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Gesundheit: Akademie der Wissenschaften: Ein Rück- und Überblick von Professor Jürgen Kocka zum 300-jährigen Bestehen der Institution

Berlin war eine provinzielle Residenzstadt mit 50 000 Einwohnern ohne nennenswerte wissenschaftliche Einrichtungen, als Friedrich III. im Jahr 1700 die "Churfürstlich Brandenburgische Societät der Wissenschaften" gründete.

Berlin war eine provinzielle Residenzstadt mit 50 000 Einwohnern ohne nennenswerte wissenschaftliche Einrichtungen, als Friedrich III. im Jahr 1700 die "Churfürstlich Brandenburgische Societät der Wissenschaften" gründete. Wenn die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften am kommenden Sonnabend ihr 300-jähriges Jubiläum begeht, hat sich der Rahmen gründlich geändert. Wenig verbindet die heutige Akademie mit der Sozietät von 1700, abgesehen von einigen Grundsätzen.

Die Gründung von Akademien war Teil der europäischen Aufklärung. So waren in London 1660/62 und in Paris 1666 bereits Akademien entstanden, in denen wissenschaftliche Erkenntnisse vorgestellt, überprüft, diskutiert und veröffentlicht wurden. Die Berliner Akademie, die maßgeblich von dem Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz konzipiert wurde, war die erste in deutschen Landen, die sich diesem europäischen Programm anschloss. Sie erfüllte das ausgeprägte Repräsentationsbedürfnis des kurfürstlichen, seit 1701 königlichen Hofes. Sie sollte die Wissenschaften zum Nutzen des noch schwachen Staates fördern. Hinzu kam, dass sich Brandenburg der Gregorianischen Kalenderreform anschloss und eine Institution zur Berechnung und Veröffentlichung des neuen Kalenders benötigte. So wurde die Sozietät der Wissenschaften mit einem neu gebauten Observatorium verbunden und mit dem Kalendermonopol für Preußen ausgestattet. Daraus konnte sie sich die nächsten 110 Jahre finanzieren.

Von 1711 an trafen sich die damals knapp 40 Mitglieder der Sozietät regelmäßig im Plenum oder in einer der vier Klassen für Physik und andere Naturwissenschaften, für Mathematik und Astronomie, für deutsche Sprache und vaterländische Geschichte sowie für orientalische Literatur und Theologie. Hier fand der wissenschaftliche Austausch statt - auch mit anderen europäischen Gelehrtengesellschaften.

Während Friedrich Wilhelm I. dem Aufbau des Militärs eindeutigen Vorrang gab und die Akademie vernachlässigte, formte Friedrich II. sie 1744 gründlich um: Sie wurde zur Académie Royale des Sciences et Belles Lettres mit Französisch als Geschäftssprache. Der König bestellte sich selbst zum Präsidenten und blockierte schließlich alle Neuerungen. So blieb die Akademie von der Krone abhängig, ihre Autonomie war minimal. Ihre Reputation schwankte. Dennoch beherbergte sie große Gelehrte wie die Mathematiker Euler und Maupertuis.

Die besten Jahre

Im 19. Jahrhundert erlebte die Akademie ihren entscheidenden Aufstieg. Die Gründung der Berliner Universität im Jahre 1810 veränderte Stellung und Profil der Akademie. Lehre und Forschung wurden jetzt Aufgabe der Universität, die Akademie mußte an sie ihre Forschungsinstitute abgeben. Zwischen der bald weltweit attraktiven Universität und der Preußischen Akademie der Wissenschaften (so der sich bis 1945 haltende Name) entstand eine Symbiose. Die Akademie wurde zur Gelehrtengesellschaft neben der Universität, rekrutierte jedoch die Mehrzahl ihrer Ordentlichen Mitglieder aus der Universität. Während die Mitgliedschaft in der Akademie einen zusätzlichen Anreiz für die nach Berlin kommenden Professoren darstellte, profitierte die Akademie von deren wissenschaftlicher Reputation. Dies belegen die Karrieren und Leistungen von Helmholtz und DuBois-Reymond, Virchow und Mommsen, Schmoller, Harnack und anderer Wissenschaftler.

In einer sich disziplinär ausdifferenzierenden Wissenschaftslandschaft verkörperte die Akademie die Idee von der Einheit der Wissenschaften, und sei es nur als Utopie. Sie repräsentierte die Wissenschaft gegenüber Gesellschaft und Politik. Ein wenig blieb sie auch Ort der Forschung. Denn der Verlust der Forschungsinstitute wurde durch die Errichtung von Kommissionen wettgemacht, die eigene Forschungsprojekte, meist "Langzeitvorhaben", betrieben. Derartige Kommissionen bestanden in den beiden 1830 gebildeten Klassen, der physikalisch-mathematischen und der philosophisch-historischen. Um 1900 wurden drei Dutzend derartiger Langzeitvorhaben bearbeitet. Die meisten bestehen noch heute.

Das Kaiserreich war die beste Zeit der Akademie. Die Wissenschaften wurden zu einer gesellschaftlichen Macht wie niemals zuvor. Die Akademie gewann an Autonomie. Dennoch begann seit dem späten 19. Jahrhundert der relative Abstieg der Akademie. Die Spezialisierung der Wissenschaften nahm weiter zu. Besonders in den Natur- und Technikwissenschaften stieg der Bedarf an Laboratorien und Forschungsinstituten. Ein neues Verhältnis von Wirtschaft und Staat, auch von Wirtschaft und Wissenschaft bildete sich heraus. Der Anwendungsbezug vieler Wissenschaften wurde wichtiger. Die Wirtschaft interessierte sich immer stärker für einige von ihnen, und umgekehrt entstand das Bedürfnis nach Finanzierung von Wissenschaft aus nichtstaatlichen Quellen. All das sprengte die Organisationsform der Universität. Außeruniversitäre Forschung wurde in großem Maßstab notwendig. Die Frage stellte sich, ob die Akademie in der Lage sein würde, sie aufzunehmen.

Unter Harnacks Führung arbeiteten einige Akademiemitglieder darauf zu. Sie scheiterten. Im Jahre 1911 wurde stattdessen die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gegründet, die heutige Max-Planck-Gesellschaft. Sie wurde zum wichtigsten Ort außeruniversitärer Grundlagenforschung in Deutschland - vor allem in den Naturwissenschaften. Die Akademie zog den Kürzeren, zum Teil weil sich die Mehrheit der geisteswissenschaftlich bestimmten Gelehrtengesellschaft gegen ihre Umformung in Richtung einer Großorganisation von Forschungsinstituten sperrte. Damit wurde endgültig klar, dass die Akademie aufgehört hatte, ein Ort innovativer Forschung zu sein. Sie blieb eine ehrwürdige Institution mit repräsentativen Funktionen und wissenschaftspolitischen Aufgaben (auch international), ein hochangesehener Club für herausragende Wissenschaftler, übrigens durchweg Männer.

Im Fahrwasser der deutschen Politik

Die Revolution von 1918/19 berührte die Akademie wenig. Auch die Machtübergabe an die Nationalsozialisten beeinträchtigte sie zunächst nicht. Nur Albert Einstein trat protestierend aus. Doch 1938/39 entschloss sich das Reichserziehungsministerium, die Akademie an die neue Politik anzupassen: durch eine Satzungsänderung, die Einsetzung einer kommissarischen Akademieleitung und die Zuwahl von jüngeren Wissenschaftlern, die den Nationalsozialismus unterstützten, wie Adolf Butenandt (später Präsident der Max-Planck-Gesellschaft) und Peter Adolf Thiessen (später Vorsitzender des Forschungsrates der DDR). Es gelang binnen weniger Monate, aus der Geheimratsakademie eine deutlich verjüngte und weitgehend nazifizierte Akademie zu machen. Kurz zuvor hatte noch die alte Akademieleitung unter Max Planck die vom Ministerium angeregte Ausschaltung der "Nichtarier" in eigener Regie bewerkstelligt. Die Akademie war kein Ort des Widerstands gegen die Diktatur. Sie arbeitete bis zum März 1945 weiter.

Bereits im Juni 1945 trat sie wieder zusammen. Von den etwa 80 Ordentlichen Mitgliedern waren allerdings nur 15 arbeitsfähig und in Berlin anwesend. Im September 1946 ordnete die Sowjetische Militäradministration die Wiedereröffnung der in ihrem Sektor ansässigen Institution an, die nun "Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin" hieß. Unter dem Einfluss der Sowjets, der SED und der entstehenden DDR-Behörden entstand die Akademie neu. Sie blieb einerseits Gelehrtengesellschaft, die sich selbst durch Zuwahl ergänzte. Staat, Partei und Akademie fanden ein System von Vorabsprachen, die sicherten, dass bald nur noch Kandidaten zur Wahl standen, die neben wissenschaftlicher Qualifikation auch politische Loyalität gegenüber dem SED-Staat bewiesen. Andererseits beherbergte und gründete die Akademie zahlreiche Forschungsinstitute. Nach der Akademiereform 1968/72 umfasste sie etwa 50 Forschungsinstitute in den Gesellschafts-, Natur- und Technikwissenschaften.

Ende der 80er Jahre waren bei der Akademie 24 000 Mitarbeiter beschäftigt. Sie richteten ihre Arbeit an Plänen aus, die Kompromisse zwischen den politischen Vorgaben und der Forschungskompetenz der Institute darstellten. Es bestand ein enges Zusammenspiel zwischen Akademie und SED. 1972 wurde mit der Umbenennung in "Akademie der Wissenschaften der DDR" der letzte gesamtdeutsche Bezug gestrichen. Damit war aus der ehemaligen Preußischen Akademie eine Akademie neuen sozialistischen Typs geworden: eine riesige, zentral verwaltete und politisch gesteuerte Holding der Forschung, in der die Gelehrtengesellschaft immer mehr an den Rand geriet.

1987 wurde im Westteil der Stadt eine ganz andere "Akademie der Wissenschaften zu Berlin" gegründet: klein, flexibel, wenig hierarchisch, interdisziplinär, mit neuen Arbeitsformen. Sie verzichtete auf die Anknüpfung an die Preußische Akademie, verstand sich als innovativen Neuansatz und war es auch. Die beiden Berliner Akademien unterschieden sich fundamental. Doch bestanden auch Ähnlichkeiten. Beide Akademien wollten nicht nur Gelehrtengesellschaften sein, sondern auch Orte der Forschung. Beide traten mit überregionalem Anspruch auf. Beide nahmen die Technikwissenschaften auf. Beide akzeptierten Politikberatung und Praxisbezug. Beide sind gescheitert.

Zweimal Leibniz-Tag

Die Ost-Berliner Wissenschaftsakademie überlebte, anders als die Akademie der Künste der DDR, die Wende von 1989/90 nicht. Im sich wiedervereinigenden Deutschland bestand unter westdeutscher Regie keine Neigung, die Struktur der DDR-Akademie - Forschungskonzern und Gelehrtengesellschaft zugleich - als Modell für eine Akademie zu akzeptieren. Die Forschungsinstitute wurden von der Gelehrtengesellschaft abgetrennt, evaluiert, aufgelöst, im günstigsten Fall mit der Mehrheit der bisherigen Mitarbeiter neu gegründet. Viele Akademie-Wissenschaftler verloren Stellung und Beruf.

Die Gelehrtengesellschaft wurde von dem Staatsvertrag ignoriert, der 1992 die Berlin- Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) als Körperschaft des öffentlichen Rechts errichtete, "vormals Preußische Akademie der Wissenschaften", als deren Fortsetzung und Nachfolgerin. Die BBAW knüpfte auch nicht an die kurze Tradition der West-Berliner Akademie an, die 1990 aufgelöst wurde. Die Berlin-Brandenburgische Akdemie übernahm zwar Projekte und Bestände von der DDR-Akademie. Sie übernahm auch Arbeitsformen zu aktuellen Forschungsthemen der West-Berliner Akademie. Doch im Wesentlichen stellte sie eine Rückkehr zur Gelehrtengesellschaft ohne Forschungsinstitute, aber mit Langzeitprojekten dar, wie sie von 1815 bis 1945 bestand. Forschung und Lehre geschehen andernorts, für die meisten ihrer jetzt etwa 115 Mitglieder ist die Akademie eine ehrenvolle Nebensache.

Allerdings gibt es auch Neues, wodurch sich die Berliner Akademie von den übrigen sieben deutschen Akademien unterscheidet: den hauptamtlichen Präsidenten, die klare Einbeziehung der Technikwissenschaften, das die Klassen relativierende Arbeitsgruppenprinzip, die überregionale Rekrutierung der Mitglieder und die bisher kaum eingelöste Ambition, eine größere Rolle mit neuen Funktionen im gesamtstaatlichen Kontext zu spielen, also eine Akademie neuer Art zu werden. Ob das gelingt, ist eine offene Frage.

Viele, aber nicht alle Mitglieder der West-Berliner Akademie und einige wenige Mitglieder der DDR-Akademie gehören der neuen BBAW an. Ein Drittel der Mitglieder der DDR- Akademie hat 1993 die Leibniz-Sozietät e.V. gegründet. Auch sie lädt in dieser Woche zur Festsitzung anläßlich des 300. Jubiläums ein. Der Geburtstag wird also zweimal gefeiert, beide Male als "Leibniz-Tag" - so heißt der öffentliche Festtag der Akademie seit 1812. Viel Ehre für Leibniz.

Jürgen Kocka, Peter Th. Walther

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