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Gesundheit: Afrika: Des Kaisers Beute

"Dar es Salaam" heißt übersetzt so viel wie Tor des Friedens. Wie ein Kropf steckt die größte Hafenstadt Tansanias an der Küste des Indischen Ozeans, im südöstlichen Afrika.

"Dar es Salaam" heißt übersetzt so viel wie Tor des Friedens. Wie ein Kropf steckt die größte Hafenstadt Tansanias an der Küste des Indischen Ozeans, im südöstlichen Afrika. In den engen Gassen sammelt sich der Unrat. Müll klatscht auch auf die Strände und die langen Kais. Schon seit Jahrhunderten liegt die Stadt im Schatten von Sansibar, der malerischen Insel vor der Küste - einst der größte Umschlagplatz der Araber für Gewürze und Sklaven.

Nur wenige Jahrzehnte erlebte Dar es Salaam eine Blüte: Etwa Mitte des 18. Jahrhunderts kamen die Deutschen und bauten den Ort zu ihrem wichtigsten Stützpunkt in Ostafrika aus. Sansibar dagegen erschien ihnen wertlos: 1890 trat es der Kaiser an die Briten ab (im Tausch erhielt er Helgoland, fortan die wichtigste strategische Festung vor der deutschen Nordseeküste). Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges fluteten über Dar es Salaam unzählige deutsche Missionare, Kolonialbeamte und Reisende ins Land. Deutsch-Ostafrika erstreckte sich über das heutige Tansania bis nach Ruanda.

Verpackte Massai-Skelette

In der Gegenrichtung brachten die Schiffe der Woermann-Linie ganze Ladungen voller exotischer Gegenstände ins kaiserliche Deutschland. So lieferte 1901 ein gewisser Oberleutnant Merker "drei Massai-Skelette aus Moshi über Dar-es-Salaam" an Professor Felix von Luschan in Berlin, gut verpackt in groben Kisten.

Luschan leitete damals das Kaiserliche Museum für Völkerkunde in Berlin. Zahlreiche Stücke der afrikanischen Sammlung, die heute noch im Ethnologischen Museum in Dahlem zu sehen sind, stammen aus den früheren deutschen Kolonialgebieten: Neben Tansania vor allem aus Kamerun, Togo und Deutsch-Südwest-Afrika, dem heutigen Namibia.

Doch die Kolonisten schickten nicht nur handfeste Objekte von wissenschaftlichem oder künstlerischem Wert. Jahrzehntelang sammelte das Ethnologische Museum auch ihre Tagebücher, Aufzeichnungen, Skizzen, Aquarelle und historische Fotografien, meist noch auf Glasplatten. "Diese Archivalien sind fast alle kurz vor Kriegsende verbrannt", sagt Christine Stelzig, Ethnologin und Historikerin am Museum. "Sie waren wegen der Bombenangriffe in den Keller des Alten Museums in der Königgrätzer Straße ausgelagert worden. Ausgerechnet der Keller mit diesen Papierstapeln wurde von einer Brandbombe getroffen."

Auch die berühmte Perlensammlung von Paul Staudinger schmolz in der Phosphorhitze. Nur die so genannten Erwerbungsakten, rund 120 armdicke Bände, blieben verschont. Christine Stelzig wälzt sich seit drei Jahren durch die Bücher und versucht, die handschriftlichen Tabellen und Korrespondenzen zu erfassen. Das Projekt wird von der Volkswagen-Stiftung gefördert. Die Afrika-Abteilung des Museums hat rund 72 000 Objekte in ihren Magazinen, manche Spur verliert sich im Dunkeln.

Manchmal erzählen die alten Akten aber auch spannende Geschichten: Über die tropische Gluthitze in der Savanne und in den Dörfern, in denen die Missionare und Beamten ihre Sammlerstücke erwarben. Über den beschwerlichen Transport, bei dem es zuerst auf dem Landweg nach Dar es Salaam ging, dann weiter per Schiff nach Hamburg oder Bremen.

Bis ins Detail vermerken sie Verluste, etwa durch Diebstahl, und geben Auskunft, wie die Berliner Ausstellungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts versuchten, noch glänzender und reicher dazustehen als das berühmte Britische Museum in London.

Im Wettlauf um die Welt

Seit der Regierungszeit Kaiser Wilhelm II. verschärfte sich der Wettlauf um die Kolonien. Im Jahre 1885 hatten die Großmächte zur so genannten Kongo-Konferenz geladen. Damals teilten die Europäer den Schwarzen Kontinent als letzte verbliebene Landmasse unter sich auf. Amerika, Asien, Australien - Deutschland war bei der Kolonialisierung stets zu spät gekommen. Bei Afrika wollte es dabei sein. Die grobe Sichtung der über 300 Akteneinheiten ist mittlerweile abgeschlossen. Nun steht Christine Stelzig vor der Feinarbeit: Sie will alle Einträge im Computer erfassen, die Querverweise auf Sammler, andere Stücke oder Beschaffungsaufträge inbegriffen.

Ziel ist eine umfassende Sammlerdatei. Ein "Findbuch" könnte "wichtige Quellen eröffnen, denn anhand der Korrespondenz lassen sich wissenschaftshistorische Schlussfolgerungen ziehen", meint Frau Stelzig. Von 1831 an wurden die Akten mit preußischer Gründlichkeit geführt. Mit dem Vertrag von Versailles im Jahr 1919 verlor Deutschland alle Kolonien an die Mächte der Entente. Der Import exotischer Stücke aus Afrika, der bis dahin fast zwei Drittel aller Neuerwerbungen des Museums ausmachte, ging fortan auf knapp 16 Prozent herunter.

Überraschend kultiviert

In den Akten ist auch vermerkt, wie sich das Bild der Europäer vom Schwarzen Kontinent wandelte. Als der Botaniker Georg Schweinfurth 1869 im Auftrag des Museums nach Nordost-Zaire reiste, traf er zufällig auf König Mbunza vom Volk der Mangbetu. Ihn überraschte, wie kultiviert es dort zuging. Die Vorstellung vom affenähnlichen Wilden war unter den Experten nicht länger zu halten.

1897 unternahmen die Briten eine Strafexpedition nach Benin und fanden dort Bronzeplaketten und kunstvolle Elfenbeinschnitzereien, die sie früheren Kolonisten aus Portugal zuschrieben, obwohl sie afrikanischen Ursprungs waren, wie man heute weiß. Mehr als 2400 solcher Objekte wurden in London versteigert, um den Kriegszug zu finanzieren.

Die Berliner Erwerbungsakten belegen, dass Felix von Luschan sofort erkannte, dass es sich um echte afrikanische Kunst handelte. Er schrieb an den Leipziger Mäzen und Verleger Hans Meyer, Mitherausgeber des bekannten Konversationslexikons. Meyer war auch in der Kolonialpolitik für die deutschen Schutzgebiete in Afrika engagiert. Er trug den Spitznamen "Kili-Meyer", denn er hatte 1889 als erster Weißer den Hauptgipfel des Kilimandscharo bezwungen. Der Verleger machte 5000 Reichsmark locker, Luschan konnte insgesamt 570 der später auf das 14. Jahrhundert datierten Bronzeplastiken erwerben. Noch heute sind in den Dahlemer Ausstellungsräumen und Magazinen 470 der wertvollen Objekte aufbewahrt.

Von 1882 bis 1904 lebte der Arzt Robert Fischer im Kongo und sammelte rund 600 Zauberfiguren, die als Loango-Sammlung Furore machte. Die skurrilen Figuren inspirierten unter anderem die Maler der "Brücke", die sich oft im Berliner Museum für Völkerkunde umtrieben. 1905 beauftragte Luschan den Kolonialoffizier Hans Glauning, den sagenumwobenen Thron "Mandu yenu" des Königs Njoya vom Stamme der Bamum in Kamerun zu erwerben.

Der Thron, der Mitte des 19. Jahrhunderts für Njoyas Vater Nsangu hergestellt worden war, ist unglaublich reich und farbenfroh mit Perlen und Kaurimuscheln verziert. Als die Zeitschrift "Globus" ein Foto des Königs auf seinem Thron veröffentlichte, bliesen die europäischen und amerikanischen Museen und private Sammler zur Jagd auf die kostbare Trophäe. Luschan schrieb damals an Glauning: "Wir würden natürlich das Stück selbst gern haben und auch gerne bis zu einige tausend Mark dafür aufwenden, wenn es auf friedliche und loyale Weise ins Berliner Museum kommen kann."

Er schlug außerdem vor, zum Tausch für den Thron dem Bamum-König einen prächtigen Theaterthron zu bieten. Glauning gelang es, ein freundschaftliches Verhältnis zu Njoya aufzubauen. Vor Schaden rettete ihn das nicht, er wurde 1908 im Grenzgebiet von Kamerun erschossen. Doch kurz zuvor erreichte der prachtvolle Thron die deutsche Hauptstadt: als Geschenk des edlen Afrikaners für Kaiser Wilhelm. Auch dieser Thron ist im Dahlemer Museum aufgestellt.

Heiko Schwarzburger

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