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Aids-Konferenz: Armut und Abhängigkeit erhöhen das HIV-Risiko

Safer Sex ist auch eine soziale Frage.

Trotz jahrzehntelanger Erfahrung im Kampf gegen die Ausbreitung von Aids hat die Vorbeugung auf breiter Front versagt. Zu diesem Schluss kommen führende Aidsforscher in einer Analyse für das Medizinjournal „The Lancet“, die am Dienstag auf der internationalen Aids-Konferenz in Mexiko-Stadt veröffentlicht wurde.

Mehr als 90 Prozent der gefährdeten Menschen auf der Welt würden von den wichtigsten Präventionsprogrammen überhaupt nicht erreicht, kritisieren Michael Merson von der Duke-Universität im amerikanischen Durham und Kollegen. Dabei könnten zielgerichtete Projekte bis zum Jahr 2015 rund zwölf Millionen HIV-Infektionen verhindern, mahnte der Chef des UN-Aidsprogramms (UNAIDS), Peter Piot.

In vielen Ländern gehen Vorbeugungsprogramme nach Einschätzung der Experten an der gesellschaftlichen Realität vorbei. Oft würden besondere Risikogruppen wie Drogenabhängige, Prostituierte und homosexuelle Männer aus politischen Gründen ignoriert.

Die Prävention müsse gerade diese Aspekte stärker einbeziehen, fordern die Wissenschaftler. Ein Hauptproblem sei, dass viele Mitglieder von Risikogruppen nicht in der Lage seien, die Ratschläge zum Safer Sex zu befolgen. Sie können sich zum Teil gar keine Kondome leisten oder leben in einer religiösen Gemeinschaft, in der Verhütung ein Tabu ist.

Vorbild für eine wirkungsvollere und auf das Milieu abgestimmte Prävention könnte ein im Jahr 1992 gestartetes Projekt im indischen Kalkutta sein. Im dortigen Rotlichtviertel Sonagachi, in dem geschätzte 10000 Frauen und Männer von der Prostitution leben, konnte die Zahl der HIV-Infizierten auf rund zehn Prozent gesenkt werden, schreiben Wissenschaftler vom Frauenforschungszentrum in Washington DC in „Lancet“. In anderen indischen Städten sind 50 bis 90 Prozent der Menschen aus ähnlichen Milieus HIV-positiv. In Sonagachi wurde mit den Prostituierten gemeinsam ein Konzept entwickelt, wie sie sich vor Aids schützen können.

Auch Programme, bei denen Drogenabhängige benutzte Nadeln gegen sterile Spritzen austauschen, haben sich bewährt. Doch nur ein Drittel der Länder, in denen verseuchte Spritzen einen hohen Anteil an den HIV-Infektionen haben, besitze überhaupt ein Vorbeugungsprogramm für Abhängige, hieß es auf der Aids-Konferenz.

Doch auch fernab von Prostitution und Drogensucht haben soziale Faktoren Einfluss auf das Aidsrisiko. In Ländern, in denen Frauen weniger Zugang zu bezahlter Arbeit haben als Männer und dadurch häufiger finanziell abhängig von ihrem Partner sind, haben sie kaum die Möglichkeit, auf geschütztem Geschlechtsverkehr zu bestehen, beklagen die Experten.

Frauen stärker vor sexueller Gewalt und damit vor Aids zu schützen, forderte auch Bill Clinton am Montag auf der Konferenz. Nach Informationen von UNAIDS sind 80 Prozent der HIV-positiven Frauen durch Gewaltanwendung in diese Lage geraten. Der ehemalige US-Präsident setzt sich mit einer eigenen Stiftung gegen die Verbreitung von Aids ein. Er kündigte jetzt die Gründung einer Agentur der Vereinten Nationen an, die im Rahmen des Programms UNAIDS speziell die Prävention für Frauen vorantreiben soll. „Im Kampf gegen die Epidemie muss auch der Kampf gegen Ungleichheit der Geschlechter und die Gewalt in allen ihren Aspekten einbezogen werden“, forderte Clinton am ersten Tag der bis Freitag dauernden Konferenz, zu der 25000 Fachleute angereist sind.

Auch in Deutschland stecken sich trotz vieler Aufklärungskampagnen jedes Jahr mehr als 2500 Menschen mit dem Virus an. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts in Berlin wurden im Jahr 2007 insgesamt 2752 HIV-Neuinfektionen gemeldet. Da es aber zu Mehrfachmeldungen kommt, wenn Patienten mehr als einen HIV-Test machen, ist die Zahl der tatsächlichen Neuinfektionen vermutlich geringer. Gesicherte Daten gibt es nur über die Aidstoten: Im Jahr 2007 starben 650 Menschen hierzulande an der Immunschwächekrankheit, die noch immer nicht heilbar ist.

Dagny Lüdemann

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