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Gesundheit: Abiturienten unter der Lupe

Bald dürfen sich die Unis viel mehr Bewerber in Gesprächen aussuchen. Was kommt auf die Kandidaten zu?

Ein Morgen während der Semesterferien an der Freien Universität Berlin. Vor einer grauen Tür im dritten Stock des Gebäudes der Wirtschaftswissenschaftler, sitzt, ganz am Ende des langen Traktes, nervös und mit übereinander geschlagenen Beinen, Saskia Herweg, und wartet. Auf einem kleinen Zettel steht: „Auswahlgespräche – bitte nicht stören!“. 20 von 120 zukünftigen Studentinnen und Studenten der Hochschule werden für das Sommersemester 2004 durch Auswahlgespräche ermittelt. Ungefähr dreimal so viele wurden in den letzten Tagen in den flachen Bau an der Garystrasse eingeladen.

Die 21-Jährige Saskia Herweg ist Pionierin. Bislang dürfen die Unis sich zwar 24 Prozent der Bewerber in Numerus clausus (NC-)-Fächern selbst aussuchen, aber die wenigsten machen sich die Mühe, Auswahlgespräche zu führen. Nur wenige Universitäten wählen Mediziner im Gespräch aus, so ist es auch in Berlin. Mit den Auswahlgesprächen der BWL steht die FU bundesweit allein da. Das wird sich wohl bald ändern. Unlängst hat der Wissenschaftsrat vorgeschlagen, dass die Hochschulen sich künftig alle Studierenden in NC-Fächern selbst aussuchen können sollen. Die Abiturnoten seien im bundesweiten Vergleich nur bedingt vergleichbar und erlaubten auch keine zuverlässige Prognose über den Studienerfolg.

Gemischte Gefühle

Zwar soll die Abiturnote weiter eine wichtige Rolle spielen. Doch bald werden sich trotzdem viel mehr Abiturienten einen Studienplatz im Auswahlgespräch ergattern als jetzt. Was kommt dann auf sie zu? Saskia Herweg betritt den kleinen Seminarraum mit gemischten Gefühlen. 20 Minuten muss sie den zwei Professoren gegenübersitzen. Zuerst fragen sie nach ihrer Motivation für ihr Studium, danach soll sie begründen, warum sie ausgerechnet an der FU studieren will und wie sie sich ihr Studium einteilen würde. Dann testen die Professoren ihr wirtschaftliches und politisches Allgemeinwissen. „Wie heißt der deutsche Wirtschaftsminister?“ „Was sind gerade die großen politischen und wirtschaftlichen Themen in den Medien?“ fragen sie. Und: „Was wären die Vor- und Nachteile, wenn der Bundespräsident direkt vom Volk gewählt würde?“ Schließlich muss Saskia Herweg Mathematikaufgaben lösen: Einmal muss sie Prozente ausrechnen, einmal die Mehrwertsteuer. Als sie vor Aufregung ein Blackout bekommt, helfen ihr die Professoren.

„Ein guter persönlicher Eindruck ist wichtig", sagt Georg Schreyögg, Dekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der FU. Aber ist ein „Eindruck“ wirklich zuverlässiger als die Abiturnote? Kritiker befürchten, die Professoren würden sich bei der Auswahl letztlich von ihren Gefühlen leiten lassen. Dabei würden diejenigen Kandidaten bevorzugt werden, in denen sich die Wissenschaftler am ehesten spiegeln – also Bewerber aus Familien mit akademischem Hintergrund – und Zurückhaltende oder Querdenker leicht durchfallen.

„Eine Evaluation gibt es nicht“, gesteht Georg Schreyögg. Aber schlaflose Nächte bereite ihm das nicht. Die Vorentscheidung werde schließlich nach den Abiturzensuren getroffen. Damit die Auswahl juristisch unanfechtbar ist, wird ein strenger Fragenkatalog befolgt. Ein Kollege, der Erfahrung mit Auswahlgesprächen an amerikanischen Hochschulen hat, hat den Betriebswirten der FU dabei geholfen, die Gesprächsführung auszuarbeiten. Ein hoch motivierter, praktisch kluger und sozial kompetenter Abiturient – das ist das perfekte Paket für die Hochschulen. Aber entstehen praktische Klugheit und die Fähigkeit zum Selbst-Management nicht erst im Verlauf des Studiums? „Man muss mit dem Bewerber arbeiten können“, stellt Georg Schreyögg klar. „Lässt er sich darauf ein, wenn man ihm Hilfestellung anbietet? Kann er ein Problem logisch zu Ende denken?“ Ein Kandidat, der sich nicht zu helfen weiß, wird bald die Lust am Studium verlieren, meint Schreyögg. Die Auswahlgespräche seien eine „Hundsarbeit“: Doch wer die Studierenden kennen lerne und ihre Motive einstufe, schaffe es vielleicht, die hohe Abbrecherquote zu senken.

„Ein Risiko bleibt“

„Da ist natürlich immer ein Restrisiko drin, weil Auswahlgespräche immer subjektiv sind“, gesteht Joachim Weber aus dem Referat für Rechtsangelegenheiten der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Aber das Risiko könne minimiert werden. Die HRK plädiert für methodisch abgesicherte Verfahren. Dass bald alle Studierenden in NC-Fächern ins Auswahlgespräch gehen, ist jedoch unwahrscheinlich: Anders als an amerikanischen Hochschulen, die dafür eigene Abteilungen haben, müssten in Deutschland die Professoren diese Aufgabe übernehmen – und wären davon völlig überfordert.

Um 14:30 Uhr ist es auf dem Campus genauso ruhig wie am Morgen. In der Zwischenzeit aber hat man Entscheidungen über zehn Bewerber getroffen. „Ich fand’s ne faire Angelegenheit“, fasst Saskia Herweg zusammen. „Es werden Leute herausgefiltert, die mit Ehrgeiz an die Sache rangehen und auch eine Chance haben es zu schaffen. Aber man sollte nicht nur Mathe-Cracks ranlassen.“ Sie fühlt sich erleichtert: „Man muss eben ein gutes Rundum-Bild abliefern.“

Kathrin Schäfer

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