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Gesundheit: Ärztekongress: Wenn Gene das Essen versalzen

Bei einem 55jährigen Patienten misst der Hausarzt einen Blutdruck von 180 zu 105: Eindeutig zu hoch. Welches der Medikamente, die auf dem Markt sind, wird ihm helfen?

Bei einem 55jährigen Patienten misst der Hausarzt einen Blutdruck von 180 zu 105: Eindeutig zu hoch. Welches der Medikamente, die auf dem Markt sind, wird ihm helfen? Und in welcher Dosis?

Neben Informationen über Begleiterkrankungen und über die Verträglichkeit der Präparate, neben Leitlinien der Fachgesellschaften und seiner eigenen Erfahrung wird in Zukunft die Genforschung dem Mediziner bei der Entscheidung helfen können. Genauer: Die Pharmakogenetik, deren Ziel es ist, genetische Erkenntnisse zu nutzen, um zu einer möglichst maßgeschneiderten Therapie für den einzelnen "Fall" zu kommen. Denn die Gene haben einen Einfluss darauf, wie der Einzelne auf Medikamente reagiert.

Bei einem Test, der mit einer geringen Menge Blut oder Körperflüssigkeit erfolgen kann, könnte sich zum Beispiel zeigen, dass bei dem Hochdruckpatienten das Gen für den Stoff Alpha-Adducin auf dem Chromosom vier verändert ist. Das kann den Blutdruck, aber auch die Behandlung beeinflussen. Die genetische Variante macht den Patienten besonders empfindlich für Salz und für bestimmte Hochdruck-Medikamente.

Das Beispiel nannte Martin Paul, Dekan des Fachbereichs Humanmedizin der Freien Universität, in seinem Festvortrag zum Thema "Gendiagnostik und -therapie in der praktischen Medizin: Fluch oder Segen?" zur Eröffnung des 50. Deutschen Ärztekongresses am Mittwoch. Es hat viel mit seiner eigenen Arbeit zu tun, denn der Klinische Pharmakologe ist Sprecher des Berliner Schwerpunkts Hochdruckforschung, an dem neben dem Klinikum Benjamin Franklin auch Charité und das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin beteiligt sind. Mit fünf bis acht Millionen Mark aus UMTS-Mitteln unterstützt das Forschungsministerium in den nächsten Jahren die Untersuchungen. Den Schwerpunkt der Forschung wird der Vergleich von Genen und ihren Funktionen bei Tier und Mensch sein.

Gentherapie im weiteren Sinn betreibt jeder Arzt seit Jahren täglich, wie Paul betonte: Indem er Medikamente verordnet, die das Ablesen von DNS verändern, also auf die Art der Umsetzung von Erbinformationen im Körper einwirken. Gezielte Gentherapie allerdings, etwa durch Einschleusen von Genen mit Hilfe von Viren, war bisher kaum erfolgreich.

Dafür spielt die Diagnostik genetischer Besonderheiten schon heute eine wichtige Rolle. Versicherungsgesellschaften und Arbeitgeber interessieren sich für das Genom ihrer Kunden und Angestellten, in den USA wie üblich früher und deutlicher als hierzulande: "Der gläserne Patient steht nicht vor der Tür, sondern schon im Raum." Der Informationsbedarf medizinischer Laien zielt nach Pauls Beobachtung aber weniger auf das schon Mögliche, sondern eher auf die Themen, zu denen weit weniger Ergebnisse vorliegen - und die zudem umstritten sind: Eingriffe in die Keimbahn, Klonierungsverfahren, Stammzell-Therapie.

Der Erkenntnisgewinn, den die Entzifferung des menschlichen Genoms mit sich brachte, hat nach Pauls Einschätzung eine neue Ära der Medizin eingeleitet: "Wir stehen erst am Anfang eines Projekts, das uns in den nächsten Jahren auch in der Praxis in erheblichem Maß beschäftigen wird." Der Festredner schrieb seinen Kollegen ins Stammbuch, sich mit den Perspektiven, die sich daraus ergeben, zu befassen: "Wir dürfen das nicht den Fondsmanagern, aber auch nicht den Politikern allein überlassen."

Mit dieser Forderung an die Ärzte erwies sich der Vortrag als zukunftsweisender Auftakt des traditionsreichen Kongresses, der dieses Jahr erstmalig in Zusammenarbeit mit der Ärztekammer Berlin stattfindet. Deren Präsident Günther Jonitz hatte in seinem Grußwort zuvor schon verdeutlicht, dass der Beruf des Arztes einige Möglichkeiten in sich birgt. "Ich beneide Sie! Das ist doch ein schöner Beruf!" habe Ex-Gesundheitsminister Horst Seehofer zu ihm gesagt.

Adelheid Müller-Lissner

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