 bis 1958 lebte er bei Sumpfnomaden im Irak, im Mündungsgebiet von Euphrat und Tigris.

In einem hat Thesiger geirrt. Einziges Resultat seiner Reise durch das „Leere Viertel“, so schrieb er, war „eine ziemlich ungenaue Karte, die kaum jemals ein anderer benutzen würde.“ Sie wurde sehr wohl benutzt. Die Ingenieure der Ölfirmen, die in die Wüste vordrangen, holten sie hervor. Thesiger verherrlichte das Leben der Nomaden – und webte, ohne es zu wollen, mit an ihrem Untergang.

Ariel Hauptmeier

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